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PolitikEuropa

Wird der Rechtsextremismus weiblich?

Barbara Wesel
22. Oktober 2022

Georgia Meloni ist die erste rechtspopulistische Regierungschefin in Europa. Bestätigt sie damit einen Trend, wonach Frauen als Parteiführerinnen auf der extremen Rechten in Europa besonders erfolgreich sein können?

Wahl in Italien | Wahlabend in der FdI Parteizentrale
Bild: Guglielmo Mangiapane/REUTERS

"Ich bin eine Frau, ich bin eine Mutter, ich bin eine Christin!" Dieser Kampfruf von Georgia Meloni, wiederholt in ungezählten öffentlichen Auftritten, birgt die Essenz ihres politischen Erfolgs. Nachdem bislang Männer wie der konservative Silvio Berlusconi mit betontem Macho-Benehmen die Wähler anzogen und so die italienische Politik dominierten, gründet sich Melonis Wahlerfolg auch auf der Betonung ihrer Weiblichkeit.

Triumph des öffentlichen Bildes

Sie wird die Anführerin einer neuen Koalitionsregierung, wobei die Flitterwochen zwischen den Partnern schon wieder vorbei zu sein scheinen. Wegen des anhaltenden Streits um hohe Regierungsämter hat der konservative Silvio Berlusconi die Chefin der "Brüder Italiens" als "bevormundend, herrisch, arrogant und beleidigend" abqualifiziert. Im Wahlkampf war es Georgia Meloni jedoch gelungen, ein ganz anderes Bild zu projizieren. 

Gewählt wurde die Parteichefin einerseits von vielen Katholiken wegen ihrer Vision der traditionellen, christlichen Familie. Wobei die unverheiratete Mutter einer Tochter dieses Ideal mit der Ablehnung von Abtreibung und LGBT-Rechten verbindet. Ähnliche konservative Ideale von guten Müttern und Ehefrauen reichen übrigens zurück in das Italien der dreißiger Jahre unter der faschistischen Herrschaft von Benito Mussolini.

Georgia Meloni wurde von Frauen wie von Männern gewählt - trotz ihrer traditionellen Familienpolitik Bild: Massimo Percossi/ANSA/picture alliance

Zum Wahlerfolg von Georgia Meloni trugen darüber hinaus die Stimmen vieler Selbständiger bei. Sie schätzen sie als kämpferische Aufsteigerin aus der Unterschicht, die die Sorgen der kleinen Ladenbesitzer und Geschäftsleute kennt. Dabei ist der Erfolg von Georgia Meloni bei den "Brüdern Italiens" eine Besonderheit: Sie ist eine der Mitgründerinnen, steht seit zehn Jahren an der Spitze und führte sie von einer Splitterpartei in die Regierung. Abgesehen von Melonis singulärem Erfolg war diese Wahl jedoch für Frauen in der italienischen Politik ein Rückschlag: Unter den Abgeordneten im Parlament sank ihr Anteil von rund 35 auf 31 Prozent. 

Frauen an der Spitze als Strategie?

Geht es also bei rechtsradikalen oder populistischen Parteien darum, eine im Kern aggressive Botschaft durch eine weibliche Parteiführerin oder Spitzenkandidatin als "weicher" erscheinen zu lassen? Die Soziologin Katrine Fangen von der Universität Oslo glaubt, in diesem Stereotyp stecke ein Stück Wahrheit. "Viele rechtspopulistische Parteien haben schon seit längerem Spitzenpolitikerinnen, das ist nicht neu. Aber es kann durchaus eine strategische Entscheidung sein, sich stärker an Frauen zu richten, die sich mehr mit einer weiblichen Führungsfigur identifizieren können", erklärte sie im Interview mit der norwegischen Zeitschrift "Framtide". 

Lega-Chef Matteo Salvini mit seinem Macho-Gehabe war im letzten Wahlkampf wenig erfolgreichBild: Vincenzo Nuzzolese/SOPA Images/ZUMA/picture alliance

"Nach wie vor werden rechtspopulistische Parteien überwiegend von Männern gewählt, aber der Unterschied ist nicht mehr so stark wie in der Vergangenheit. Etwa 40 Prozent der rechtsextremen Wählerschaft international sind Frauen." Dabei seien die rechten Parteien in Europa sehr unterschiedlich, in Frankreich und den Niederlanden etwa würden sie auch Gleichberechtigung und teilweise sogar LGBT-Rechte auf ihre Fahnen schreiben. 

Das Vorbild Marine Le Pen

Soziologin Dorit Geva von der Central European University in Wien betrachtet auch das Vorbild von Marine Le Pen in Frankreich als Teil einer neuen Strategie bei rechtspopulistischen Parteien. "Es ist ein Trend, den Le Pen vor etwa zehn Jahren startete. Sie hat das Bild der Partei [damals Front National] schrittweise weicher gemacht, denn zu deren abstoßenden Aspekten gehörte das Macho-Image." Le Pen hatte eine Partei von ihrem Vater geerbt, die ein Sammelpunkt von Ex-Militärs und ehemaligen Algerienkämpfern war. Meloni wiederum formte in den letzten Jahren Bild und Ausrichtung der "Brüder Italiens" stark aus eigener Kraft und verschaffte ihnen einen Sprung von über 20 Prozent in der Wählergunst. "Sie hat ihre eigene Anziehungskraft und ihre Macht verstanden", unterstreicht Dorit Geva. 

In Frankreich wiederum sei das weibliche Geschlecht von Marine Le Pen in den letzten beiden Wahlkämpfen ein zentraler Aspekt der politischen Botschaft gewesen. "Es geht um Sorge und Schutz, um ein mütterliches Image, verbunden mit der Politik des Wohlfahrtsstaates." Damit sei das harsche Bild der "Law and Order"-Partei weicher gemacht worden.

Im letzten Wahlkampf gab sich Marine Le Pen, Parteichefin des Rassemblement National, besonders weich und frauenfreundlich Bild: DENIS CHARLET/AFP

"Was wir sehen, ist eine neue Variante der extremen Rechten, die sich als Schützerin der Bürger profiliert, was früher bei diesen Parteien nicht der Fall war." Meloni etwa betone, dass Mütter mehr soziale Unterstützung bräuchten, weil ihre eigene Mutter alleinerziehend war. Le Pen wiederum verspricht mehr Sozialstaat, Mietzuschüsse und höhere Löhne und behauptet, Migranten seien bisher bevorteilt worden.

"Es ist eine Strategie, um die Basis ihrer Wählerschaft zu erweitern. Dabei tanzen sie zwischen beiden Seiten, reden über Gott, die Familie und konservative Werte, ohne die andere Seite ganz auszuschließen", sagt Dorit Geva. Diese Parteien würden inzwischen in den Mitte-Rechts Block vorstoßen, erklärt die Soziologin, ohne dass klar sei, welche Wahlkampfslogans in Maßnahmen der politischen Praxis münden würden.

Gibt es eine Ost-West Spaltung?

In osteuropäischen Ländern, etwa in Polens regierender PiS-Partei oder in Ungarns Fidesz, regieren bislang weiter die Männer. Pawel Zerka vom politischen Thinktank Council on Foreign Relations aber glaubt, es gehe weniger um eine geografische Spaltung als die unterschiedliche Herkunft der rechtpopulistischen Parteien. "In Westeuropa entstanden sie oft als Anti-Eliten, Anti-Migranten, Euro-skeptische oder post-faschistische Formationen. In Osteuropa gab es keine etablierten Parteien wegen des Demokratisierungsprozesses. Deswegen sind jetzt die größten der als populistisch oder nationalistisch geltenden Parteien frühere konservative, die weiter nach rechts gerutscht sind."

Der ungarische Premier und Fidesz Parteiführer Viktor Orban umgibt sich meist mit Männern Bild: Bernadett Szabo/REUTERS

Zerka glaubt, auch sie müssten zunehmend an die weibliche Wählerschaft appellieren. "Sonst können sie leicht - und meist zu Recht - als frauenfeindlich angesehen werden." Frauen stimmten dann weniger für diese Parteien, was man die Geschlechter-Lücke im Wählerverhalten nenne. "Das war so bei Donald Trump in den USA, Eric Zemmour in Frankreich, Konfederacja in Polen und Vox in Spanien. Interessanterweise gibt es keine Geschlechterlücke für Marine Le Pen oder die Brüder Italiens."

Auch für die Regierungspartei PiS in Polen existiert sie eher nicht, weil Interims-Regierungschefin Beata Szydlo die Partei auf sozio-ökonomische Themen konzentrierte, auf Job-Sicherheit, Kinderzuschläge und ähnliches. "Das hat Marine le Pen bei der Entgiftung ihrer Partei geholfen und es scheint PiS bei den Wahlen 2015 geholfen zu haben." Dem Hardliner und klandestinen Parteichef Jaroslaw Kaczynski wäre das nicht gelungen, meint Pawel Zerkas.

Der Fall von Georgia Melonis Wahlerfolg aber liege anders. Sie konnte sich als Alternative zu den anderen Parteien in der Draghi-Regierung aufstellen und die Lega von Matteo Salvini habe ihre Anziehungskraft verloren. Jetzt müsse man abwarten, wie Melonis Sozialpolitik aussehen werde. "Ihre Partei zieht Frauen ebenso an wie Männer. Das Geschlecht spielt keine Rolle, im Gegensatz zu Alter oder Ausbildung - trotz ihrer traditionellen Ziele und der faschistischen Wurzeln." Nach Pawel Zerka hat Meloni wohl von Marine Le Pen gelernt, aber ihre politische Zukunft hängt von den besonderen italienischen Verhältnissen ab.

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