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Rechte Konkurrenz für die Linke

Bernd Gräßler12. März 2016

Die rechtspopulistische AfD macht auch der Linkspartei zu schaffen. Doch diese bleibt bei ihrer Flüchtlingspolitik. Denn alles andere "wäre tödlich für uns", meint ihr prominentester Wahlkämpfer Gregor Gysi.

Deutschland Rheinland-Pfalz Wahlkampf Die Linke - Plakat mit Helmut Kohl
Wahlkampf-Gag: Die Linke in Rheinland-Pfalz wirbt mit einem Zitat Helmut Kohls für soziale GerechtigkeitBild: picture-alliance/dpa/F. v. Erichsen

Karlsruhe im tiefen Südwesten Deutschlands. Vor dem Saalbau des griechischen Restaurants "Walhalla" drängen sich die Menschen, um den Linken-Politiker Gregor Gysi zu hören. Viele müssen draußen bleiben. Einen Tag später in Ulm, ebenfalls Baden-Württemberg: Hier erwarten 800 Leute im überfüllten "Haus der Begegnung" den früheren Partei- und Fraktionschef der Linkspartei. Der 68-jährige Gysi, seit Oktober 2015 auf eigenen Wunsch nur noch einfacher Bundestagsabgeordneter, bleibt der Publikumsmagnet der deutschen Linken. Und er wirft sich in den Wahlkampf wie das berühmte Zirkuspferd, das lostrabt, wenn die Musik spielt.

Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt geht es für die Linke um Selbstbehauptung in den von der Flüchtlingskrise durchgeschüttelten Verhältnissen. "Die Weltprobleme kommen nach Europa", sagt Gysi seinen Zuhörern. Besonders erfolgreich ist er mit dem Satz: "Ich wusste auch nicht, dass es je meine Aufgabe sein würde, Frau Merkel vor der CSU zu verteidigen." Amüsiertes Lachen. Gysi verteidigt die Flüchtlingspolitik der CDU-Kanzlerin gegen Angriffe aus deren Schwesterpartei CSU - wer hätte das gedacht.

Gregor Gysi (re.) mit Wulf Gallert, dem Linken-Spitzenkandidaten in Sachsen-AnhaltBild: picture-alliance/dpa/S. Willnow

Gastrecht oder Grundrecht?

Genau genommen ist die Linke sogar diejenige Partei, die den ursprünglichen Merkel-Kurs der Willkommenskultur noch in Ehren hält. Denn während die Kanzlerin selbst versucht, den Zustrom nach Deutschland durch Asylrechtsverschärfungen und eine Kontingentlösung mit der Türkei einzudämmen, lehnt die Linken-Führung alles das ab. Der Parteivorstand in Berlin erklärte im Dezember 2015 kategorisch: "Asyl ist ein Grundrecht und darf weder durch Obergrenzen noch durch Kontingente eingeschränkt werden. Diese Forderung, die von Rechts gestellt wurde und inzwischen von CSU/CDU und leider auch von der SPD übernommen wurde, lehnt die Linke entschieden ab!"

Doch wie die Gesellschaft ist auch die Linkspartei in der Flüchtlingsfrage gespalten. 45 Prozent der Linken-Wähler, die Mitte Februar von der Forschungsgruppe Wahlen befragt wurden, fänden es gut, wenn es wegen der Flüchtlingskrise wieder Grenzkontrollen gäbe, auch wenn dadurch das Reisen und der Güterverkehr in Europa erschwert würden. Und ein Führungsmitglied, die Fraktionsvorsitzende im Bundestag Sahra Wagenknecht, ließ nach den Silvester-Übergriffen auf Frauen in Köln wissen: "Wer sein Gastrecht missbraucht, der hat sein Gastrecht eben auch verwirkt". Damit sprach sie vermutlich auch vielen Anhängern der Linken aus dem Herzen.

Flammende Reden im Bundestag

Doch aus der Partei und besonders aus deren Führungsetage gibt es stets entsetzte Reaktionen, wenn vermeintlich oder tatsächlich an der Willkommenskultur gerüttelt wird. Wagenkecht wurde harsch und vielstimmig belehrt, das Asylrecht sei ein Grundrecht und kein Gastrecht. Nach kurzzeitiger Empörung ging man jedoch zur Tagesordnung über.

Merkels neue Gegenspielerin: Sahra WagenknechtBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Denn die Ehefrau des Linkspartei-Mitbegründers Oskar Lafontaine ist als Exponentin des linken, radikal antikapitalistischen Flügels unverzichtbar für den Zusammenhalt der Partei. Nicht nur das: Sahra Wagenknecht ist nach dem Rückzug Gysis aus der ersten Reihe das bekannteste Gesicht der Linken, nicht zuletzt wegen zahlreicher Talkshow-Auftritte und flammender Reden im Bundestag. Die 46-jährige promovierte Volkswirtin, die zu DDR-Zeiten wegen Aufmüpfigkeit vom Gymnasium flog, überrascht des öfteren Freund und Feind mit eigenwilligen Kommentaren. Zuletzt löste sie im Regierungslager helle Empörung aus, als sie die Bombenangriffe des Westens in Syrien auf eine Stufe mit dem IS-Terror stellte.

Wagenknecht hatte im Oktober 2015 gemeinsam mit dem 57-jährigen Dietmar Bartsch den Chefposten der Linken-Fraktion im Bundestag von Gregor Gysi übernommen. Bartsch wird als "Realo" und "Reformer" gehandelt. Beide sollen tun, was Gysi vorher allein leistete: die streitsüchtige Fraktion im Bundestag zusammenhalten. Das ist bisher recht gut gelungen. Die verbreitete Erwartung, das ungleiche Duo werde bald Schiffbruch erleiden, hat sich bisher nicht erfüllt.

Die neue Konkurrenz von rechts

Ähnlich ist es in der Bundespartei: Die Ostdeutsche Katja Kipping und der Westdeutsche Bernd Riexinger vermitteln recht unauffällig und effektiv zwischen den vielen Strömungen der Partei. Möglicherweise hat die Angst vor dem Auseinanderdriften nach dem Rückzug des Übervaters Gregor Gysi disziplinierend auf die Genossen gewirkt.

Wie lange die Harmonie hält, bleibt abzuwarten. Bei den bevorstehenden drei Landtagswahlen sind die Erwartungen eher niedrig geschraubt. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ist unsicher, ob die Linke die Fünf-Prozent-Hürde nimmt. In Sachsen-Anhalt sind - vor allem wegen der rechtspopulistischen AfD - die Chancen gesunken, in einem zweiten ostdeutschen Bundesland nach Thüringen den Regierungschef zu stellen.

Bisher sammelt die Linke vor allem in Ostdeutschland neben ihren Stammwählern auch viele unzufriedene Protestwähler ein. Doch für manche von denen gehört die Linke mittlerweile zum "System". Auch beim alles überlagernden Streit um die richtige Asylpolitik präsentiert sich die AfD mit der ultimativen Forderung "Grenzen dicht!" als einzig wahre Alternative zu Merkel.

Die AfD: Auf Wählerklau bei der Linken?Bild: picture-alliance/dpa/S. Pförtner

Gysis Warnung an die Genossen

Im Grunde genommen kämen die drei Landtagswahlen einer Art Bundestagswahl gleich, bei der über die Flüchtlingsfrage abgestimmt werde, meint der Linken-Spitzenkandidat in Sachsen-Anhalt Wulf Gallert. Viele Menschen hätten sich vom politischen System verabschiedet und meinten, "die schärfste Waffe gegen Euch alle ist jetzt die AfD". Die Linke will jedoch nicht einknicken und gibt sich unbeirrt von möglichen Stimmenverlusten.

Das empfiehlt auch der erfahrene Stratege Gregor Gysi und macht während einer Wahlveranstaltung im anhaltinischen Dessau folgende Rechnung auf: Noch sei die AfD - die beispielsweise den Mindestlohn ablehnt - sozial angreifbar. Aber es gebe Leute in der AfD, die umdächten und der Linken ihre Sozialpolitik "klauen" wollten. Damit drohe ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal verloren zu gehen."Deshalb müssen wir uns gerade in der Flüchtlingsfrage ganz klar von der AfD unterscheiden", fordert Gysi, "alles andere wäre für uns tödlich".

Auch Gysi rechnet damit, am kommenden Wahlsonntag "den einen oder anderen Wähler" zu verlieren. Doch er hofft, dafür andere zu gewinnen: "Die sind mir dann auch wichtiger."

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