Es ist ein neuer Höhepunkt im jahrelangen Streit um das Flechtheim-Erbe: Die Nachfahren des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim haben den Freistaat Bayern vor einem US-Gericht verklagt.
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Der Vorwurf: Die Museen des Landes, allen voran die Bayerische Staatsgemäldesammlung, zeigten mangelnde Kooperation beim Versuch einer Einigung über die Rückgabe von mehreren Kunstwerken.
Der in den 1920er und 30er Jahren bekannte und in Kunstkreisen hochgeachtete jüdische Kunsthändler und -sammler Alfred Flechtheim (Artikelbild) war während der Nazi-Diktatur verfolgt und enteignet worden. Er ging nach London ins Exil und verstarb dort mittellos. Die Nazis konfiszierten die Kunstsammlung und das komplette Flechtheim-Vermögen. Die Gemälde wurden versteckt, unter der Hand verkauft und in alle Winde verstreut.
Viele Kunstwerke, die in der Nazizeit als "entartet" galten und geraubt wurden, haben heute einen hohen Wert und hängen teilweise in Museen auf der ganzen Welt. Oft gibt es zwischen Museen und Erben großer Kunstsammler langwierige Prozesse um die Rückgabe der Werke. Während einige Museen mit den Erben einig wurden, tut sich Bayern dagegen schwer damit. Das beklagen viele jüdische Familien, gerade in den USA.
Alfred Flechtheim: Kämpfer für die Avantgarde
Die Sammlung des jüdischen Kunsthändlers war die bedeutendste des 20. Jahrhunderts. Die Nazis zerstreuten sie in alle Winde, jetzt hängen die Bilder in vielen Museen. Die Erben fordern viele Kunstwerke vergeblich zurück.
Bild: Public Domain
Gemeinsame Leidenschaft
Als der Industriellensohn Alfred Flechtheim die Kunst für sich entdeckte, gab es für ihn keine Grenzen mehr. Sein Geld und die Mitgift seiner Frau Betti legte er in Bildern an. Er förderte junge, wilde Nachwuchsmaler, die er in der Pariser Szene auftat - und brachte große Teile der deutschen Kunstszene gegen sich auf. Dennoch sorgte er für den Durchbruch der modernen Kunst in Deutschland.
Bild: gemeinfrei
"Entartete Kunst"
Die Nationalsozialisten bereiteten Flechtheims erfolgreichem Wirken ein jähes Ende. Als Jude wurde er diffamiert und schon 1933 in die Flucht nach London getrieben, wo er 1937 mittellos starb. Seine Galerien waren von den Nazis geschlossen worden, die Gemälde beschlagnahmt, verhökert und versteckt. Das Bild "Häuser am Berg" (1926) von Paul Klee stammt aus der Sammlung und hängt jetzt in Stuttgart.
Bild: Staatsgalerie Stuttgart
Jahrelanges Streiten
Um viele Bilder streiten sich die Flechtheim-Erben mit Museen, Sammlern und Galerien. In zahlreichen namhaften Museum hängen Bilder aus der Flechtheim-Sammlung, von Künstlern wie Picasso, Matisse, Degas, Munch oder auch dieses Bild von Paul Signac: "Venedig" (1908) ist in der Hamburger Kunsthalle zu sehen.
Nach Flechtheims Flucht eignete sich ein enger Mitarbeiter seinen Besitz an und machte ihn zu Geld. Für 1.800 Mark verkaufte er das "Porträt der Tilla Durieux" von Oskar Kokoschka an den Kölner Sammler Josef Haubrich. Der wiederum schenkte seine Sammlung 1946 der Stadt Köln. Flechtheims Erben klagten, und schließlich musste Köln das Bild im Wert von drei Millionen Euro im Juni 2013 zurückgeben.
Bild: picture-alliance/dpa
Übereinkunft in Blau
Während sich die Kölner mit der Rückgabe schwertaten, waren andere Museen kooperativer. So hat das Kunstmuseum Bonn das Bild "Leuchtturm mit rotierenden Strahlen" (1913) des rheinischen Expressionisten Paul Adolf Seehaus zurückgegeben. Die Erben wurden ausgezahlt, das Bild durfte hängenbleiben.
Bild: Kunstmuseum Bonn/Reni Hansen
Provenienz eindeutig
Die Provenienz, also die Herkunft des Bildes, ist gerade bei Nazi-Raubkunst nicht einfach zu ermitteln. Bei dieser "Läuferin" von Willi Baumeister (1927) ist sie klar: Der Künstler gab das Bild in Kommission bei Flechtheim ab, erhielt es aber später wieder zurück und verkaufte es an den Sammler Hugo Borst. Dessen Erbe reichte es an die Staatsgalerie Stuttgart weiter, wo es heute auch hängt.
Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2013
Museen arbeiten zusammen
Pünktlich zum 100. Jahrestag der Eröffnung der ersten Flechtheim-Galerie in Düsseldorf am 9. Oktober 1913 stellen 15 Museen Kunstwerke aus, die aus Flechtheims Sammlung stammen. Gleichtzeitig gibt es den Launch der Webseite AlfredFlechtheim.com, auf der die Wege der Bilder aus seiner Sammlung nachgezeichnet werden. Auch dieses "Blumenstilleben" (1918) des Expressionisten Max Pechstein ist dabei.
Ob Namen wie Picasso, van Gogh, Matisse, Klee, Munch, Cézanne oder Pechstein - Flechtheim hatte so ziemlich jeden Maler des frühen 20. Jahrhunderts unter seinen Fittichen. Mit vielen verband ihn auch eine enge Freundschaft. Kein Wunder, dass er auch oft von ihnen gemalt wurde, hier von Hanns Bolz (1910). Andere Porträts gibt es von Ernst Linnekamp, Karl Hofer oder Otto Dix.
Bild: Public Domain
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Erbitterter Streit
Kaum ein Streit jedoch ist erbitterter als dieser. Flechtheims 70-jähriger Großneffe Michael Hulton aus San Francisco und seine demnächst 90 Jahre alte Stiefmutter Penny Hulton aus England erheben in ihrer Klage Anspruch auf acht wertvolle Werke der Klassischen Moderne, darunter sechs Gemälde von Max Beckmann und je eins von Juan Gris und Paul Klee. "Diese Bilder waren Teil der großen privaten Kunstsammlung Flechtheims. Er verlor sie wegen der Politik von Rassenverfolgung und Völkermord", heißt es in der von Anwalt Markus H. Stötzel zur Verfügung gestellten Klageschrift. Der Freistaat Bayern hält dagegen, dass nicht eindeutig bewiesen sei, dass die Bilder tatsächlich von den Nazis gestohlen worden seien.
Schon im vergangenen Jahr hatten 29 Abgeordnete des US-Kongresses in einem Brief an den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) ein stärkeres Engagement für die Rückgabe von NS-Raubkunst aus Bayern gefordert. Es gab keine Reaktion. Nun wird ein New Yorker Gericht den Fall Flechtheim verhandeln.