1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikAfrika

Rassismus in Tunesien: Empörung in der Heimat

Martina Schwikowski | Robert Adé Senegal | Karim Kamara Guinea | Mahamadou Kane Mali | Bob Barry
8. März 2023

Afrikanische Migranten verlassen Tunesien fluchtartig nach Angriffen auf Schwarze. Ihre Heimatstaaten schicken Flugzeuge, um die Bürger zurückzuholen. Viele Migranten sind froh, der Gewaltwelle im Land zu entkommen.

Migration I Abreise aus Tunesien
Bloß weg aus Tunesien: Viele afrikanische Migranten nutzen Flüge, die ihre Heimatländer organisiert habenBild: Fethi Belaid/AFP/Getty Images

Ibrahim Diallo ist froh, wieder in Conakry gelandet zu sein. In Tunesien fühlte er sich nach einer Welle der Gewalt nicht mehr sicher. "Als der Präsident seine rassistische und hasserfüllte Rede gegen schwarze Migranten hielt, fing die Bevölkerung an, sich einzumischen und Schwarze anzugreifen, vor allem Frauen." Er sei Zeuge solcher Angriffe gewesen: "Araber brachen in ihre Zimmer ein und vergewaltigten die Mädchen." Sie hätten ihr Eigentum gestohlen, ohne dass die Behörden ein Wort gesagt hätten, berichtete er.

Unabhängig bestätigen lassen sich diese konkreten Vorwürfe nicht. Doch die DW sprach mit vielen Betroffenen, die Tunesien verlassen wollten, weil sie Gewalt und Rassismus erlebt haben.

Guinea war das erste Land, das mehr als vierzig Heimkehrer mit einem Sonderflugzeug nach Conakry zurückbrachte. Sie wurden am Flughafen von Junta-Chef Mamady Doumbouya in Begleitung seines Außenministers empfangen. Doumbouya bezeichnete die Geschehnisse in Tunesien als nicht akzeptabel und nicht normal. "Wir sind Pan-Afrikanisten und wir stehen dazu." Afrika sei kein Kontinent, der sich spalten lasse.

Lange Schlangen am Flughafen von Tunis: Viele Migranten verlassen Tunesien überstürzt wegen der Welle der GewaltBild: Fethi Belaid/AFP/Getty Images

Auch in Mali landete am Wochenende ein erster Flug aus Tunis mit 135 Maliern. Unter ihnen ist Korotoumi Diakité: ''Wir hatten genug Probleme sowohl mit der Polizei als auch mit der Bevölkerung. Studenten wurden grundlos angegriffen. Wir werden verhaftet, weil wir einfach schwarz sind''.

Rassistische Hassrede schürt Gewalt

Ausgangspunkt für diesen Gewaltausbruch gegen Schwarze war eine Ansprache des autoritär regierenden Präsidenten Kais Saied am 21. Februar - sie ist von der Afrikanischen Union (AU) als "rassistische Hassrede" bezeichnet und auf das Schärfste verurteilt worden. Auch Menschenrechtsorganisationen äußerten sich besorgt.

Saied sprach von "Horden illegaler Einwanderer" und warf Migranten aus Subsahara-Afrika ohne jeglichen Beleg vor, für einen rapiden Anstieg der Kriminalität verantwortlich zu sein. Sie wollten Tunesien unterwandern und seine Bevölkerungsstruktur verändern, so der Präsident und heizte damit die Stimmung gegen Migranten an. 

Tunesiens Präsident Kais Saied schürt in seiner Hassrede die gewaltsame Stimmung gegen afrikanische MigrantenBild: Nicolas Fauque/Images de Tunisie/abaca&picture alliance

Die Berichte über Angriffe auf Schwarze in Tunesien häufen sich. Seit Wochen hetzten Rechtsnationalisten zunehmend im Internet. Außerdem haben die Sicherheitskräfte nach Angaben der Organisation "Anwälte ohne Grenzen" (ASF) seit Anfang Februar außergewöhnlich viele Migranten festgenommen.

Für Mahamadou Diarisso war sein Aufenthalt in Tunesien nur ein Zwischenstopp, eigentlich wollte er nach Italien weiterreisen. Der Malier lebte seit 2021 in Tunis und arbeitete auf sein Ziel hin, nach Europa zu gelangen. Dann war auch er von den gewaltsamen Angriffen auf schwarze Migranten betroffen - er musste seine Wohnung verlassen. "Ich habe vor unserer Rückführung zwei Wochen lang in Tunis auf der Straße geschlafen", sagt Diarisso zur DW in Bamako.

In Tunis habe es geregnet, es sei sehr kalt gewesen. Der Vermieter habe Angst gehabt, dass Jugendliche kommen und "alles abfackeln" würden, deswegen habe er sie verjagt. "Die plündernden Jugendlichen haben dort unsere Sachen gestohlen - wir sind hier mit einem einfachen Rucksack angekommen, in dem sich nur Schuhe befanden", sagte er verbittert.

Andrang bei der Botschaft

Vor einer Woche herrschte vor der Botschaft der Elfenbeinküste großer Andrang. Sie alle hatten ein gemeinsames Ziel: so schnell wie möglich auszureisen. Laut Agenturberichten sind bereits 1500 Personen bei der Botschaft der Elfenbeinküste für eine Rückkehr registriert. Auch Sali hatte mit ihrem zweijährigen Kind auf dem Botschaftsgelände in der Kälte Zuflucht gesucht, denn auch sie war aus ihrer Wohnung vertrieben worden. "Der tunesische Staat hätte gesagt, dass dunkelhäutige Afrikaner nicht bei einem Tunesier bleiben dürfen, meinte der Vermieter", sagte Sali der DW.

Rassismus in Tunesien: Migranten vor der Botschaft der Elfenbeinküste - sie wollen ihre Ausreise beantragenBild: Hasan Mrad/Zuma/picture alliance

Gesellschaftliches Phänomen verstärkt

Für Saadia Mosbahde, Präsidentin der L'Association Mnemty - ein Verein in Tunesien, der sich gegen rassistische Diskriminierung einsetzt - ist diese Welle des Hasses nicht neu: Es habe schon Rassismus bestanden, der in diese Richtung ging. "Nicht alle Tunesier sind Rassisten, das ist klar. Aber jetzt wurde die Welle noch verstärkt, weil der Präsident nach seinen Äußerungen grünes Licht gegeben hat", sagte sie im DW-Interview.

Laut Mosbahde handele es sich bei Afrikanern aus Ländern südlich der Sahara um die am stärksten gefährdete Bevölkerungsgruppe. Sicherlich gebe es Personen, die auf illegale Weise einreisten. Dazu kämen große wirtschaftliche Probleme. Die Regierung hofft auf einen Milliardenkredit vom IWF, um einen Staatsbankrott abwenden zu können. Das Land befinde sich "in einer Krise, die Tunesien noch nie zuvor erlebt" habe, sagt Mosbahde. Viele Dinge würden dabei vermischt und es sei nicht auszuschließen, dass die tunesische Regierung auf diese Weise die Misserfolge wirtschaftlicher und politischer Reformen zu verbergen versuche. 

 

Die repressive Politik richtet sich mit harter Hand gegen Saieds Kritiker und Oppositionelle, und nun verstärkt gegen die Migranten - ungefähr ein Drittel der Migranten im Land kommt aus Afrika südlich der Sahara. Davon stammen die meisten aus der Elfenbeinküste, gefolgt von der Demokratischen Republik Kongo, Guinea und Mali. Das geht aus einer Studie aus dem Jahr 2021 hervor, an der unter anderem das nationale Statistikinstitut Tunesiens beteiligt war. Den Angaben zufolge sollen etwa 21.000 Migranten aus Subsahara-Afrika registriert sein. Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass die Dunkelziffer höher ist. 

Protest gegen "Jagd auf Schwarze"

Aber es gibt auch Solidarität in Tunesien: Mehrfach gingen Menschen in Tunis gegen den fremdenfeindlichen Kurs, aber auch gegen die wirtschaftspolitische Krise im Land auf die Straße. Und in den Heimatländern der Migranten steigen Protestaktionen. Zum Beispiel in Senegal.

Proteste in Tunis gegen Rassismus: Die Demonstranten unterstützen schwarze Migranten Bild: Fauque Nicolas/Images de Tunisie/ABACA/picture alliance

In der tunesischen Botschaft in Dakar hinterlegte Guy Marius Sagna, Oppositionspolitiker und Leiter der Front für den antiimperialistischen Widerstand (Frapp France Dégage) einen Protestbrief gegen die "Jagd auf Schwarze in Tunesien" - eine Sitzblockade vor der Botschaft war aber verboten worden. "Wenn es in Tunesien Probleme gibt, müssen sie die Ursachen und Gründe woanders suchen, nicht in der Anwesenheit von schwarzen Afrikanern", sagte Sagna zur DW.

Der Politiker und 13 weitere Personen waren "wegen der Beteiligung an einer nicht-genehmigten Demonstration" vorübergehend festgenommen worden, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtet. Sagna kritisierte gegenüber der DW das Schweigen von offizieller Seite im Senegal.  Mit dem Verbot der Demonstration habe sich Senegals Präsident Macky Sall auf die Seite des "Anti-Schwarzen Hasses und der Rassisten", so Sagna. 

Der Unmut über die Lage in Tunesien wächst im In- und Ausland, auch von den Vereinten Nationen gab es scharfe Kritik. Zwar gehen laufende Projekte weiter, jedoch setzte die Weltbank ihre Verhandlungen zu einem neuen Partnerschaftsabkommen mit dem nordafrikanischen Land aus.  

Mitarbeit: Maryline Dumas