Rassismus in Deutschland ist Alltag, nicht Ausnahme
20. März 2025
Fatma arbeitet als Erzieherin in Berlin. Es fange schon morgens an, wenn sie mit dem Auto zu ihrer Arbeit fährt, sagt sie. "Dann schauen die anderen Autofahrer mich musternd an." Sie ist modisch-schick gekleidet. Und sie trägt Kopftuch. "Meine Dozentin in der Erzieherinnenausbildung hat gesagt, sie findet das Kopftuch unhygienisch." Fatma erzählt, dass sie ihre Ausbildung mit "sehr gut" abgeschlossen hat. Aber trotzdem sei es für sie nicht leicht, eine Arbeitsstelle zu bekommen. Und das, obwohl Erzieher und Erzieherinnen dringend gesucht werden - in Berlin und in ganz Deutschland. Aber das Kopftuch wird ihr zum Nachteil, so ihre Empfindung. "Das bedrückt mich. Das macht was mit mir."
Hanna lebt auch in Berlin. "In bestimmte Stadtviertel traue ich mich nicht." Wenn sie mit ihren Kindern U-Bahn fährt, erzählt sie, bekomme sie regelmäßig "blöde Kommentare", wie sie es nennt. Wegen ihrer Kinder. Und wegen ihrer dunklen Haare. "Dass ich in mein Land zurückgehen soll, sagen die Leute." Man sieht ihr an, wie sehr sie diese Anfeindungen verletzen. Vor allem, wenn sie vor ihren Kindern geschehen.
Rassismus in Deutschland: Wenn man als Journalist in Berlin mit Frauen über ihre persönlichen Erfahrungen reden möchte, muss man nicht lange suchen. Die Beispiele sprudeln aus den Menschen heraus.
Rassismuserfahrungen sind kein Zufall
"Diskriminierungserfahrungen erfolgen nicht zufällig, sondern zumeist anhand rassistischer Zuschreibungen", erklärt Aylin Mengi vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung. Sie ist Co-Autorin des Rassismusmonitors, der vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung herausgegeben wird.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben knapp 10.000 Menschen im ganzen Land befragt. Es ist eine der umfassendsten Datenerhebungen zu Rassismus und Diskriminierung in Deutschland.
Die Ergebnisse des aktuellen Berichts vom März 2025 zeigen: Besonders betroffen sind Menschen, die von anderen als migrantisch oder muslimisch gelesen werden - egal, ob sie es in Wirklichkeit sind oder nicht. Manche, weil sie ein Kopftuch tragen, so wie Fatma. Oder wegen ihrer Hautfarbe. Oder, weil sie, wie Hanna, dunkle Haare haben. Über die Hälfte der rassistisch markierten Menschen erfahren demnach Alltagsdiskriminierung - und das mindestens einmal im Monat.
"Rassismus wird subtiler"
Besonders betroffen sind muslimische Frauen und Schwarze Menschen: Über 60 Prozent von ihnen haben im Alltag regelmäßig Diskriminierungserfahrungen gemacht, so die Ergebnisse des Berichts.
"Wir sehen, dass Diskriminierungserfahrungen in der deutschen Gesellschaft ungleich verteilt sind", erläutert Cihan Sinanoğlu im Interview mit der DW. Er ist der Leiter des Rassismusmonitors. "Und wir sehen, dass der Rassismus in Deutschland subtiler wird und sich den gesellschaftlichen Normen anpasst." In der Mehrheitsgesellschaft sei nach wie vor die Einstellung verbreitet, dass ethnische und religiöse Minderheiten zu viele politische Forderungen stellen würden, bilanziert Sinanoğlu die Ergebnisse. "Das zeigt, dass bestimmten gesellschaftlichen Gruppen immer noch politische Rechte vorenthalten werden sollen."
Menschen mit Diskriminierungserfahrung treffen in Deutschland dabei auf eine Mehrheitsgesellschaft, in der Rassismus ein fester Bestandteil ist: "Mehr als ein Fünftel der deutschen Gesamtbevölkerung hat gefestigte rassistische Einstellungen", erläutert Cihan Sinanoğlu.
Rassismus führt zu psychischen Belastungen
Die Erlebnisse von Vorurteilen und Ausgrenzung haben weitreichende Folgen, erklärt der Studienleiter mit Blick auf die Ergebnisse: "Angst- und Depressionsstörungen nehmen zu, je mehr Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen ich mache. Und das Vertrauen in die gesellschaftlichen Institutionen sinkt, je größer das Ausmaß der Diskriminierungserfahrungen ist."
Die Macher der Studie kritisieren, dass gesellschaftlicher Rassismus von den politischen Parteien in Deutschland viel zu oft als Minderheitenthema beiseite geschoben werde. "Wir leben in der postmigrantischen Gesellschaft: Jede dritte Familie in Deutschland hat migrantische Beziehungen", analysiert Naika Foroutan, die Leiterin des Forschungszentrums im Rahmen auf der Vorstellung des Datenmonitors. "Diskriminierende Erfahrungen bleiben nicht nur bei den betroffenen Personen, sondern betreffen einen großen Teil der Gesellschaft."
Bei der Diskussion über Rassismus in Deutschland gehe aber eine Erkenntnis viel zu oft unter, findet Naika Foroutan: "Es gibt eine breite Mehrheit gegen Rassismus in Deutschland. Die Menschen möchten lernen. Und sie sind es auch nicht leid, über Rassismus informiert zu werden."
Die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, sieht in den Ergebnissen einen klaren Auftrag an die Politik: "Wir haben in Deutschland eines der schwächsten Antidiskriminierungsgesetze. Die Studie zeigt ganz klar, dass Menschen besser geschützt werden müssen", fordert Ataman im Interview mit der DW.
Diese Forderung richtet sie vor allem auch an die künftige Bundesregierung, über deren Bildung derzeit in Berlin zwischen Konservativen und Sozialdemokraten verhandelt wird.