Russlands hybrider Krieg - Deutschland rüstet auf
20. November 2025
Wann ist Krieg? Wann beginnt er? Vor allem heutzutage, im digitalen Zeitalter der Cyberattacken?
"Wenn eine deutsche Korvette von einem russischen U-Boot angegriffen und versenkt wird, würden Sie von Krieg sprechen", sagt Sönke Marahrens. Er ist Oberst der Bundeswehr und Militärstratege. Soweit, so klar. "Aber was ist, wenn auf diesem Schiff Metallspäne ins Getriebe geworfen wurden und es dann nicht mehr einsatzfähig ist: Ist das dann Krieg?"
Marahrens ist Experte für hybride Bedrohungen. Auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamts, der zentralen deutschen Kriminalpolizei, diskutiert er in Wiesbaden mit deutschen und internationalen Sicherheitsexperten über die Herausforderungen der Zukunft.
Sein Szenario von der Sabotage auf die Einsatzfähigkeit eines deutschen Kriegsschiffs ist real: Der Vorfall ereignete sich im Januar 2025 auf der Korvette "Emden", kurz vor ihrer Auslieferung an die deutsche Marine.
Europa erlebt einen stetigen Anstieg hybrider Angriffe. Militärs, Polizisten, Politiker und Wissenschaftler warnen auf der Sicherheitstagung: Die Lage ist ernst.
Der Chor der Warner ist einstimmig: "Wir sehen eine intensive Lageverschärfung", bilanziert die Vizepräsidentin des deutschen Inlandsgeheimdienstes Silke Willems. "Deutschland ist täglich Ziel hybrider Angriffe", unterstreicht der deutsche Innenminister Alexander Dobrindt (CSU). Die Angriffe kommen aus vielen Richtungen: "Die Demokratie steht unter Druck - von innen und von außen", mahnt der Präsident des Bundeskriminalamtes Holger Münch.
"Stresstest für die Demokratie"
Die Wucht der Angriffe auf die offene Gesellschaft nennt Innenminister Dobrindt einen "Stresstest für die Demokratie".
Putins Regime greift offenbar auf breiter Ebene an. "Wir haben Cyberangriffe, Sanktionsumgehungen, Brandanschläge - all das erleben wir in einem Maße, wie wir das noch nicht gesehen haben", unterstreicht Silke Willems vom Bundesamt für Verfassungsschutz seine Einschätzung.
Die besondere Herausforderung: Die Urheberschaft ist bei den einzelnen Angriffen juristisch nur schwer nachweisbar. Für Polizei und Geheimdienste bleibt meist unklar, ob es sich um einen russischen Angriff, um marode Infrastruktur oder einen kriminellen Anschlag handelt. Erst ein Vergleich mit ähnlichen Vorfällen ergebe meist ein eindeutiges Bild. Russland operiere bewusst in einer Grauzone. Das erschwere die Reaktion der betroffenen Länder.
Innenminister Dobrindt: "Wir können auch stören und zerstören"
Dabei setzt Russland - so die Einschätzung der Sicherheitsbehörden - zunehmend auf kostengünstige Operationen. "Das wird mittlerweile durch sogenannte "Low-Level-Agents" ausgeführt", erklärt der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, im DW-Interview. "Durch angeworbene Personen, die gar nicht wissen, in welchem Zusammenhang und für wen sie dort arbeiten - und die das für überschaubares Geld tun."
Die Täter seien meist junge Männer in prekären Verhältnissen, die eine kriminelle Vergangenheit haben und die aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland eingewandert seien. Für einen niedrigen Eurobetrag würden sie zum Beispiel über die russische Social Media Plattform Telegram angeheuert.
Innenminister Dobrindt kündigt an, dass Deutschland seine Reaktionen auf die Angriffe verschärfen will: "Wer uns im Cyberraum angreift, der soll sich bewusst werden: Wir wollen und wir werden uns zukünftig wehren! Wir können auch stören und zerstören."
Was heißt das konkret? BKA-Chef Holger Münch sagt der DW: "Wir machen das seit 2021. Damals hat man aufgehorcht, als wir mit internationalen Partnern die gefürchtetste Schadsoftware 'Emotet' abgeschaltet haben." Die Software "Emotet" wurde von Cyberkriminellen an Behörden und Unternehmen verschickt - mit dem Ziel, deren IT lahmzulegen oder Lösegeldzahlungen zu erpressen.
Mittlerweile habe das Bundeskriminalamt die Fähigkeiten zum Kampf gegen Cyberattacken stark ausgebaut, um bei Angriffen gezielt zurückzuschlagen, so Münch. "Wir machen das nicht mit der Axt - wir machen das mit dem Skalpell. Wir wissen dann, auf welchen Servern die Daten der Täter liegen und die können wir löschen oder verändern." Auch wenn die kriminellen Auftraggeber irgendwo auf der Welt hunderte oder tausende Server anmieten würden - das Bundeskriminalamt könne sie unschädlich machen.
Im Kampf gegen hybride Bedrohungen beschloss die Bundesregierung diese Woche: In Zukunft soll die Bundeswehr Drohnen im eigenen Land abschießen dürfen. Das war in der Vergangenheit der Polizei vorbehalten. Die wiederum will zur Abwehr von Angriffen zusätzliche "Drohneneinheiten" aufbauen.
Gefahr von innen: Demokratie auf dem Rückzug
Aber nicht nur russische Drohnen, Brandsätze und Desinformation beunruhigen Politik und Sicherheitsexperten. Auch dass die deutsche Gesellschaft ihren eigenen demokratischen Institutionen immer weniger vertraue, werde zu einer riesigen Herausforderung.
Verschärft werde dieser Verdruss durch die neue digitale Realität: Fake-News, Desinformation, Lügen über demokratische Institutionen und Mandatsträger - all das wird angefeuert durch komplexe, groß angelegte russische Desinformationskampagnen. Die haben das Ziel, Deutschland und den Westen zu destabilisieren, so die Sicherheitsbehörden - durch hybride Kriegsführung.
Dabei rückt auch die Partei AfD immer wieder in den politischen Fokus. Als mehrere AfD-Bundestagsabgeordnete ankündigten, auf eine russische Propaganda-Tagung in Sotschi reisen zu wollen, warf der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter ihnen vor, sich zum Instrument im hybriden Krieg Russlands gegen Deutschland und Europa zu machen. Die AfD sorgt immer wieder durch ihre Nähe zu Putins Russland für Schlagzeilen.
"Die AfD zeigt offen ihre Nähe zu Putin und verhält sich auch so wie eine deutsche Putin-Partei", kritisierte Innenminister Dobrindt im Vorfeld der Reise in einem Interview mit dem Handelsblatt. Der Innenminister des Bundeslandes Thüringen äußerte - ebenfalls im Handelsblatt - sogar den Verdacht, dass die AfD für Russland spionieren könnte.
Deutschland verteidigen
Was viele Mitglieder der AfD und Putin vereint: die Ablehnung der modernen, vielfältigen Einwanderungsgesellschaft. Sorge bereitet dem Chef des Bundeskriminalamtes deswegen auch, dass die Partei 2026 in einzelnen Bundesländern an die Regierung kommen könnte und damit auch Zugriff auf die Sicherheitsbehörden erlangen könnte.
Damit Deutschland gegen die Anfeindungen widerstandsfähig bleibt, fordert der Militärstratege und Bundeswehr Oberst Sönke Marahrens: Hybride Kriegsführung muss als gesamtgesellschaftliche Herausforderung angenommen werden.
Den beunruhigenden Entwicklungen und Botschaften begegnete er auf der Sicherheitstagung mit einem Appell: "Es hat nie ein besseres Deutschland gegeben. Verteidigen Sie es mit mir weiter!"