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Gesellschaft

Ratlos in Moria

Jannis Papadimitriou Moria
5. Oktober 2019

Das Elend geht weiter im überfüllten Flüchtlingslager von Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Eine riesige Geduldsprobe - nicht zuletzt auch für die Anwohner im benachbarten Dorf Moria.

Griechenland Flüchtlings-Chaos auf Lesbos
Das Lager im Vordergrund, das beschauliche Dorf Moria unweit davon (Archivbild)Bild: DW/D. Tosidis

Dimitrios Karsiotis ist außer sich: "Meine Schafe sind verschwunden und meine Granatapfelernte ist auch weg, diese Leute haben alles geklaut", empört sich der Rentner und Gelegenheitslandwirt. Wenn Karsiotis über "diese Leute" spricht, meint er die Flüchtlinge und Migranten, die im anliegenden Camp von Moria ein trauriges Dasein fristen. Sie erscheinen immer wieder in seinem Dorf. Im Camp gibt es für sie ohnehin keinen Platz. Denn eigentlich war das Zeltlager von Moria für 2800 Menschen angelegt; aber heute verharren dort mehr als 13.000 - unter lebensunwürdigen Umständen.

Im benachbarten Dorf Moria, gut zu Fuß zu erreichen, wohnen ungefähr 1000 Menschen. Sie zögern lange, bis sie einen Kommentar zur Lage vor Ort abgeben, sie wollen nicht als fremdenfeindlich abgestempelt werden. Doch schweigen könne man auch nicht mehr, heißt es.

Stratos Marinatos, der im Krämerladen seines Vaters arbeitet, hofft auf UnterstützungBild: DW/I. Papadimitriou


"Fast alle hier sind tolerant, der eine oder andere hat auch mal Kontakt zu den Neuankömmlingen, aber es gibt halt Probleme" erklärt Stratos Marinatos, der im Krämerladen seines Vaters im Dorf arbeitet. Offenbar geht es um kleinere Strafdelikte, konkreter will der junge Mann nicht werden. Aber wie soll man die "Probleme" in Moria aus der Welt schaffen? Klar, Selbstjustiz sei auch keine Lösung, betont Marinatos. Doch die Herausforderungen seien einfach zu groß, um von den Dorfbewohnern noch allein gemeistert zu werden. Irgendwann, davon ist Marinatos fest überzeugt, müssten sich die Regierenden und nicht zuletzt auch die EU um die Sorgen der Bevölkerung auf Lesbos kümmern. 

Unruhe macht sich breit

Passanten stimmen nickend zu. Für verbindliche Informationen verweisen sie auf den frisch gewählten Gemeindevorsteher Ioannis Mastrogiannis. Der Mann ist pensionierter Veteran der Küstenwache. Nein, sagt er, als Ordnungshüter habe er mit Flüchtlingen in der Ägäis kaum zu tun gehabt, während seiner aktiven Dienstzeit wurde er an verschiedene Orte in Griechenland versetzt. Die aktuelle Lage im Camp beurteilt er skeptisch - allein schon weil Geflüchtete aus über siebzig Ländern dicht gedrängt nebeneinander wohnen: "Auf kleinstem Raum zeigen sich ethnische und religiöse Unterschiede besonders deutlich, da kann es zu Spannungen kommen", glaubt der 70-Jährige.

Gemeindevorsteher Ioannis Mastrogiannis ist besorgt, zeigt aber auch VerständnisBild: DW/I. Papadimitriou


Im Dorf gebe es bisher keine Gewalt, versichert er. Als die ersten Migranten nach Lesbos kamen, hätten die Einheimischen immerhin alles getan, um den Notleidenden zu helfen. Doch mittlerweile mache sich Unruhe breit: "Immer wieder werden Obst, Gemüse oder Nutztiere in unserem Dorf geklaut; die Einwohner fürchten um ihr bescheidenes Vermögen", mahnt der Gemeindevorsteher.

Die Neuankömmlinge prägen das Dorfbild. Sie schlendern durch die Gassen, besorgen sich etwas zu essen, sonnen sich im Grünen. Die meisten stammen aus Afghanistan. Auch Frauen sind gelegentlich in kleineren Gruppen unterwegs. Wer schon einmal ein Flüchtlingscamp von innen gesehen hat, kann diesen Menschen kaum verübeln, dass sie auch mal Obst am Straßenrand pflücken. Doch die Möglichkeiten der Einheimischen sind nicht unbeschränkt.

Rentner und Landwirt Dimitrios Karsiotis (rechts, mit Freunden) weiß nicht, wie es weitergehen sollBild: DW/I. Papadimitriou

Rentner Dimitrios Karsiotis gibt zu bedenken, er müsse mit 338 Euro Rente auskommen und sich zudem um arbeitslose Verwandte kümmern. Auch deshalb war er auf sein Zusatzeinkommen als Schafzüchter angewiesen. Dass er dreißig Schafe verloren hat, könne er nicht mehr verschmerzen - trotz einmaliger Entschädigung in Höhe von 1700 Euro. "Die Schafzucht bescherte mir ein Jahreseinkommen von 3000 Euro, aber dieses Geld ist für immer weg. Ich bin erledigt", klagt Karsiotis. 

Eine Insel mit Auswanderertradition

Lesbos, die drittgrößte Insel Griechenlands, hat selbst eine lange Auswanderertradition: In den 1960er Jahren gingen Tausende nach Deutschland, Australien oder in die USA, um dort zu arbeiten. Nicht zuletzt deshalb zeigten viele Menschen auf der Insel in den letzten Jahren Mitgefühl für Geflüchtete aus aller Welt. Eine 85-jährige Großmutter, die am Strand von Sykamia Brot an Neuankömmlinge verteilte, war 2016 sogar für den Friedensnobelpreis nominiert - stellvertretend für die gesamte Inselbevölkerung.

Das Dorf Moria - pittoresk, doch nicht ohne ProblemeBild: DW/I. Papadimitriou

Ganz selbstverständlich scheint diese Solidarität nun nicht mehr. Ioannis Mastrogiannis sagt, er habe besonderes Verständnis dafür, was es bedeutet, die Heimat zu verlassen um woanders ein besseres Leben aufbauen zu können. Schließlich sei auch sein eigener Sohn vor langer Zeit in die USA ausgewandert und lebt heute in New York. Allerdings: "Er war damals ganz legal eingereist und respektiert auch heute in vollem Umfang die Gesetze und Vorschriften seines Aufenthaltslandes", mahnt der Gemeindevorsteher von Moria.

 

Das Elend von Moria

03:39

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