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Politik

Schmerzhafte Erinnerungen nach Überfall in Ruanda

Susanne Maria Krauß
10. Oktober 2019

Es ist der blutigste Angriff, den Ruanda seit Jahren erlebt hat: Vergangenen Freitag griffen Rebellen die Stadt Kinigi im Norden an. Dort kehrt nun langsam wieder Normalität ein. Susanne Maria Krauß war vor Ort.

Das Stadtzentrum von Kinigi
Bild: DW/S.M. Krauß

Chantal Nyirasafari besuchte vergangenen Freitag gerade ihren Vater, als plötzlich Schüsse durch den kleinen Ort Kinigi hallten. Nachbarn schrien panisch. Chantal rannte davon, doch ihr Vater konnte sich vor den Angreifern nicht mehr retten. "Mein Vater war zu Hause, als die Angreifer ins Haus kamen und mit Messern auf ihn eingestochen haben," erzählt die 26-jährige leise. Er wird an Kopf und Oberkörper schwer verletzt. Noch immer ist nicht klar, ob er überleben wird. "Ich hab die Hände übers Gesicht geschlagen und immer wieder gesagt: Ich werde Waise, ich werde Waise!", sagt Nyirasafari.

14 Tote und 18 Verletzte - kein anderer bewaffneter Angriff hat in den vergangenen Jahren  so viele Opfer in Ruanda gefordert. Mit Messern und einfachen Stichwaffen fielen die Rebellen über die Bewohner Kingis her. Die Stadt liegt im Nordwesten Ruandas, nur wenige Kilometer von der kongolesischen Grenze entfernt. Für die Bewohner kam der Angriff völlig überraschend. "Zwei Kilometer von hier entfernt sind sie hereingekommen," sagt Bosco Havugimana und zeigt in Richtung der majestätischen Vulkanberge, die über Kinigi thronen. "Sie kamen direkt ins Dorf. Wen auch immer sie getroffen haben, haben sie umgebracht."

Verzweifelte Jagd nach den Tätern

Die Virunga-Berge liegen im Grenzgebiet zwischen Uganda, Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo. Das ganze Wochenende jagte das ruandische Militär die Rebellen in den dichten Regenwäldern der Region. "19 von ihnen wurden umgebracht und fünf verhaftet," sagt Polizeisprecher John Bosco Kabera im DW-Interview. "Offenbar kam die Gruppe aus der Demokratischen Republik Kongo. Sie gehören zu eine Miliz, die sich RUD-Uranana nennt."

Chantal Nyirasafari sorgt sich noch immer um ihren verletzten VaterBild: DW/S.M. Krauß

Die RUD-Uranana ist eine Splittergruppe der berüchtigten "Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas" (FDLR). Die Miliz ist von Hutu-Extremisten gegründet worden, die für den Völkermord in Ruanda 1994 verantwortlich gemacht werden. Menschenrechtsorganisationen werfen der FDLR auch schlimme Gräueltaten an der Zivilbevölkerung im Kongo vor. Einer der Verhafteten wurde bereits einheimischen Journalisten vorgeführt.Ein kurzes Video davon kursiert in den sozialen Medien. Darin berichtet er, dass er vor vier Monaten an einer ugandischen Universität für die FDLR rekrutiert worden sei.

Ruandas Regierung sind die Hutu-Rebellen seit 25 Jahren ein Dorn im Auge. Erst vor drei Wochen war der Jahrzehnte lang gesuchte Militärstratege der FDLR, Sylvestre Mudacumura, bei einer Operation der kongolesischen Armee getötet worden –  mit der Unterstützung ruandischer Spezialkräfte, wie es heißt. Gegen ihn lag ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen vor. Unklar ist, ob der jüngste Rebellenangriff ein Racheakt für die Tötung Mudacumuras war. "Die Ermittlungen gehen weiter, um die Hintergründe und Motive zu klären," sagt Polizeisprecher John Bosco Kabera.

Schmerzhafte Erinnerungen werden wach

In den Jahren nach dem Genozid, bei dem über 800.000 Tutsi und moderate Hutu ermordet wurden, haben Hutu-Rebellen immer wieder Angriffe aus dem Ost-Kongo heraus gestartet. Der 45-jährige Pascal Dusabimana kann sich noch gut daran erinnern, dass sie auch damals durch den Wald nach Kinigi einfielen. "In den Jahren 1997 und 1998 haben sie mehrere Attacken durchgeführt. Sie wollten das Land destabilisieren." Durch den jüngsten Überfall sind diese schmerzhaften Erinnerungen wieder wach geworden.

Hinter den Bergen liegt der Kongo, nur wenige Kilometer von Kinigi entferntBild: DW/S.M. Krauß

Kinigi ist Ruandas Eingangstor zum Vulkan-Nationalpark. Hier und in den Nachbarländern Uganda und Kongo leben die letzten Berggorillas der Erde. Am Touristenzentrum starten täglich Führungen. Für Ruanda ist der Gorilla-Tourismus ein wichtiges wirtschaftliches Standbein. 2018 hat das Land 19,2 Millionen US-Dollar (umgerechnet gut 17,5 Millionen Euro) damit verdient - ein Viertel mehr als im Vorjahr.

Gorilla-Tourismus geht weiter

Trotz der Angriffe soll der Tourismus in der Region weitergehen - inklusive Gorilla-Touren. Das teilte Ruandas staatliche Entwicklungsbehörde RDB bereits am Tag nach den Anschlägen mit. Die Sicherheit der Besucher sei auch weiterhin garantiert. Touristen seien nicht das Ziel gewesen, gab das RDB auf DW-Anfrage bekannt. Trotzdem habe man die Sicherheitsvorkehrungen erhöht. Keine Reisenden hätten ihre Besuche bisher abgesagt.

Der FDLR werden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfenBild: AFP/L. Healing

Die US-amerikanischen Touristen John und Carla Edwards erfuhren erst bei ihrer Landung am Montag von dem blutigen Angriff. Ihr Reiseveranstalter hat zwei zusätzliche Sicherheitsleute mit auf die Reise nach Kinigi genommen. Den Gorilla-Besuch abzusagen kam für die beiden nicht infrage. "Um ehrlich zu sein, ich habe nicht ein Mal Angst empfunden," sagt Carla Edwards. Sie habe sich in Ruanda sicherer gefühlt als so manches Mal in ihrer Heimat. "Wenn ich den Vergleich zu Chicago ziehe – dort werden um die 100 Menschen im Monat umgebracht. Gehe ich in solche Gegenden? Nein."

Auch auf den Straßen von Kinigi ist inzwischen wieder Normalität eingekehrt. Am Straßenrand werden Kartoffeln, Tomaten und Bananen verkauft. Kinder laufen lachend von der Schule nach Hause. Etwa drei Kilometer vor dem Ortseingang von Kinigi findet eine Informationsveranstaltung statt. Hunderte Menschen sitzen im Gras. Am Straßenrand stehen Polizei- und Sicherheitskräfte mit wachsamen Augen. Ein Pick-Up mit zwölf bewaffneten Soldaten fährt vorbei – in Richtung Grenze.