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PolitikBrasilien

"Recht auf Grillen" in Brasiliens Wahlkampf

Bruno Lupion
1. Oktober 2022

Ein Thema der Kampagne von Bolsonaros Herausforderer Luiz Inácio Lula da Silva: der Verzehr von Rindfleisch. Weil in Brasilien Essen ein Statussymbol ist.

Brasilien Cowboy mit einer Rinderherde im brasilianischen Bundesstaat Para
Cowboy mit einer Rinderherde im brasilianischen Bundesstaat ParaBild: Mauro Pimentel/AFP via Getty Images

Wenn Luiz Inacio Lula de Silva sich auf seiner Tour durch das ganze Land in Rage redet, können sich seine Anhänger auf eines verlassen: Früher oder später geht es beim Präsidentschaftskandidaten um etwas, was in Brasilien fast heilig ist: das Essen. Grillen sei ein "elementares Recht des brasilianischen Volkes. Es kann nicht sein, dass Brasilien der erste Fleischproduzent der Welt ist, wo die Menschen vor der Metzgerei Schlange stehen müssen, um am Ende Knochen zu bekommen.". 

Wenn er gewählt würde, stehe die Kontrolle der Rindfleischexporte ganz oben auf seiner Agenda, mehr Fleisch bleibe im eigenen Land und das zu günstigeren Preisen. Vor allem China importiert in riesigen Mengen brasilianisches Rindfleisch, als Folge der Schweinepest im Reich der Mitte 2018 und 2019. Unter der Regierung von Jair Bolsonaro seien Lebensmittel zu "Luxusartikeln" geworden, die Brasilianerinnen und Brasilianer hätten seinetwegen in den vergangenen Jahren weniger Rindfleisch gegessen.

Fleischkonsum sinkt, weil Preise durch die Decke gehen

Lulas Kampagne trifft einen wunden Punkt von Präsident Jair Bolsonaro: Die Preise für Fleisch sind parallel zur steigenden Inflation in die Höhe geschossen. Im vergangenen Jahr lag der Rindfleischkonsum in Brasilien deshalb lediglich bei 24,6 Kilo pro Jahr. Damit ist Brasilien zwar immer noch die Nummer drei weltweit hinter Argentinien und den USA.

Aber der Konsum ist deutlich geringer als 2006, als die Bevölkerung durchschnittlich 32,08 Kilo verzehrte. Präsident damals: Luiz Inacio Lula da Silva. Die Ernährungsexpertin Lis Blanco sagt: "Fleisch ist ein Statussymbol, weil es teurer geworden ist." Der Rindfleischkonsum in Brasilien sei kulturell verwurzelt, für viele sei eine Mahlzeit nicht vollständig, wenn sie kein Fleisch enthalte.

Früher "Null Hunger", jetzt "Mehr Fleisch"

Lulas Wahlkampfauftritte sind ein wenig eine Reise in die Vergangenheit. Vor knapp 20 Jahren hatte er als Präsident sein viel beachtetes "Fome Zero", "Null Hunger"-Programm aufgelegt, um den Hunger in Brasilien zu bekämpfen. Im Januar 2003 erklärte er bei seiner Antrittsrede, er werde allen Brasilianerinnen und Brasilianern ein Frühstück, Mittag- und Abendessen ermöglichen.

Superman Lula: Handtücher in einem Laden in Rio de JaneiroBild: Ernesto Benadives/AFP/Getty Images

Knapp zwei Jahrzehnte später ist Lulas Narrativ im Wahlkampf der gesunkene Fleischkonsum. Für Blanco eine geschickte Marketingaktion und Mobilisierungsstrategie, die das ganze Land von Nord bis Süd vereine: "So wie bei den Wahlen 2002 das Reden über Hunger eine sichere Strategie für die Arbeiterpartei Lulas war, um gewählt zu werden, ist der Fleischkonsum heute der Weg, um über Hunger auf eine zeitgemäßere Weise zu sprechen", sagt sie. "‘Jeder wird in der Lage sein, Barbecue zu essen‘ bedeutet übersetzt: 'Jeder wird das Geld haben, um grillen zu können.‘"

Wahlversprechen passt nicht zum Umweltschutz

Doch wie passt Lulas neues Wahlversprechen zum Umweltschutz, mit Rindern als Klimakillern? Im UN-Klimabericht wird darauf hingewiesen, dass Rindfleisch das Nahrungsmittel ist, das am meisten zu Treibhausgasemissionen und zur Abholzung im Amazonas-Regenwald beiträgt. Die Rindfleischproduktion benötigt 36 Mal mehr Land als die Produktion von pflanzlichen Proteinen, die weidenden Kühe stoßen Unmengen an Methan aus, hinzu kommt der immense Wasserverbrauch in der Rindfleischproduktion.

Den Herausforderer von Bolsonaro hielt das aber nicht davon ab, im TV-Duell den amtierenden Präsidenten scharf zu attackieren. Weil die Abholzung des Regenwaldes in Brasilien einen Rekordwert erreicht hat, sei Bolsonaro dabei, "das Land zu zerstören". Lula vollzieht im Wahlkampf einen denkbar widersprüchlichen Spagat: die Umweltsünden der aktuellen Regierung anprangern und gleichzeitig das "Recht auf Grillen" propagieren.

Politiker erntet Shitstorm, weil er zum Fleischverzicht aufruft

Denn im Lager links der Mitte, in dem sich die traditionellen Lula-Wähler tummeln, kann man mit Verzicht auf Fleischkonsum nicht punkten. Im Juni veröffentlichte der Kongressabgeordnete David Miranda auf Twitter eine Botschaft zur Unterstützung der Kampagne Meatless Monday. Die internationale Bewegung, die 2003 startete, fordert dazu auf, montags kein Fleisch zu essen, um Umwelt und Gesundheit zu schützen.

Miranda erntete einen veritablen Shitstorm. Kritiker warfen dem Politiker vor, eine Kampagne zu unterstützen, die vollkommen an der Realität Brasiliens vorbeiginge - auch heute noch hungerten viele Menschen im Land. Tatsächlich ist die extreme Armut, die auch unter Lulas Ägide zurückgegangen war, 2019 wieder auf 4,6 Prozent gestiegen, durch die Corona-Pandemie dürfte die Zahl heute noch höher liegen.

Doch auch in den Favelas geht in diesen Wochen eine Lula-Figur viral, deren Slogan lautet: "Fleisch, Bier und Lula 2022."