Raue Realität in Modis Indien
5. November 2014Der Himmel ist grau mit einem gelblichen Schleier. Die Sonne kommt durch die dicken Wolken kaum durch. Der chaotische Autoverkehr in der indischen Hauptstand macht es auch nicht besser. In der Hindustan Times wird über die schlechte Luftqualität in Neu Dehli diskutiert. Warum tut die Regierung nichts, fragen sich einige.
Narendra Modi ist erst seit fünf Monaten Premierminister, und doch scheint die indische Bevölkerung wahre Wunder von ihm zu erwarten. Er soll die Luftqualität verbessern, Millionen Menschen aus der Armut bringen, die Korruption bekämpfen, für Frieden mit den Nachbarn sorgen, ausländische Investoren ins Land holen und vieles mehr.
Schuld an diesen hohen Erwartungen ist der Premierminister selbst. In mitreißenden Reden verbreitet er seine Vision vom neuen Indien. Jetzt erwarten die Menschen, dass er liefert. Doch Reformen brauchen Zeit.
Kritik von der Opposition
"Jeden Tag oder mindestens jeden zweiten Tag wird ein Programm verkündet, wir machen dies, wir machen jenes", kritisiert Sheila Dikshit, Mitglied der oppositionellen Kongreßpartei und früher Chefministerin Dehlis.
Sie zeigt sich wenig beeindruckt von der bisherigen Regierungsarbeit, was angesichts der herben Wahlniederlage der Kongreßpartei vor einigen Monaten auch nicht verwunderlich ist.
An diesem Montag lud Premierminister Modi acht Chefredakteure großer indischer Zeitungen zu einem Hintergrundgespräch ein. "Give me more time to learn my job" - "gebt mir mehr Zeit, meinen Job zu lernen", soll Modi um Verständnis geworben haben, berichtet ein Teilnehmer. Wann der Lernprozess vorbei ist, weiß niemand. Vielleicht hört er nie auf - das muss nicht unbedingt schlecht sein.
Weniger Bürokratie
Erste Erfolge der Modi Regierung sind aber schon spürbar. Die notorisch langsame Bürokratie bewegt sich, heißt es. Beamte sollen jetzt nicht erst gemütlich gegen 10.30 ins Büro kommen, sondern spätestens um 9 Uhr am Schreibtisch sitzen und auch länger bleiben.
Auch die Stimmung in Unternehmen verbessert sich. "Wir können jetzt nicht mehr schikaniert werden“ erzählt Kapil Sehgal, Managing Director von Bucher Hydraulics, einem mittelständischen Maschinenbaubetrieb vor den Toren der indischen Hauptstadt.
Bisher hätten Inspektoren unangekündigt in jedem Betrieb Indiens erscheinen und vom Feuerlöscher bis zur Kantine alles überprüfen können, erzählt er. Irgendetwas fanden sie immer - es sei denn, der Unternehmer zahlte Bestechungsgeld.
Jetzt müssen Inspektoren ihren Besuch vorher ankündigen, online und für alle einsehbar. Die Regierung will zusätzlich per Gesetz regeln, dass nicht nur der strafrechtlich verfolgt werden kann, der Bestechungsgeld annimmt, sondern auch der, der gezahlt hat.
Unternehmen sind optimistisch
Unternehmensleiter Sehgal ist erleichtet, dass er den Inspektoren nicht mehr ausgeliefert ist. Er rechnet für sein Unternehmen generell mit rosigen Zeiten. Stolz zeigt der Inder die große Fabrikhalle, in der neue Maschinen aufgestellt und Dutzende Arbeitsplätze geschaffen werden. "Unsere Anträge auf Genehmigung werden bei den Behörden jetzt viel schneller bearbeitet", erzählt er.
"Wir müssen die Korruption bekämpfen", steht unter dem Gesicht des Premierministers auf großen Plakaten, die im ganzen Land aufgehängt werden. Ein korruptionsfreies Indien ist eine Vision, die viele Inder mit ihrem Premierminister teilen.
Die Organisation Transparancy International, die einen weltweit anerkannten Korruptionsindex veröffentlicht, listet das Land auf Platz 94. Damit gehört Indien zu den korruptesten Ländern der Welt.
Modi scheint in Eile. Am Sonntag (02.11.2014) erklärte er, seine Regierung werde Korruption "streng verfolgen und den sozialen Wandel forcieren". Der Premierminister, der sonst gerne soziale Medien wie Facebook oder Twitter für seine Kampagnen nutzt, setze diesmal auf das eher altmodische Radio als Medium. Damit wollte er breitere Bevölkerungskreise erreichen, speziell auf dem Land.
Im Durchführen von Kampagnen kann Modi und seinem Team niemand etwas vormachen. Professionell und effizient werden die Themen platziert. "Make in India" - "produzieren in Indien", diesen Aufruf verkündete der Premierminister öffentlichkeitswirksam am indischen Unabhängigkeitstag.
Ausländische Investitionen werden erleichtert, gleichzeitig sollen die Inder mehr einheimische Produkte kaufen und die verarbeitende Industrie ausgebaut werden. Denn noch immer arbeiten über 60 Prozent der Inder in der Landwirtschaft. Die trägt aber nur rund 15 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei.
Modi kommt nach Deutschland
Bei den ausländischen Investitionen gibt es schon Erfolge. Japan will in Indien eine Hochgeschwindigkeitsstrecke für Züge bauen. US-Unternehmen wollen stärker investieren, und auch deutsche Firmen zeigen wachsendes Interesse. Im April kommt Premierminister Modi voraussichtlich auf Staatsbesuch nach Deutschland. Dann soll er auch die Industrieschau Hannover Messe besuchen, bei der Indien 2015 Partnerland ist.
Eine besondere Herausforderung sind die vielen jungen Inder, die keine Arbeit finden. Modi will pro Jahr zehn Millionen neue Jobs schaffen, um die sozialen Probleme Indiens zu entschärfen. Zwei Drittel der 1,2 Milliarden Inder sind unter 35 Jahren alt. Sie brauchen Arbeitsplätze, damit die Zahl der Tagelöhner oder Arbeitslosen nicht weiter wächst.
Rahul Chhetrie ist 19 Jahre alt. Die Schule musste er abbrechen, um seinem Vater zu helfen, der sich als Tagelöhner verdingt. Jetzt besucht Rahul einen Kurs für Reinigungstechniker im Ausbildungszentrum der Varadakshmi Stiftung, die Jugendliche aus armen oder sozial benachteiligten Familien fördert. "Ohne diese Ausbildung hätte ich niemals genug verdienen können. Jetzt werde ich eine Chance haben", erzählt er stolz.
Tatsächlich konnte die Stiftung bisher jedem ihrer 250 Absolventen einen Arbeitsplatz vermitteln. Die Ausbildung wird vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) unterstützt, außerdem der staatlichen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und zahlreichen deutschen Mittelständlern.
Das Engagement ist nicht selbstlos: Die Unternehmen brauchen dringend ausgebildete Jugendliche für ihre neuen Produktionsstätten in der indischen Hauptstadt. "Make in India" - dieses Motto haben sie ernst genommen.