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Türkei nach der Wahl

Baha Güngör, z.Z. Ankara8. Juni 2015

In der Türkei wird die Regierungsbildung nicht einfach: Erdogans AKP muss nach ihren Wahl-Verlusten eine Koalition eingehen - es sei denn, sie entscheidet sich für eine Minderheitsregierung mit Neuwahlen noch 2015.

Kurdische Flagge vor der Zentrale der pro-kurdischen HDP in Diyarbakir (Foto: REUTERS/Osman Orsal)(
Die prokurdische Partei HDP ist die große Gewinnerin der Parlamentswahlen in der TürkeiBild: Reuters/O. Orsal

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und die bisherige Regierungspartei AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) haben ihr Ziel deutlich verfehlt, ihre Vorherrschaft in der Türkei auf viele Jahre zu zementieren. Statt der Einführung des von ihm geplanten Präsidialsystems mit ihm als Alleinherrscher, muss sich Erdogan nun um einen demokratischen Konsens zur Stabilisierung der innenpolitischen Lage bemühen. Erdogans Nachfolger als Partei- und Regierungschef, Ahmet Davutoglu und seine religiös-konservative AKP müssen sich damit abfinden, dass eine 13jährige Regierungszeit mit absoluten Mehrheiten endgültig zu Ende gegangen ist.

In den kommenden Wochen sind Rechenspiele unausweichlich. Die AKP muss unter drei selbstbewussten Oppositionsparteien mögliche Koalitionspartner suchen. Wenn das nicht gelingt und die drei Sieger-Parteien untereinander keine Koalition zustande bringen, gibt es keine Alternative dazu, eine Minderheitsregierung der AKP mit dem Ziel vorzeitiger Neuwahlen im Herbst hinzunehmen.

AKP ist die stärkste Partei geblieben, muss aber herbe Verluste hinnehmenBild: Reuters/U. Bekta

Die unumstrittene Verliererin der Parlamentswahlen ist die AKP. Mit etwas mehr als 40 Prozent ist ihr Stimmenanteil um rund neun Prozent gesunken. War sie vor vier Jahren mit 327 Abgeordneten ins Parlament eingezogen, muss sie sich jetzt mit lediglich mit 258 der 550 Sitze zufrieden geben. Doch welche der drei übrigen Parteien kommen für eine Koalition mit mehr als 276 Abgeordneten in Betracht?

Mit wem koalieren?

Mit rund 25 Prozent Stimmenanteil und 132 Mandaten hat die um Rückgewinnung ihres früheren Prädikats "sozialdemokratisch" kämpfende "Republikanische Volkspartei" (CHP) ihre Stärke von vor vier Jahren behalten. Unter Führung von Kemal Kilicdaroglu könnte die CHP für eine mögliche große Koalition nach deutschem Vorbild infrage kommen. Doch die Wunden eines verbal überaus hart geführten Wahlkampfes mit schweren Beleidigungen, Lügen und Diffamierungen sind noch zu frisch. So hatte Erdogan seinen Kontrahenten Kilicdaroglu als "Generaldirektor" ins Lächerliche gezogen und ihm unter weiteren Verunglimpfungen jegliche Fähigkeit zum Regieren abgesprochen. Sowohl der AKP als auch der CHP drohen somit bei einer türkischen "GroKo" (Große Koalition) herbe Gesichtsverluste.

Devlet Bahceli, Chef der rechten "Partei der nationalistischen Bewegung" (MHP), hatte noch in der Wahlnacht eine Koalition mit der AKP ausgeschlossen. Der Führungsstil Erdogans war Bahceli zu wider. Er legte Davutoglu eine Koalition ohne seine MHP nahe. Falls das nicht gelinge, müsse das Parlament vorzeitig neu gewählt werden. Bahceli forderte zudem Erdogan mit Nachdruck dazu auf, sich als Präsident von der politischen Bühne zu verabschieden und sich mit seiner Rolle als neutraler Repräsentant des Staates zufrieden zu geben. Während seiner Ansprache in der MHP-Zentrale war sein Stolz darüber unübersehbar, dass die MHP ihren Stimmenanteil gegenüber 2011 um mehr als drei Prozent auf über 16 Prozent und ihre Abgeordnetenzahl von 53 auf 81 erhöhen konnte.

Eine Partei nicht nur für die Kurden

Die kurdische HDP (Demokratische Partei der Völker) hatte als Zünglein an der Waage um den Sprung über die Zehn-Prozent-Hürde gebangt. Die HDP profitierte vor allem von Leihstimmen aus anderen politischen Lagern einschließlich der AKP. Die drohende Alleinherrschaft von Erdogan über den NATO-Staat mit fast 80 Millionen Einwohnern und großen außenpolitischen Problemen in direkter Nachbarschaft zu Syrien und Irak konnte nur mit dem Einzug der HDP ins Parlament abgewendet werden.

Die Doppelführung der HDP, Selahattin Demirtas und seine Co-Vorsitzende Figen Yüksekdag, ist sich der Realität bewusst, dass der erstmalige Einzug ins Parlament mit rund 13 Prozent Stimmenanteil und 79 Abgeordneten auch der letzte sein kann. Voraussetzung für anhaltenden Erfolg der HDP ist eine Politik, die nicht nur die Belange der Kurden vertritt. Sie muss auch den von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft benachteiligten Türken eine neue politische Heimat links von der Mitte bieten.

Kemal Kilicdaroglu (CHP) will keine Koalition mit Erdogans AKPBild: picture-alliance/AP Photo/M. Guzel

Vertrauensvorschuss auf dünnem Eis

Für eine Koalition mit der HDP hat sich bislang keine der übrigen drei größeren Parteien ausgesprochen. Die Kluften zwischen Türken und Kurden sind wegen des Krieges der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) gegen den türkischen Staat nach 40.000 Toten auf beiden Seiten seit 1984 noch sehr tief. Die HDP muss auch den Beweis erbringen, dass sie keine Koalition mit dem Preis anstrebt, die Freilassung des seit 1999 inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan zu erreichen. Im Wahlkampf war die HDP von Erdogan und von der AKP oft beschuldigt worden, der verlängerte Arm der PKK zu sein.

HDP muss zeigen, dass sie mehr ist als nur eine pro-kurdische ParteiBild: Reuters/O. Orsal

Der Vertrauensvorschuss der Türken, die für die HDP gestimmt haben, um die AKP-Vorherrschaft zu beenden, steht auf sehr dünnem Eis. Die Wahlerfolge in den klassischen Siedlungsgebieten der Kurden mit bis zu 86prozentigem Stimmenanteil sind zu erwarten gewesen. Diese Zahlen sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die HDP eine langfristige Perspektive nur als eine landesweit akzeptable Alternative zu den etablierten Parteien hat. Andernfalls droht ihr nur ein kurzes politisches Leben als Fraktion im Parlament.

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