70 Jahre Werner Herzog
5. September 2012Ausgerechnet Werner Herzog! Ausgerechnet der in der bayrischen Provinz aufgewachsene deutsche Regisseur (geboren am 5. September 1942) hat in Hollywood Fuß fassen können. Sieht man einmal vom eher kommerziell orientierten Roland Emmerich ab, dürfte Herzog der in den USA inzwischen bekannteste und erfolgreichste deutsche Filmemacher der letzten Jahre sein. Herzog arbeitet heute mit Stars wie Eva Mendes und Nicholas Cage, Willem Dafoe und Christian Bale zusammen. Dass der Regisseur Millionenprojekte mit Superstars des Hollywood-Kinos stemmt, ohne sich dabei dem traditionellen, starren Studiosystem der amerikanischen Filmindustrie unterzuordnen, gehört zu den größten Mysterien des internationalen Kinos der letzten Jahre.
Doch irgendwie passt dieser überraschende Erfolg auch wieder zu seiner von Überraschungen gepflasterten Karriere. Herzog ist neben Wim Wenders der bekannteste Regisseur der Generation des Neuen Deutschen Films. Die hatte in den 1960er Jahren begonnen den verkrusteten und künstlerisch armseligen deutschen Film umzukrempeln. Herzog war aber auch damals schon ein Individualist, keiner, der sich irgendeiner Gruppe unterordnete. Und er war auch kein Mann des Kinos. Noch heute verweist er darauf, dass ihn Kindheitserlebnisse wesentlich mehr geprägt hätten als das Kino als Kunstform. So erzählt er gerne, dass er als Kleinkind miterlebte, wie er das von Bomben getroffene und brennende Rosenheim in seiner bayrischen Heimat während des Zweiten Weltkriegs beobachtet hat. Das habe ihn stark beeindruckt. Dass es Filme und das Kino gab, habe er hingegen erst als Jugendlicher erfahren.
Physisches Kino - psychische Ausnahmesituationen
Herzog ist ein Autodidakt, der mit Kurzfilmen begann und mit jungen Jahren seinen ersten langen Spielfilm drehte. Schon "Lebenszeichen" (1968), die Geschichte dreier Wehrmachtssoldaten auf einer griechischen Insel, verwies auf typische Themen seiner späteren Werke. Menschen in Ausnahmesituationen, die Nähe seiner Protagonisten zum Wahnsinn, der Einfluss der Natur auf die Seelenkonstellation der Figuren. Auch seine Kasper Hauser-Verfilmung "Jeder für sich und Gott gegen alle" (1974) griff diese Motive auf.
Bei einem größeren Publikum bekannt wurde der Regisseur dann durch seine Zusammenarbeit mit dem exzentrischen Schauspieler Klaus Kinski. Mit ihm drehte er fünf Filme (unter anderem die Vampir-Saga "Nosferatu" und die Georg Büchner-Adaption "Woyzeck") sowie eine Dokumentation über die komplizierte Zusammenarbeit der beiden: "Mein liebster Feind". Mit Kinski reiste er für "Aguirre, der Zorn Gottes" und "Fitzcarraldo" nach Südamerika und erzählte dort Geschichten von Eroberern, Soldaten und am Rande des Wahnsinns agierenden Kolonialisten.
Abenteuer Dreharbeiten
Legendär waren stets auch die Berichte von den Dreharbeiten, die in seine deutsche Heimat gelangten. Nicht nur die heftigen Auseinandersetzungen mit seinem Star Klaus Kinski, auch die von Unfällen und millionenschweren Verzögerungen geprägten Arbeiten am Set regten die Phantasie der Kritik und der Zuschauer daheim an. Für "Fitzcarraldo" ließ er ein historisches Schiff nachbauen und das von Menschenhand über eine große Bergkuppe ziehen. Auch das ist Ausdruck seines Regiestils: Werner Herzog war nie ein Mann des Studios, sondern stets ein Regisseur, der sich in seine Themen und seine Drehorte mit Haut und Haaren hineinkniete - physisches Kino bis zur letzten Konsequenz.
Nach dem Tod Kinskis wurde es zunächst stiller um Herzog. In Deutschland erlahmte das Interesse an seinen Arbeiten. Herzog tauchte in der öffentlichen Wahrnehmung kaum noch auf - auch weil er für einige Jahre keine Spielfilme mehr drehte, sich auf Operninszenierung konzentrierte. Dabei verging auch in den 1990ern fast kein Jahr, in dem der gebürtige Münchner nicht zumindest einen Film machte - vor allem Dokumentationen über Landschaften oder scheinbar skurrile Charaktere. Herzog hatte immer die Gabe, seinen ganz eigenen Blick auf Geschehnisse am Rande der Gesellschaft und der zivilisierten Welt zu richten.
Herzogs Filme dieser Zeit waren jedoch alles andere als klassische, "realistische" Dokumentationen. Schon die Titel - "Glocken aus der Tiefe", "Echos aus einem düsteren Reich" oder "Lektionen in Finsternis" - deuteten an, worum es ihm ging: Herzog reiste um die Welt und nahm seine Kameras mit, um unter der Erde zu filmen, in Höhlen, unter dem ewigen Eis, auf brennenden Ölfeldern, in der Wüste, im Hochgebirge. Das eröffnete ihm ganz neue Räume und Blicke - auf Menschen und auf unsere Welt.
Ebenso überraschend wie sein Pendeln zwischen Dokumentar- und Spielfilm, Operninszenierungen und gelegentlichen Auftritten vor der Kamera, war dann sein Engagement in Hollywood. Dass ausgerechnet der manchmal verschrobene Individualist Herzog, ein Regisseur, der stets darauf geachtet hatte sich nur mit Dingen zu beschäftigen, die ihn wirklich interessierten, einmal in der kommerziell geprägten Filmnation USA drehen sollte, damit hatte wohl niemand gerechnet. Zwar entstanden seine Produktionen außerhalb der großen Studios, doch auch sie wurden mit großen Budgets, vielen Millionen Dollar und bekannten Hollywood-Größen realisiert.
Experimente in Hollywood
Auch in Hollywood gelang Herzog eine kaum für möglich gehaltene Gratwanderung. Er produzierte klassische Genreunterhaltung mit individueller Note ("Bad Lieutenant - Cop ohne Gewissen") ebenso wie schockierende Dokumentationen ("Death Row", Interviews mit Todeskandidaten) über schwierige Themen. Blickt man auf sein fast rastlos wirkendes Schaffen in den letzten Jahren, scheint auch sein 70. Geburtstag nur eine Zwischenstation auf dem Weg zu weiteren filmischen Überraschungen zu sein.