Aus einer Hobbyschneiderin in einer Londoner Boutique ist eine gefragte Modesignerin geworden, die immer noch provoziert - unabhängig, wild und engagiert.
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Queen of Punk: Vivienne Westwood ist tot
Sie war eine der bekanntesten Modemacherinnen der Welt. Am Anfang ihrer Karriere stand der Punk. Mit 81 Jahren ist Vivienne Westwood nun gestorben.
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Mode-Ikone und Aktivistin Vivienne Westwood
Sie war laut, schrill und ausgefallen: Nun ist Vivienne Westwood mit 81 Jahren gestorben (29.12.2022). Die Tochter eines Schuhmachers und einer Baumwollspinnerin gehörte zu den bekanntesten Mode-Designerinnen der Welt. Doch sie war nicht nur eine Mode-Ikone - sie provozierte mit ihren Auftritten und setzte sich engagiert für Klima und Menschenrechte ein. Rückblick auf ein ungewöhnliches Leben.
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Grundschule statt Modeschule
Vivienne Westwood hat von Kindheit an Spaß am Nähen, bricht aber zugunsten einer Lehrerausbildung ihr Modestudium ab. Sie lernt ihren ersten Mann Derek kennen, Sohn Ben kommt auf die Welt. Das Familienleben füllt sie nicht wirklich aus. Schwung in ihr Leben bringt der exzentrische Kunststudent Malcolm McLaren, für den sie schließlich ihren Mann verlässt.
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Punk-Traumpaar
Vivienne Westwood und Malcolm McLaren (Mitte) ziehen zusammen. Gemeinsam führen sie die berühmte Boutique in Londons King's Road 430, der sie viele Gesichter und Namen geben. Sohn Joseph wird geboren. Anfang der 80er droht der Punk, seine Glaubhaftigkeit zu verlieren. McLaren aber hält noch immer am bedingungslosen "Gegen alles Sein" fest. Für Westwood zu weltfremd: 1983 trennt sie sich von ihm.
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Erfinderin der Punkmode
Doch bis dahin haben die beiden extravagante Punkmode entwickelt. Sie schaffen aus T-Shirts und Röhrenhosen abgefahrene Kreationen mit Sicherheitsnadeln, Fahrradketten, sogar Hühnerknochen. Viele der Kleidungsstücke werden heute in Museen ausgestellt, wie dieser Rock in der 2013er Ausstellung "PUNK: von Chaos bis Couture" im New Yorker Museum of Modern Art.
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Der Durchbruch in der Modewelt
1981 präsentiert Westwood mit "Pirates" zum ersten Mal eine eigene Kollektion, die Modewelt aus dem Häuschen. Mit der schon fast legendären Piraten-Show verabschiedet sie sich vom Punk und wird eine anerkannte Designerin. Fortan gibt es keine große Show mehr ohne die schrille Britin und deren schräge Kreationen.
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Wilde Mode
Nach ihrer Trennung von McLaren 1983 tobt sich Vivienne Westwood in der Modewelt aus. Sie erfindet sich immer wieder neu und bedient sich dabei bei jedem Stil, der ihr gerade interessant erscheint. Berühmt sind ihre opulenten Rokoko-Anleihen, weit ausladende kurze Röcke, mit Reifröcken darunter, dazu übertriebene Rokoko-Frisuren. Sie liebt Karomuster und kreiert ihr eigenes: "Mac Andreas".
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Filmreife Hochzeitsrobe
Im Kinofilm "Sex and the City" (2008) trägt Carrie Bradshaw (Sarah Jessica Parker) eine Westwood-Robe, als sie ihren langjährigen Lover Mr. Big heiraten will. Der Traum platzt, als Big plötzlich kneift. Carrie rafft ihre Röcke zusammen, rauscht auf die Straße und prügelt mit ihrem weißen Rosenstrauß auf den verhinderten Bräutigam ein. Das prächtige Brautkleid macht die Szene umso tragischer.
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Mehr als nur ein Hochzeitskleid
Nachdem die Westwood-Robe durch den Film berühmt geworden ist, kann sich das Modehaus vor Nachbestellungen kaum retten. Knappe 7500 Euro muss man damals für diesen Traum aus Seide und Satin hinlegen. Vivienne Westwood hat in ihrer Karriere viele Brautkleider entworfen. Und die werden von den Models gewohnt schrill vorgeführt, wie hier auf der Pariser Fashion Week im März 2011.
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Wenn Schuhe wirklich gefährlich werden...
Auch das war eins ihrer Markenzeichen: absurd hohe Plateauschuhe. Westwood selbst schafft es, in ihnen zu laufen. Eines ihrer Models ist allerdings an den 25 cm hohen Absätzen gescheitert. Ausgerechnet Supermodel Naomi Campbell ereilt es: 1993 live und vor Publikum auf dem Catwalk. Sie stolpert und kommt zu Fall - das Peinlichste, was einem Model passieren kann.
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Eifrige Aktivistin
Viele Jahre engagiert sich Vivienne Westwood für eine bessere Welt. So nimmt sie an Protestmärschen teil: gegen die Anti-Terror-Politik der britischen Regierung, gegen Atom-U-Boote, Guantanamo, Fracking oder Klimawandel (oben). Sie schickt Models mit dem "Yes"-Button der schottischen Unabhängigkeitsbewegung auf den Laufsteg oder spendet 1,5 Millionen Dollar für die Rettung des Regenwalds.
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Plausch mit Julian Assange
Obwohl Vivienne Westwood dem Punk zuletzt nicht mehr viel abgewinnen kann, provozierte sie gern. So stattet sie dem US-amerikanischen Staatsfeind, Whistleblower Julian Assange, im Februar 2016 medienwirksam einen Besuch ab (Bild). 2020 demonstriert sie im knallgelben Outfit vor dem Gericht in London für die Freilassung des Wikileaks-Gründers.
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Altersunterschied ist egal
25 Jahre jünger ist der dritte Mann in ihrem Leben: der Österreicher Andreas Kronthaler. Westwood unterrichtet ihn während seines Modedesignstudiums in Wien. Damals verliebte sich Kronthaler direkt in sie: "Sie trug einen Catsuit aus hauchdünnem Woll-Argyle, einen Hüftgürtel und Holzschuhe, sie sah geil aus", erzählte er der Zeitung "Welt". Die beiden waren seit 1992 verheiratet.
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Eine echte Dame
Auch das britische Königshaus würdigte immer wieder die Arbeit der extravaganten Designerin. 1992 verlieh die Queen ihr den "Order of the British Empire". 14 Jahre später folgte gar die Ernennung zur "Dame Vivienne Westwood". Und das bedeutet in England: die Ritterwürde. Vivienne Westwood starb am 29. Dezember 2022 mit 81 Jahren in London.
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London, Anfang der 1970er. In der King's Road 430 lebt ein Pärchen namens Malcolm McLaren und Vivienne Westwood. In ihrem schwarz gestrichenen, abgeranzten Laden mit dem Namen "Let it Rock" steht eine Musikbox. Sie verkaufen abgefahrene Klamotten, bestickte Samtanzüge, Röhrenhosen und lange Jackets. Die Musik und die Mode der Hippiebewegung geht ihnen auf die Nerven: Der Rock'n'Roll ist aus der Musik verschwunden, die Musikindustrie hat alles übernommen, die Glaubwürdigkeit der revoltierenden Jugend ist weg. Die einzigen "echten" Revoluzzer sind die "Teddy Boys", deren Bewegung ein gesellschaftliches Statement gegen die "Upper Class" ist: "Seht her, hier ist ist die 'working class' und nimmt euch eure Mode weg!"
Vom Rockabilly zum Fetisch zum Punk
Das gefällt Westwood und McLaren. Der Laden in der King's Road läuft und wird immer wieder umbenannt - "Too fast to live, too young to die", dann "Sex" und später "Seditonaries"; Vivienne und Malcolm entwerfen immer verrücktere Klamotten und entfernen sich dabei immer weiter vom Teddy-Look. "Gummikleidung für das Büro" ist nun angesagt. Der Laden wird umdekoriert, an den Wänden hängen Gummi, Ketten und Vorhängeschlösser - ein solcher Fetischschuppen ist einzigartig in jener Zeit. Und dann bekommen die Klamotten plötzlich Löcher, Reißverschlüsse und Sicherheitsnadeln an den unmöglichsten Stellen. Vivienne und Malcolm haben immer verrücktere Ideen, sie verwenden auch Hühnerknochen, Rasierklingen und sogar Fahrradketten. Hundehalsbänder werden zu Schmuck stilisiert, auf die Stoffe grelle Farben, obszöne Sprüche und Graffittis appliziert.
Provokation als Mode
Als McLaren die Punkband Sex Pistols managt, schneidert sie das Bühnenoutfit der Band - und hat seitdem ihren Ruf weg: "Queen of Punk". Die Musik der Sex Pistols, von Clash, The Damned und vielen weiteren Punkbands erobert gegen Ende der 1970er-Jahre eine Generation von Jugendlichen, die gerade gar nicht wissen, wo es lang gehen soll. Der Punk knallt mitten rein in diese Ratlosigkeit und gibt den Jugendlichen eine Vision: nämlich gar keine zu haben. "No Future" ist das Motto. Die Musik und die Kleidung sind ein Aufschrei gegen das Establishment, reine Provokation.
Plötzlich interessieren sich etablierte Designer wie Gaultier und Versace für diese schrille Punkmode aus London und verarbeiten Punkelemente in ihren eigenen Kreationen. Es dauert nicht lange, und schon bekommt man Kleidung mit Ketten und Sicherheitsnadeln in jeder Boutique - weltweit. Der Punk ist im Mainstream gelandet. Für Vivienne Westwood ein Grund, sich davon zu verabschieden und woanders zu provozieren. Mit ihrer eigenen Kollektion "Pirates" (1981) erobert sie mit Models in Piratenkostümen die Laufstege. Ihren Eintritt in den Modezirkus hat sie damit in der Tasche, eine steile Karriere beginnt - heute gehört sie zu den wichtigsten Modedesignern der Gegenwart. Das hätte sie wohl nicht gedacht, als sie damals, Anfang der 1970er, in einem ranzigen Laden in der King's Street 430 anfing, die ersten Löcher in Netzstrumpfhosen zu reißen.
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Modeschöpferin mit klarem Statement
Das politische Statement war und ist immer ein fester Bestandteil ihrer Mode. Die Aktivistin, die am 8. April 80 Jahre alt wird, nutzt jede Gelegenheit, die Aufmerksamkeit auf ihre sozial-politischen Anliegen zu richten: So saß sie vergangenes Jahr in schrillem, gelbem Outfit in einem überdimensionalen Vogelkäfig vor dem Gerichtsgebäude in London. Es war ihr Protest für die Freilassung von Wikileaks-Gründer Julian Assange - und er sorgte damals für großes Aufsehen.
Seit langem engagiert sich die britische Modeschöpferin für Menschenrechte, Frieden, Tierschutz und gegen den Klimawandel. So rief Westwood am Ende ihrer Modeshow für Frühjahr/Sommer 2013 unter einem Banner zur "Climate Revolution" auf. 2015 ließ sie sich in einem weißen Panzer zum Privathaus des damaligen britischen Premierministers David Cameron fahren, um gegen Gasgewinnung durch Fracking zu protestieren. Im selben Jahr setzte sie auf ihrer Red-Label-Show mit einem "Yes"-Batch ein klares Zeichen ihrer Unterstützung für das schottische Unabhängigkeitsreferendum.
Westwoods Label gilt als Vorreiter in Sachen nachhaltiger Mode - sie verzichtet auf echte Pelze und plädiert für weniger Konsum in der Modewelt. Ihr Motto: "Buy less, choose well, make it last." So setzt die Modeschöpferin auf nachhaltige Materialen und arbeitet mit vielen kleinen, unabhängigen Unternehmen zusammen.
Der Brexit und die Modebranche
In Folge des Brexits hat die britische Modebranche mit den neuen Regeln besonders stark zu kämpfen: Im Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU ist zwar grundsätzlich zollfreier Handel vereinbart worden, doch dies gilt nur für Waren, die auch in diesen Ländern produziert werden. In der Modebranche kommen die Rohstoffe meist aus Asien. Wenn also EU-Kunden bei einem Modelabel in Großbritannien Kleidung bestellen, werden teilweise Zollgebühren fällig.Vivienne Westwood hat daher die britische Regierung in einem offenen Brief aufgefordert, den Sektor stärker zu unterstützen.
Auch wenn sie sich vom Punk entfernt hat, ihm ganz den Rücken gekehrt, hat sie bis heute nicht. Die Britin ist ihren Prinzipien treu geblieben: Die Auseinandersetzung mit dem Establishment war und ist ihr Lebensmotto.
Dies ist eine aktualisierte Fassung eines Artikels von 2016 zum 75. Geburtstag der Designerin.