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"Raumschiff Brüssel" fliegt den Bürgern davon

Bernd Riegert, Brüssel17. Juni 2005

Die EU-Staatschefs haben sich und ihren Bürgern eine Pause beim Thema EU-Verfassung gegeben. Hoffen die Politiker auf bessere Zeiten? Bernd Riegert kommentiert.


Die Antwort auf die bislang schwerste Identitätskrise der Europäischen Union fiel, gelinde gesagt, bescheiden aus. Die Staats- und Regierungschefs konnten sich nur darauf verständigen, dass jeder weitermachen kann, wie es ihm gefällt. Nach den negativen Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden soll eine mindestens einjährige Pause zum Nachdenken folgen.

Hinter dieser Pause verbirgt sich aber ein großes Stück Ratlosigkeit, wie Europa aus der Sackgasse herausfinden kann. Die Staaten, die ratifizieren wollen, können das tun. Die Staaten, die nicht ratifizieren, können die Verfassung auf die lange Bank schieben. Nach Großbritannien haben auch Dänemark, Finnland und Schweden ihre Referenden abgesagt.

Der Text der Verfassung, der mühsam erkämpft wurde, soll nicht verändert werden. Gleichzeitig kündigte der niederländische Ministerpräsident Jan Peter Balkenende an, über einen unveränderten Text könne er seine Landsleute nicht ein zweites Mal abstimmen lassen. Wie passt das zusammen?

Warten auf Regierungswechsel

Die logische Schlussfolgerung kann doch nur sein, dass die Verfassung, so wie sie jetzt vorliegt, nie in Kraft treten wird. Es sei denn, die Staats- und Regierungschefs hoffen auf bessere Zeiten, sprich darauf, dass durch Regierungswechsel bis 2007 ein günstigeres Klima für die Ratifizierung entsteht. Nach dem Ausscheiden von Staatspräsident Jacques Chirac könnte man in Frankreich ein zweites Referendum wagen. Nach einem Regierungswechsel in den Niederlanden könnten die Karten neu gemischt werden.

Die nötige Debatte über die Krise, die hinter der Verfassungsfrage steht, haben die Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel leider noch nicht begonnen. Es wird höchste Zeit, sich über Ziele, Aufgaben, Tiefe der Integration und Umfang der Erweiterung neu zu verständigen. So hat es als erster der britische Premier Tony Blair gefordert. Es ist nicht zu erkennen, ob die Denkpause für eine solche Identitätssuche genutzt werden soll.

Die Europäische Union wird auch ohne Verfassung nicht zerbrechen - und sie wird weiter funktionieren. Doch sie wird sich, als fernes "Raumschiff Brüssel" wahrgenommen, noch weiter von ihren Bürgern entfernen.

Plan "D"

Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder wusste auf seinem wahrscheinlich letzten EU-Gipfel nicht zu sagen, wie die Verfassungsfrage gelöst werden soll. Richtig ist seine Analyse, dass die EU im Kern ein Friedensprojekt nach dem Ende des Ost-West-Konflikts bleibt und dazu dienen muss, die Globalisierung mitzugestalten. Das konnte den Menschen, die ein vereintes, friedliches Europa als Selbstverständlichkeit hinnehmen, bislang nicht vermittelt werden. Doch welche konkreten Antworten daraus abgeleitet werden müssen, haben weder Schröder noch seine Kollegen zu formulieren vermocht.

Jetzt tritt "Plan D" in Kraft: Demokratisierung, Debattieren, Denken. Den immer europaskeptischer werdenden Wählern in Europa muss dringend eine positive Botschaft vermittelt werden. Der Krisengipfel der EU hat da bislang keine gute Figur abgegeben, zumal das Pokern um den Haushalt mit all seinen nationalen Egoismen den Blick auf die zentralen Fragen verstellt.

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