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Politik

Rechtspopulismus in den Visegrád-Staaten

Sabrina Müller-Plotnikow
23. Oktober 2017

Mit ihrer Abwehr gegenüber Flüchtlingen punkten die Regierungen der Visegrád-Staaten innenpolitisch. Nach Polen und Ungarn siegt der Populismus nun auch in Tschechien.

Tschechische Republik Visegrad Treffen
Bild: picture-alliance/AP Photo/P. D. Josek

Ungarn, Polen, die Slowakei und die Tschechische Republik, die vier Länder der sogenannten Visegrád-Gruppe, wehren sich schon lange gegen eine EU-Quote zur Aufteilung von Flüchtlingen. Die EU-Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen, Ungarn und Tschechien eingeleitet. Mit ihrer rechtspopulistischen Politik finden die Regierungen diese Länder innenpolitisch viel Zustimmung. Experten warnen, dass ihre ablehnende Haltung gegenüber der EU zu einem zunehmenden Ost-West-Bruch der Union führen könnte. Nach dem Wahlausgang in der Tschechischen Republik droht nun ein weiteres Auseinanderdriften: Österreich, bisher Vermittler zwischen den Visegrád-Staaten und der EU, flirtet mit dem informellen Bündnis.

Tschechien

Die Parlamentswahl in Tschechien hat der Milliardär Andrej Babis mit seiner Protestbewegung ANO ("Ja") deutlich gewonnen. Welchen Kurs das Land mit dem Populisten einschlagen wird, hängt vor allem davon ab, mit wem Babis eine Koalition eingehen wird. Babis, der in der Slowakei geboren wurde, zeigte sich im Wahlkampf als Euroskeptiker, Gegner einer langfristigen EU-Integration und scharfer Kritiker der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Verpflichtete sich Tschechien 2015 noch 1500 Flüchtlinge aufzunehmen, lehnen Regierung und Opposition eine einheitliche Quotenregelung zur Verteilung der Asylbewerber noch immer ab. Babis versprach, weiterhin die europäischen Grenzen abzuriegeln, damit kein Flüchtling in Tschechien aufgenommen wird. Starken Zuspruch bei den Wahlen hatte auch die tschechische rechtsradikale SPD, ein Parteikürzel, das übersetzt für "Freiheit und direkte Demokratie" steht. Im Jahr 2015 hatte Tschechien einen Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung von etwa vier Prozent. Experten gehen davon aus, dass sich das Land unter Babis den EU-skeptischen Rechtsregierungen in Polen und Ungarn weiter annähern könnte, auch wenn Babis eine vollständige Orientierung "nach Osten" Babis bislang ablehnt.

Tausende Flüchtlinge überquerten illegal die grüne Grenze zwischen Kroatien und Ungarn, hier in Zakany (Archivbild)Bild: picture alliance/AP Photo/P.David Josek

Ungarn

Der ungarische Ministerpräsident Victor Orbán propagiert die Idee einer ethnischen Reinheit der Nation der Magyaren. "Die ethnische Homogenität muss bewahrt werden!", fordert Orbán öffentlich in Rundfunk und Fernsehen. In vielen Entscheidungen wird er dabei von der rechtsextremen Opposition im Parlament, der Jobbik-Partei, getrieben. Strikt wehrt er sich gegen die EU-weite Umverteilungsquote, die seine Regierung als Einfallstor für eine drohende Überfremdung betrachtet. Besonders die Angst vor einer wachsenden muslimischen Bevölkerung treibt Orbán um. Er erinnert in dem Zusammenhang gerne an die Situation Ungarns während der Besatzung durch das Osmanische Reich. Ein Paradox, denn Ungarn hat einen Ausländeranteil von lediglich etwa zwei Prozent. Orbáns Einstellung führt zu großem Zwist mit Brüssel. Das ungarische Parlament verabschiedete weitreichende Gesetzespakete, um die Fluchtbewegungen nach Ungarn einzudämmen. Und auch der 175 Kilometer lange Grenzzaun zu Serbien und Kroatien wurde zum Symbol für die Abschottungspolitik Orbáns. Budapest präsentierte der EU sogar eine Rechnung über 400 Millionen Euro. So wollte Orbán die Kosten des Zauns auf Brüssel abwälzen. Zuletzt hat der Europäische Gerichtshof Ungarn und die Slowakei zur Aufnahme von Flüchtlingen verpflichtet. Orbán orientiert sich, anders als Regierungschefs anderer Visegrád-Staaten, auch Richtung Moskau. So hat der russische Präsident Wladimir Putin einen Kredit für das milliardenschwere Atomkraftwerk Paks II genehmigt, was Ungarn in eine jahrzehntelange Abhängigkeit von Russland bringt.

Slowakei

Nach dem Wahlsieg von Babis in Tschechien ist die Slowakei nun das einzige Land der Visegrád-Staaten, das sozialdemokratisch regiert wird. Dennoch sind nationalkonservative Töne zu hören. So betont Regierungschef Robert Fico immer wieder, es gebe einen Zusammenhang zwischen Terrorismus, für den er pauschal muslimische Flüchtlinge verantwortlich macht, und der unkontrollierten Einwanderung. Damit meint er die Fluchtbewegungen im Jahr 2015. Anders als Ungarn liegt die Slowakei nicht an der Balkanroute. In dem Land gibt es kaum Zuwanderer - ihr Anteil an der Bevölkerung liegt bei etwa einem Prozent. Die Flüchtlinge, die in dem Land stranden, werden in Auffanglagern untergebracht und dort eher wie Kriminelle behandelt. Um einen Eklat mit Brüssel zu vermeiden, hat sich das Land nach langem Zetern gegen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs einsichtig gezeigt und ist bereit, muslimische Kriegsflüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. Die liberale und rechtspopulistische Opposition warf daraufhin Regierungschef Fico vor, die Aufnahme von Flüchtlingen nicht konsequent zu verweigern. 

Polen

Trotz des Vertragsverletzungsverfahrens gegen Ungarn, Tschechien und auch Polen bleibt die polnische Regierung in der Flüchtlingsfrage hart. Lieber nimmt die Regierung in Warschau Sanktionen in Kauf, als Flüchtlinge aufzunehmen. Anders als in Ungarn ist in Polen rechts von der nationalkonservativen PiS von Jaroslaw Kaczyński keine treibende Kraft auszumachen. Die Regierungspartei, die übersetzt "Recht und Gerechtigkeit" heißt, argumentiert, mit ihrer strikten Haltung gegen Migration kämpfe sie für die Erhaltung der polnischen und christlichen Identität. Während der Diskussionen über EU-weite Quotenregelungen zur Umverteilung von Flüchtlingen vertrat Polen den Standpunkt, die Menschen würden ohnehin nicht bleiben und weiter Richtung Westen ziehen. Ankündigungen der Regierung, 2000 Menschen aus Kriegsgebieten aufzunehmen, wurden mit fremdenfeindlichen Protesten nationalistischer Gruppen beantwortet. Dabei ist der Anteil an Ausländern in der Bevölkerung marginal: lediglich 0,3 Prozent leben in dem osteuropäischen Staat. Die wenigen Flüchtlinge, die dort eintreffen, werden in Aufnahmezentren - ehemaligen Arbeitererholungsheimen, die meist außerhalb der Städte liegen - untergebracht und kommen überwiegend aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Knapp 4200 Menschen stellten im ersten Halbjahr 2017 einen Asylantrag. Die Hälfte der Menschen stammt aus Russland, genauer genommen aus der autonomen Republik Tschetschenien. Asyl wurde 273 Flüchtlingen aus Syrien, Ägypten und dem Irak gewährt.

Sebastian Kurz von der ÖVP könnte Österreichs nächster Bundeskanzler werdenBild: Reuters/D. Ebenbichler

Und bald Österreich?

Populisten verschiedener Strömungen hatten zuletzt auch bei der Nationalratswahl in Österreich Zustimmung gefunden. Offenbar ist auch in Österreich die Zeit der Willkommenskultur vorbei. Die Regierung will bald die Asylgesetze in Österreich verschärfen. So könnten Asylsuchende dann bereits an der Grenze zurückgewiesen werden, wenn eine in diesem Jahr geltende Obergrenze von 37.500 Flüchtlingen überschritten wird. Der neue tschechische Regierungschef Babis sieht in dem österreichischen Wahlsieger Sebastian Kurz bereits einen weiteren "Verbündeten" der Visegrád-Gruppe. Als möglicher Koalitionspartner von ÖVP-Chef Kurz gilt FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Beide verstehen sich als Mittler zwischen den Visegrád-Ländern und der EU.

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