Raus aus dem Horror-Park
10. März 2016 Direkt neben dem Torbogen am Eingang zum Görlitzer Park stehen sie: Fünf Männer aus Afrika, in dicke Mäntel gehüllt, ihre Gesichter mit Kapuzen verhüllt. Die Sonne drängt schwach durch die grauen Wolken am Berliner Winterhimmel. Die Dealer müssen nicht lange warten: Ein junger Mann im grauen Mantel kommt vorbei. Ein schneller Händedruck, etwas wird übergeben. Der Mann zieht sich eine Kapuze über den Kopf und geht mit zügigen Schritten davon.
Alltag im Görlitzer Park, Berlins bekanntestem Drogenumschlagplatz. Polizeipräsenz und Dauer-Razzien haben das Problem nicht lösen können. Viele Dealer im Park kommen aus Afrika. Sie wären lieber auch nicht hier. "Man kann in den Park gehen, die sogenannten Dealer fragen - keiner wird sagen, dass er den Job gerne macht", sagt Annika Varadinek.
"Die Jungs brauchen Hilfe"
Varadinek - 29 Jahre alt, blaue Augen, offenes Lächeln - sitzt hinter einem Latte Macchiato in ihrem Café mit einem jungen Husky-Hund auf dem Schoß. Ein Stück heile Welt, nur gut 500 Meter vom Park entfernt: Holzboden, Chai-Latte und vegane Gerichte auf der Speisekarte.
Seit 2010 wohnt sie in der Nähe des Parks. Regelmäßig geht sie mit ihrer Mutter dort spazieren. So kamen sie mit den Dealern ins Gespräch. "Da haben wir gemerkt, dass viele der Jungs eigentlich Hilfe brauchen", erzählt Annika Varadinek.
Wie die fünf, die gerade im ehemaligen Laden-Lokal neben dem Café um einen wackeligen Holztisch sitzen und Deutsch üben. Sie nehmen an einem der Deutsch-Kurse teil, die Annika Varadinek und ihre Mutter Brigitta mit ihrem Verein 'Bantabaa' organisieren. 'Treffpunkt' heißt Bantabaa auf Mandinka, einer Sprache aus Gambia. Aus dem Land kommen die meisten Dealer im Projekt.
"Ich habe Bürokauffrau gelernt", liest ein etwa 20-Jähriger unsicher vom Blatt. "Bürokauffrau" klingt eher wie "Bürokauflaur". "Bürokauffrau", korrigiert Marcus Gottschalk, der Lehrer. Wie alle im Projekt ist auch er ehrenamtlich dabei.
"Mein Deutsch ist kaputt", entgegnet ein schlaksiger Mitt-Zwanziger im blauen Kapuzenpulli und weißer Jeans. "Ich muss lernen." Der Rest geht im Gelächter der anderen unter.
Äpfel und Sellerie statt Marihuana
Nach Ende des Deutschkurses geht es in Annika Varadineks Cafe. Fünf ehemalige Dealer machen hier ein Praktikum. Statt Marihuana heißt es jetzt: Obst und Gemüse. Unter den wachsamen Augen des französischen Küchenchefs schneiden sie Zitronen, Sellerie und Äpfel für einen Walldorf-Salat.
Anthony, der seinen wirklichen Namen nicht nennen möchte, ist seit einem Jahr Teil des Projekts. "Ich habe Annika und ihre Mutter im Park getroffen. Ich habe ihnen gesagt: Ich bin kein Verbrecher, ich muss einfach überleben."
Deutschkurse und Rechtsberatung
Legal kann Anthony in Deutschland nicht arbeiten. Er ist anerkannter Asylbewerber in Italien. Nach der sogenannten Dublin III-Verordnung ist damit Italien für ihn zuständig - nicht Deutschland. Doch dorthin zurück möchte er auf keinen Fall.
"In Italien musste ich auf der Straße schlafen. Ich habe keine Wohnung gefunden, nichts zu essen. Es war schlimm. Ich habe gemerkt, dass ich in Italien keine Zukunft habe", erzählt Anthony.
Annika und ihre Mutter Brigitta Varadinek versuchen, Dealern und anderen Flüchtlingen eine Perspektive zu geben. Die Flüchtlingsbäckerei in ihrem Café ist eine Alternative zum Dealen im Park. Ihre Backwaren und Quiches werden nicht nur hier verkauft - die Flüchtlingsbäckerei bietet auch Catering für Unternehmen an.
Zudem bietet Bantabaa Rechtsberatung an, damit Flüchtlinge Hilfe bei ihrem Antrag auf einen Aufenthaltstitel bekommen, Sprachkurse und Unterstützung bei der Wohnungssuche. Rund 50 Menschen nehmen die Hilfen in Anspruch.
"Streng Dich an"
Doch vielen kann Bantabaa nur kurzfristig eine Perspektive bieten. "Es gibt immer wieder Rückschläge. Wenn wir uns von Menschen beraten lassen, die sich mit Dublin III-Fällen auskennen und sagen, es gibt keine Lösung für die Flüchtlinge: Das sind Tiefs für mich", sagt Annika Varadinek. Sie erlebt es immer wieder, dass auch Flüchtlinge abgeschoben werden.
Anthony hingegen hat einen Aufenthaltstitel in Deutschland - er ist sicher. Er genießt sein neues Leben - außerhalb des Parks. Aber manchmal geht er zurück, um seine früheren Kollegen zu treffen. "Sie bestärken mich immer und sagen zu mir: 'Wir stehen hier und haben nichts. Du hast eine Chance, streng dich an'."