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Ratingagenturen am Pranger

5. Februar 2012

S&P, Moody's, Fitch - die Ratingriesen haben Europa das Fürchten gelehrt. Für die Politik sind sie eine ideale Zielscheibe. Aber gibt es wirklich eine Verschwörung gegen den Euro, wie mancher glaubt?

Symbolbild Ratingagenturen (Grafik: DW)

"Wir sind die unabhängigen Kommentatoren von Sachverhalten." Das sagte Torsten Hinrichs, Deutschlandchef von Standard & Poor's, schon in einem früheren Interview mit der DW. Es klingt eher bescheiden. Doch was sie kommentieren, hat es in sich. Mit einem simplen Rating zwischen AAA und D wird die Wahrscheinlichkeit ausgedrückt, ob ein Unternehmen oder ein Staat seine Schulden pünktlich und vollständig bedient.

Richter über die Volkswirtschaften

Somit sind Ratingagenturen eine Art Richter über die Volkswirtschaften und ihre Regierungen. Ein Downgrading macht es für die Staaten teurer, sich zu verschulden, was zu einer neuen Haushaltspolitik führen könnte. Laut Studien des Trierer Wissenschaftlers Jens Rosenbaum könnten die Wiederwahlchancen der Politiker dadurch geschmälert werden.

Man kann die Ratingagenturen auch als Zertifizierer bezeichnen. Mit der Bewertung der Bonität stellen sie eine Art TÜV aus, nach dem sich Finanzinstitutionen richten müssen.

Die Ratings sind eine Art TÜV - Gütesiegel der BonitätBild: picture-alliance/dpa

"Die Bedeutung der Ratingagenturen ist in erster Linie zurückzuführen auf eine sehr effiziente und erfolgreiche Ausübung ihrer Rolle als Informationsvermittler zwischen Emittenten und Anlegern." So beschreibt Torsten Hinrichs die Aufgabe der Agenturen. Das mag stimmen, zumindest für eine lange Zeit. Denn Investoren brauchten fundierte Informationen über Unternehmen, denen sie Ihr Geld anvertrauen wollten. Diese Informationen lieferten die Ratingagenturen und wurden dafür von den Investoren bezahlt. Doch im Laufe der Zeit wurden die Anleihe-Emittenten, also Unternehmen, die Kapital an den Finanzmärkten einsammeln wollten, zu zahlenden Kunden.

Interessenkonflikt - mit Folgen

Hier besteht ein eindeutiger Interessenkonflikt, sagen Kritiker. Dieser Konflikt wurde besonders eklatant während der Entstehungsphase der Subprime-Krise 2007 in den USA. Die von den Banken bezahlten Ratingagenturen vergaben beste Note an die von den Banken verbrieften Hypotheken. Zum Teil wurden die Bewertungskriterien aufgeweicht, "denn der Wettbewerb zwischen den Agenturen war stark, der Profit erheblich - da schaute man schon mal nicht so ganz genau hin", schreibt Susanne Schmidt in ihrem Bestseller "Markt ohne Moral".

Es war die folgenschwerste Fehleinschätzung der großen Ratingagenturen, jedoch nicht die einzige. Bei der Mega-Pleite des US-Energieriesen Enron 2001 hatten die Bonitätsbewerter zu spät reagiert, ebenso versagten sie zwei Jahre später im Falle des italienischen Lebensmittelkonzerns Parmalat. So belohnte S&P jahrelang die offenbar gefälschten Bilanzen der Italiener mit guter Note. Später beschleunigte die Agentur durch eine Serie von hektischen Herabstufungen den Bankrott des Unternehmens.

Fehler der Agentur - und Parmalat war pleiteBild: AP

Durch die amerikanische Brille

Zudem urteilen die drei Großen aus der Rating-Branche zu sehr aus der amerikanischen Sicht, wird in Europa oft beklagt. Spektakulär war eine gemeinsame Aktion von mehreren deutschen Unternehmen gegen S&P im Jahr 2003, nachdem die Agentur ThyssenKrupp, Linde, der Deutschen Post und der Münchner Rück eine schlechtere Bonität bescheinigt hatte. Grund war eine geänderte Bewertung der Pensionsrückstellung. Die Konzerne warfen S&P damals vor, die deutsche Unternehmenskultur außer acht zu lassen.

Trotz massiver Kritik an den Ratingagenturen wurde nicht daran gezweifelt, dass Ratings aus Sicht des Anlegerschutzes wichtig sind. Auch herrschte unter den europäischen Politikern die Einsicht, dass die drei Ratingriesen aus den USA im Großen und Ganzen ihren Informationspflichten nachgekommen waren und lediglich einer stärkeren Kontrolle bedurften. Sie machten die Bonitätsprüfer sogar zu den wichtigsten Akteuren auf den Finanzmärkten, indem sie Banken und Versicherungen verpflichten, nur Produkte mit einem gewissen Mindestrating zu halten.

Von AAA bis D - die magischen Buchstaben-Kombinationen

Brandbeschleuniger in Krisenzeiten

Richtig in Verruf geraten sind die drei US-Agenturen seit dem Ausbruch der Schuldenkrise in Europa. Ende 2009 war es Fitch, die als erste Griechenland das magische "A" entzogen hatte und eine Abstufungsrallye auslöste.

"Die Ratingagenturen wirken wie Brandbeschleuniger", sagt Rudolf Hickel von der Universität Bremen. Und so läuft es ab: Sie senken zuerst den Ausblick für ein Land auf "negativ" mit der Begründung, dass die Finanzlage nicht solide ist. Damit lösen sie Turbulenzen an den Finanzmärkten aus. Die Zinskosten für Staatsanleihen steigen. Dann stufen sie die Bonität des Landes tatsächlich ab. Der Grund: Die Refinanzierungskosten sind auf Dauer untragbar. Es entsteht ein Teufelskreis.

Verschwörung gegen den Euro?

Schwer nachvollziehbar sei nach Ansicht von Rudolf Hickel auch die Tatsache, "dass die Ratingagenturen ohne einen offiziellen Auftrag und ohne dafür bezahlt zu werden, sich Staaten vornehmen". Denn nur die wenigsten bezahlen Moody's und Co. für ein Länderrating. Das lässt Raum für Spekulation und Verschwörungstheorien. Nach dem Rundumschlag von S&P gegen die Eurozone Mitte Januar äußerten sogar deutsche Unionspolitiker den Verdacht, dass die Agenturen ihren heimlichen Auftraggeber an der Wall Street hätten.

Sieht Ratingagenturen kritisch: Prof. Rudolf HickelBild: Universität Bremen

Eine europäische Ratingagentur müsse endlich her, um den Amerikanern Paroli zu bieten, fordern daher viele Euro-Politiker. Schließlich gebe es genügend Experten bei der Europäischen Zentralbank oder der EU-Kommission. Allerdings befürchten Ökonomen, dass eine Agentur, die an eine EU-Institution angegliedert ist, kaum Vertrauen bei den Anlegern genießen wird.

Eine europäische Agentur in Sicht

Zweifel an ihrer Unabhängigkeit wird die von der Unternehmensberatung Roland Berger geplante Ratingagentur auf europäischer Ebene kaum erwecken. Denn sie soll von einer Stiftung finanziert werden und keinem Einfluss von außen ausgesetzt sein. Der Interessenkonflikt wird auch gelöst, indem sie gemeinnützig statt gewinnorientiert arbeitet. Die Agentur soll im Sommer gegründet sein und Anfang 2013 die ersten Ratings abgeben.

Doch der ehemalige Bundesbankchef Axel Weber zeigt sich generell skeptisch gegenüber einer europäischen Ratingagentur. Er glaube nicht, dass solch eine Agentur viel bringe, sagte Weber neulich auf einer Veranstaltung der Universität Köln. Seiner Meinung nach werden die Ratingagenturen als Überbringer der schlechten Nachricht zu sehr gescholten. Sie hätten die Krise in Europa nicht ausgelöst. Versagt habe die Politik, so Weber.

Autorin: Zhang Danhong
Redaktion: Henrik Böhme

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