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Kunst

Kulturgüter als Beute

23. Mai 2021

Die Debatte um Raubkunst hat eine lange Geschichte - bis in die Antike: Das zeigt die neue Studie "Beute". Beteiligt ist auch Historikerin Bénédicte Savoy.

Diese Karikatur von Udo J.Keppler mit dem Titel The Magnet publizierte die New Yorker 
Satirezeitung Puck am 21. Juni 1911. Die Doppelseite mit dem farbigen Offsetdruck stellt einen unmissverständlichen Kommentar zur aufkommenden Verstrickung von Finanzwirtschaft und privater Sammlungstätigkeit am Anfang des 20. Jahrhunderts dar
Diese Karikatur von Udo J.Keppler kommentiert die Verstrickung von Finanzwirtschaft und privater Sammlungstätigkeit zu Beginn des 20. JahrhundertsBild: Library of Congress Prints and Photographs Division, Washington, D. C./MSB Matthes & Seitz Berlin

Wem gehören Kulturgüter? Ab wann handelt es sich um Raubkunst? Und wie sollen die Museen in Zukunft damit umgehen? Zuletzt drangen diese Fragen von der Museumswelt in die Öffentlichkeit, als es um die Rückgabe der Benin-Bronzen an Nigeria ging, zu der Deutschland sich ab 2022 verpflichtet hat. Ein Durchbruch, denn über Jahre wurden Forderungen abgewendet. Dabei liegen schätzungsweise rund 90 Prozent des kulturellen Erbes Subsahara-Afrikas in westlichen Museen.

Dass die Diskussion um den rechtmäßigen Erwerb und Besitz von Kulturgütern viel älter ist - nämlich bis in die Antike zurückreicht, das zeigt jetzt eine Doppelpublikation mit dem schlichten, aber sehr prägnanten Titel "Beute". Sie besteht aus einem Bildatlas, in dem die Ikonografie von Entnahmen von Kulturgut gezeigt wird und einer Anthologie, die Texte zu Kunstraub und Kulturerbe bündelt. Die Bände setzen 600 vor Christus ein und enden 2015 und sind das Ergebnis einer dreijährigen Teamarbeit an der Technischen Universität Berlin.

Napoleon ahmt die Pose eines antiken Gottes nachBild: Library of Congress Prints and Photographs Division, Washington, D. C./MSB Matthes & Seitz Berlin

An der Herausgabe beteiligt sind: Isabelle Dolezalek, Merten Lagatz, Bénédicte Savoy, Philippa Sissis und Robert Skwirblies. Sie haben für die aufwendige Publikation mit über 80 internationalen Autoren zusammengearbeitet. Darunter befanden sich auch 25 Studierende, sozusagen die "zukünftigen Museumsmitarbeiter und Wissenschaftler", wie es Philippa Sissis ausdrückt. "Es wird hier nicht nur Wissen verbreitet, sondern gleichzeitig sind damit eine ganze Menge Leute gewachsen." So werde an einem Bewusstseinswandel mitgearbeitet, bei dem sich die Studierenden "ihre eigene Meinung gebildet haben und jetzt in die Welt hinausgehen können und sagen: 'Das ist selbstverständlich, dass wir darüber nachdenken, wo die Dinge hingehören.'"

Die Legende vom Rettungsnarrativ

"Wo die Dinge hingehören", darüber hatten sich bereits Autoren in der Antike wie Cicero oder Polybios Gedanken gemacht. Später schlossen sich etwa Schriftsteller wie Victor Hugo, Emile Zola, Friedrich Schiller oder Johann Wolfgang von Goethe an. Durch den Blick in die literarische Vergangenheit zeigen die fünf Herausgebenden, dass sich sogar Ausrufe und Formulierungen in den Texten wiederholen: "Wir haben es Rettungsnarrativ genannt", so Robert Skwirblies. "Es bedeutet, dass es das Argument gibt: 'X sagt, wir haben Objekte von Y genommen, weil sie sonst kaputt gegangen wären.'"

So wurde suggeriert, dass der Akt der Beutenahme uneigennützig erfolgte, um die Objekte zu schützen und zu bewahren. Dass dabei oft massiv Gewalt angewendet wurde, konnte mit dem Rettungsnarrativ verschleiert werden.

Viele Artefakte aus Afrika waren ursprünglich Teil religiöser Rituale. Dieses Bild zeigt einen Priester in der heiligen Stadt Ilé-Ifè, Nigeria mit der Bronze, die sich in seiner Obhut befandBild: Burlington Magazine/MSB Matthes & Seitz Berlin

Sprache, oder vielmehr Sprachen, spielen bei der Forschung des Autorenteams allgemein eine große Rolle. In Frankreich etwa spreche man bei der Debatte um Kulturgüter auch heutzutage noch von künstlerischer Eroberung, also von conquête artistique, in Italien hingegen von furto, also Diebstahl. "Jedes Wort hat eine Perspektive in sich eingekapselt", erklärt Bénédicte Savoy. Die Kunsthistorikerin gilt als führende Wissenschaftlerin im Bereich Raubkunst. Sie war es, die die aktuelle Restitutionsdebatte maßgeblich mit angestoßen hat: 2018 beauftragte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sie und den senegalesischen Ökonomen Felwine Sarr mit einer vielbeachteten Studie zur Rückgabe über afrikanisches Kulturerbe.  

Kulturgüter im Wandel der Zeit

Ziel der "Beute"-Bände ist es, die Geschichte der Kulturgüter nicht nur im Kontext ihrer Entstehung oder Präsentation zu beleuchten, sondern auch im Hinblick auf die wechselhaften Eigentumsverhältnisse, in denen sie sich befanden und befinden. Um diese Vielschichtigkeit zu benennen, hat das Team den Begriff Translokation geprägt: "Mit diesem Begriff haben wir ein Werkzeug, das uns erlaubt, eben all diese Perspektiven zu haben", so Savoy. Einerseits werde hier geografisch argumentiert, also die Bewegung von einem Ort zum anderen betrachtet, und andererseits humangenetisch, im Sinne der Veränderung eines Erbes - in diesem Fall eben kein menschliches, sondern ein Kulturerbe.

 

Restitution wird nicht nur gefeiert: Dieser Künstler weint um die Kunstwerke, die 1815 aus dem Pariser Museum entfernt und in ihre Herkunftsländer zurückgebracht werdenBild: Bibliothèque nationale de France, Paris/MSB Matthes & Seitz Berlin

"Es ist nicht so, dass die Objekte bleiben, während sich die Zeit verändert. Auch die Objekte verändern sich", führt Savoy weiter aus, "und wenn man heute von Restitution spricht, dann von einer Rückgabe eines anderen Selbem sozusagen." Oftmals würden die Objekte auch eine ganz spezifische Transformation durchlaufen, nämlich indem sie subjektiviert würden: "Wir haben hier Abbildungen von Objekten, die weinen oder sprechen und sagen: 'Ich will nach Hause oder ich fühle mich hier unwohl oder ich bin verstümmelt'", erklärt die Kunsthistorikerin.

Die verlorene Seele

"Wenn man Kulturgut verliert, verliert man einen Teil seiner Identität und das hält lange an", ergänzt Isabelle Dolezalek. Die gängige Argumentation, dass zu früheren Zeiten andere Rechte oder Sitten geherrscht hätten, die zum Beispiel eine Entnahme von Kunst aus kolonialem Kontext legitimiert habe, werde so entkräftet. "Es ist nicht einfach vergessen, wenn man anfängt, an der Identität einer Gesellschaft zu kratzen, indem man ihr die Kultur wegnimmt."

Triumphal inszeniert mit nüchterner Botschaft auf dem LKW: "Die Florentiner Kunstwerke kehren aus Südtirol zurück in ihre Heimat".Bild: U. S. National Archives, Maryland/MSB Matthes & Seitz Berlin

Die gekonnte Inszenierung der Bilder von entnommenen Kulturgütern ist ein weiterer zentraler Punkt, dem sich "Beute" widmet: Welche Motive werden verwendet und wie werden sie umgedeutet? Ein wiederkehrende Motiv ist der Triumph: Dieses Gefühl entsteht bei der Beutenahme Roms im antiken Griechenland, den napoleonischen Eroberungen oder den kolonialen Raubzügen, der Zerstörung unter den Nationalsozialisten genauso wie bei der Restitution von Kunstschätzen wie auf oben angefügtem Bild.

"Eine weitere wichtige Sache ist, dass Objekte, wenn sie an einem Ort sind, immer die Möglichkeit von Befruchtungsprozessen an diesen Objekten oder in der Arbeit mit diesen Objekten ermöglichen", so Merten Lagatz. Der Historiker führt das Beispiel von "La Nature" an, einer französischen populärwissenschaftlichen Zeitschrift aus der Kolonialzeit, in der sich ein Wissenschaftler bewusst beim Studium von gerade frisch im Museum eingetroffenen Objekten inszeniert. Die gezeigte Sammlungstätigkeit soll die eigene Überlegenheit verdeutlichen. "Für die Gesellschaften aber, aus denen die Objekte stammen, gibt es diese Zeugnisse nicht", so Lagatz. "Die Objekte sind einfach nicht mehr da. Diese Leerstelle der Bilder zu zeigen, ist auch ein Ergebnis unserer Forschung", so Lagatz. 

Im Dezember 2020 beschloss das französische Parlament die Rückgabe dieser drei Skulpturen an das westafrikanische Benin.Bild: Cnum – Conservatoire numérique des Arts et Métiers, Paris/MSB Matthes & Seitz Berlin

Museen sind keine toten Lager von Objekten

Dass in Europa in den letzten Jahren und Monaten Bewegung in die Diskussion um den Umgang mit Kunst aus Unrechtskontexten gekommen ist, bewerten die Herausgeber als sehr positiv. "Wir sind froh, dass die Museen nicht so eine Art totes Lager von Objekten sind oder so verstanden werden", sagt Robert Skwirblies. Mit den "Beute"-Bänden wollen die fünf Herausgebenden zeigen, dass es die Debatten, wem Kulturgüter letztlich gehören, immer schon gab und wie wichtig es ist, sie auch weiterhin zu führen.

Die Bände "Beute - Eine Anthologie zu Kunstraub und Kulturerbe" (Isabelle Dolezalek, Bénédicte Savoy, Robert Skwirblies) und "Beute - Ein Bildatlas zu Kunstraub und Kulturerbe" (Merten Lagatz, Bénédicte Savoy, Philippa Sissis) sind 2021 beim Matthes & Seitz Verlag in Berlin erschienen. 

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