Das Zentrum Kulturgutverluste debattiert über die Rückgabe kolonialer Objekte. Deutschland stehe dabei ganz am Anfang, so Staatsministerin Monika Grütters.
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"Wenn wir uns mit Museen in einem kolonialen Kontext befassen, werden wir damit konfrontiert, dass historisches Trauma und gegenwärtiges Trauma koexistieren", sagt Noelle M.K.Y. Kahanu während der Konferenz des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste in Berlin zur Rückgabe von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten. Das Ergebnis dieser "hewa" (hawaiianisch für 'Sünde', Anmerk. der Red.), das Unrecht des ursprünglichen Diebstahls, bestehe fort. "Doch im Moment des Diebstahls liegt auch die Saat für ihre Rückkehr", so die Wissenschaftlerin der Universität von Hawaii weiter.
Versöhnliche Töne zum Auftakt dieser Konferenz, die aber auch zum Nachdenken anregen und zeigen, wie tief der Verlust von kulturellem Erbe auch in der Gegenwart wiegt. Aus Hawaii sind im Laufe der Jahrhunderte etliche Gegenstände in einem unrechtmäßigen Zusammenhang nach Europa gelangt, darunter sind sakrale Objekte sowie menschliche Gebeine. Nur langsam führen Restitutions- und Repatriierungsanfragen zu Ergebnissen. Im Oktober 2017 etwa restituierten die Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen menschliche Gebeine an Nachfahren aus Hawaii. Dem voraus gingen 26 Jahre vergeblicher Repatriierungsanfragen von hawaiianischer Seite.
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Der lange Weg der Restitution
Frankreich restituiert Beutekunst an Benin
Vor ihrer Rückgabe Mitte November werden die 26 Kunstgegenstände aus dem einstigen Königreich Dahomey im Pariser Musée du Quai Branly ausgestellt.
Bild: Lois Lammerhuber/musée-du-quai-Branly
Sonderausstellung in Paris
Fast 130 Jahre nach ihrer Aufnahme in die französische Sammlung werden die Kunstgegenstände nun an das westafrikanische Benin zurückgegeben. Zuvor waren die Werke aus dem einstigen Königreich Dahomey, das sich entlang der Bucht von Benin auf einer Länge von knapp 300 km vom heutigen West-Nigeria bis ins heutige Ghana erstreckte, in einer Sonderausstellung vom 26.- 31. Oktober in Paris zu sehen.
Bild: Pascal Rossignol/REUTERS
"Eine Rückkehr in den Schoß"
Bei der symbolträchtigen Eröffnung der Ausstellung bezeichnete Emmanuel Macron die Rückgabe der Werke als "Rückkehr in den Schoß". Frankreichs Präsident wird seinen beninischen Amtskollegen Patrice Talon am 9. November im Elysée-Palast empfangen, um "die Eigentumsübertragung formell zu bestätigen". Auf diesem Bild betrachtet er den Thron von Ghezo, der Dahomey von 1818 bis 1858 regierte.
Bild: Michel Euler/AP Photo/picture alliance
Ein gefürchtetes Königreich
Im 17. Jahrhundert gegründet, existierte das mächtige afrikanische Königreich Dahomey rund 260 Jahre lang - bis 1890 französische Truppen in das Land einfielen und es letztlich eroberten. Béhanzin (Bild) gilt als der letzte unabhängiger Herrscher. Er führte den Widerstand gegen die Invasoren an, musste aber schließlich kapitulieren. Mit seiner Familie lebte Béhanzin bis zu seinem Tod im Exil.
Bild: picture alliance/Mary Evans Picture Library
Königliche Statuen
Im Zuge der Eroberung durch französische Truppen wurden 1892 zahlreiche Artefakte, darunter diese drei Königsstatuen, aus dem Königspalast in Abomey gestohlen und nach Frankreich gebracht. Dort wurden sie zunächst im ethnologischen Musée du Trocadéro ausgestellt, bevor sie 2006 in das von Altpräsident Jacques Chirac initiierte und über 235 Millionen Euro teure Musée du Quai Branly zogen.
Bild: picture-alliance/dpa/G. Julien
Ankunft in Benin wird erwartet
Benin, das 1960 unabhängig wurde, hat die französische Regierung 2016 schriftlich zur Rückgabe der Werke aufgefordert. Wenn die Kunstwerke demnächst in ihrer ursprünglichen Heimat ankommen, sollen sie zunächst im Haus des Gouverneurs in der Küstenstadt Ouidah ausgestellt werden. Danach ziehen sie weiter in die einstige Königsstadt Abomey, wo ein ganz neues Museum entstehen soll.
Bild: Stefan Heunis/AFP/Getty Images
Ein eingelöstes Versprechen
2017 hatte sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verpflichtet, ein Gesetz zur Rückgabe von Beutekunst zu ermöglichen. Bis dato unterlagen die von Frankreich aufbewahrten Kulturgüter einem besonderen rechtlichen Rahmen: Als öffentliches Eigentum waren sie unverkäuflich, unabhängig von den Umständen des Erwerbs. 2020 wurde das Gesetz verabschiedet, das die Übertragung von Sammlungen ermöglicht.
Bild: Ludovic Marin/AFP via Getty Images
Das Schwert von El Hadj Omar
Neben der Rückgabe der beninischen Kunstschätze verpflichtete sich Frankreich damals zur Rückgabe eines wertvollen Schwerts des Feldherrn und Gelehrten El Hadj Omar an das heutige Senegal. Dabei handelte es sich um die erste Rückgabe, die Frankreich 2019 an eine seiner ehemaligen Kolonien leistete. Auf diesem Bild nimmt Senegals Präsident Macky Sall (rechts) es entgegen.
Bild: AFP Seyllou/AFP via Getty Images
Wertvolle Holzarbeiten
Neben den eingangs erwähnten Königsstatuen werden noch weitere königliche Insignien wie Zepter und tragbare Altäre an Benin restituiert. Auch dieser reich verzierte königliche Stuhl wird nach Westafrika zurückgegeben. Neben Benin haben sechs weitere afrikanische Staaten - Senegal, Mali, Tschad, die Elfenbeinküste, Äthiopien und Madgaskar - Rückgabeforderungen an Frankreich gestellt.
Bild: Pauline Guyon/musée-du-quai-Branly
Verlorenes Erbe
Schätzungen zufolge verfügt Europa über 90 Prozent des afrikanischen Kulturerbes. Allein in den Sammlungen des Pariser Musée du Quai Branly befinden sich rund 70.000 Kunstwerke aus Subsahara-Afrika. Mehr als die Hälfte wurde während der französischen Kolonialherrschaft erworben - derzeit laufen Untersuchungen, ob sie aus einem Unrechtskontext stammen.
Bild: Pauline Guyon/musée-du-quai-Branly
Übergabe für Mitte November geplant
Auch andere Länder Europas haben sich dazu verpflichtet, Kunst aus kolonialem Unrechtskontext an die Ursprungsländer zurückzugeben. Deutschland etwa möchte ab 2022 die sogenannten Benin-Bronzen an Nigeria zurückgegeben. Die 26 Werke aus dem einstigen Königreich Dahomey sollen nach der Unterzeichnung der Übergabedokumente am 9. November umgehend per Frachtflugzeug nach Benin gebracht werden.
Bild: Pauline Guyon/musée-du-quai-Branly
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Wie es dazu kommen kann, dass über so viele Jahre unbeantwortete Forderungen im Raum stehen, das beleuchten mehr als 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Expertinnen und Experten aus der ganzen Welt während der dreitägigen Online-Konferenz. Sie gehen dabei weit in die Vergangenheit zurück, zeichnen die Auseinandersetzungen zwischen den Museen und den Herkunftsgesellschaften nach, spüren auf, wo Unrecht in den Archiven verdeckt werden sollte und diskutieren, was die "Heimkehr" menschlicher Gebeine oder kultureller Gegenstände für Gesellschaften bedeuten können.
Diese Debatte sei sehr willkommen und längst überfällig, konstatiert Hermann Parzinger, Leiter der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, bei der Auftaktveranstaltung. "Die Frage der Dekolonisierung ist definitiv nicht nur eine Frage der Museen. Es ist eine Herausforderung für unsere gesamte Gesellschaft und für viele andere Institutionen, die ebenfalls davon betroffen waren."
Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit
Kulturstaatsministerin Monika Grütters merkte in ihrer Rede an, dass bereits einige "historische Wegmarken" in der Aufarbeitung deutscher Kolonialgeschichte erreicht worden seien: So etwa die Rückgabe der Peitsche und der Bibel des lokalen Volkshelden Hendrik Witbooi an Namibia oder die Verpflichtung Deutschlands, die sogenannten Benin-Bronzen an Nigeria ab 2022 zu restituieren. Sie betonte aber weiter: "Dieses Thema muss und dieses Thema wird aber auch weiterhin eine hohe kulturpolitische Priorität haben, auch und gerade hier in Deutschland." Hierzulande stehe man bei der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit noch ganz am Anfang, politisch wie gesellschaftlich.
Einer dieser "Anfänge" ist unter anderem die Förderung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste, das zu der 500 Teilnehmer starken Konferenz eingeladen hat. 40 geförderte Projekte mit einer Gesamtsumme von rund 4,4 Millionen Euro ist die bisherige Bilanz des in Magdeburg ansässigen Zentrums.
Ein Schwerpunkt der Konferenz liegt auf der Debatte rund um die Rückgabe kultureller Gegenstände aus Subsahara-Afrika. Schätzungen zufolge befinden sich zwischen 80 und 90 Prozent seines kulturellen Erbes in westlichen Museen. Während der Kolonialzeit wurden viele Stücke unrechtmäßig erworben und landeten in europäischen Sammlungen. Seit einigen Jahren geht ein Ruck durch die europäische Museumslandschaft, doch bis sich Europa überhaupt gesprächsbereit für Restitution zeigte, war es ein langer Weg.
Auf diesen Umstand ging etwa Wolbert G.C. Smidt ein, der an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena und an der Mekelle Universität in Äthiopien lehrt. In seinem Bericht führte er aus, dass es bereits in den 1870er-Jahren Rückgabeforderungen seitens des ostafrikanischen Landes gegeben habe, unter anderem von sakralen Gegenständen. Bis zum heutigen Tage sind einige dieser Insignien nicht zurückgegeben worden, "was de facto eine Untergrabung der äthiopischen Macht und der Selbstdefinition von Macht in Äthiopien und der äthiopischen Bevölkerung bedeutet", betonte Wolbert.
Welche Lehren etwa aus solchen gescheiterten Restitutionsersuchen gezogen werden können, darum soll es unter anderem in der Abschlussveranstaltung der Konferenz am Freitag (19.11.) gehen. Für alle Beteiligten scheint aber schon jetzt klar, dass noch viel für die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit getan werden muss.