1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Rechtsruck in Italien sehr wahrscheinlich

25. September 2022

Die Rechtsextreme Giorgia Meloni hat gute Chancen mit ihrer Partei stärkste Kraft zu werden und eine rechtspopulistische Koalition zu bilden. Wird sie Europa das Fürchten lehren? Bernd Riegert berichtet.

Italien Wahlkampf, Plakate, Werbung
Salvini, Meloni und Berlusconi wollen zusammen arbeitenBild: Andrea Roncini/Pacific Press Agency/IMAGO

Vor den Parlamentswahlen in Italien

03:37

This browser does not support the video element.

Für die Aussagen, Adolf Hitler sei ein toller Staatsmann und Giorgia Meloni, die Vorsitzende der "Brüder Italiens", eine moderne Faschistin, wurde Calogero Pisano kurz vor der Wahl in Italien seiner Parteiämter enthoben. Calogero Pisano war Koordinator der "Brüder Italiens" in einer Region Siziliens. Eine Tageszeitung hatte seine faschistischen Posts aus den Jahren 2014 und 2016 auf Facebook ausgegraben. Die Parteiführung der Brüder Italiens reagierte schnell. Pisano wurde gefeuert, obwohl er beteuerte, sich von den alten, heute "peinlichen" Aussagen längst distanziert zu haben.

Diese Episode im Wahlkampf zeigt, dass sich Giorgia Meloni ihre neuerdings von der postfaschistischen Vergangenheit weiß gespülte Weste nicht von Provinzpolitikern beflecken lassen will. Meloni, die ihre politische Laufbahn in einer postfaschistischen Jugendorganisation begann und später zur Vorsitzenden der heute rechtsextremen populistischen "Brüder Italiens" aufstieg, arbeitet seit drei Jahren daran, sich ein moderateres Erscheinungsbild zu geben. Die Europäische Union und die Gemeinschaftswährung will sie nicht mehr wie früher verlassen, sondern nur noch nach italienischem Willen umformen. Den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine verurteilt sie, im Gegensatz zu anderen Rechtspopulisten in Europa. Sie ist für Sanktionen gegen Russland und Waffenhilfe an die Ukraine. Allerdings hält sie den Brexit, den Austritt der Briten aus der EU für richtig und hält enge Verbindung zur britischen konservativen Partei. Giorgia Meloni ist sogar Vorsitzende der "Europäischen Konservativen und Reformer", einer europäsischen Vereinigung rechtspopulistischer Parteien, zu der auch die polnische Regierungspartei PiS gehört.

Meloni: Von postfaschistischer Vergangenheit will sie nichts mehr wissenBild: Alexandra von Nahmen/DW

Meloni relativ gemäßigt?

Lutz Klinkhammer, Italien-Kenner am Deutschen Historischen Institut in Rom, würde Meloni nicht als Postfaschistin bezeichnen. "Ihre Anhängerschaft hat sicher noch einmal andere Einstellungen als sie selbst. Sie hat ja das Etikett 'faschistisch' abgelehnt. Ich halte das auch nicht für das Adäquate, um sie zu charakterisieren. Aber sie ist sicher jemand, die innenpolitisch auf einem sehr konservativen Kurs ist und versuchen wird, Einwanderung zu unterbinden. Sie ist eine konservative Politikerin mit einer Vergangenheit im Postfaschismus."

Meloni selbst machte sich über die Befürchtungen in Europa über eine Regierung unter rechtsextremer Führung im Wahlkampf lustig. In Brüssel habe man nur Angst davor, Pfründe und Macht zu verlieren. Die Chefin der "Brüder" unterstützt Polen und Ungarn in ihrem Streit um die Rechtsstaatlichkeit mit der EU-Kommission und dem Europäischen Gerichtshof. Viktor Orban, der ungarische Ministerpräsident, der wegen Korruption in Ungarn von der EU unter Druck gesetzt wird, könnte sich auf eine neue Verbündete im Europäischen Rat freuen.

Historiker Lutz Klinkhammer: Es geht ums Geld im WahlkampfBild: DW/B. Riegert

Politik-Professor Lorenzo De Sio von der LUISS Universität in Rom sagte im Gespräch mit der DW, eine Regierung Meloni werde italienische Positionen in Brüssel wohl härter durchsetzen wollen. "Davon kann man sicher ausgehen, aber es ist unwahrscheinlich, dass sich die wesentlichen Koordinaten der italienischen Außenpolitik und italienischen Politik im Verhältnis zu Europa ändern werden."

Es geht um Sozialleistungen

Die italienischen Wählerinnen und Wähler interessiert Europa- oder Außenpolitik eher weniger, meint Lutz Klinkhammer vom Deutschen Historischen Institut in Rom. "Die Italiener sind verunsichert. Der Wahlkampf geht hauptsächlich um Geld, um Abstiegsängste, um Beibehaltung sozialer Sicherungsmaßnahmen. Die Angst in die Armut abzusinken, ist schon verbreitet. Es ist eine Protestwahl, wie wir das schon mehrfach hatten im letzten Jahrzehnt in Italien, nur dass sich jetzt die Hoffnungen auf eine Führungsfigur der Rechten richten und nicht der Linkspopulisten."

Das Parlament "Montecitorio" in Rom wird mit der Wahl verkleinert: Von 630 auf 400 SitzeBild: DW/B. Riegert

Die Energiepreise, die Inflation und die Nachwirkungen der Corona-Krise bestimmen die Wahlkampfveranstaltungen und Talkrunden im Fernsehen. Rechte und linke Parteien versprechen mehr soziale Wohltaten. Meloni bremst allerdings etwas bei neuen Staatsschulden. Alle Parteien wollen von den 200 Milliarden Euro profitieren, die Italien in den kommenden Jahren aus dem Wiederaufbau-Fonds der EU nach Corona als Zuschüsse oder billige Kredite erhalten soll. Schon allein deshalb werde sich keine neue italienische Regierung komplett gegen die EU wenden können, meint Lutz Klinkhammer, Italien-Experte in Rom.

Linke sind uneins

In den Meinungsumfragen lag Giorgia Meloni in den letzten Wochen immer vor den zweitplatzierten Sozialdemokraten. Die "Brüder Italiens" könnten 25 Prozent der Stimmen holen, die sozialistische "Partito Democratico" etwa 22 Prozent. Da die ultra-konservative Meloni mit den beiden anderen rechtspopulistischen Parteien Lega und Forza Italia eine Koalition eingehen will, käme das rechte Bündnis auf eine bequeme Mehrheit in beiden gleichberechtigten Kammern des italienischen Parlaments. Die Lega des ehemaligen Innenministers Matteo Salvini liegt bei 13 Prozent in den Umfragen. Forza Italia unter dem alten Haudegen Silvio Berlusconi bringt es auf sieben Prozent. Das italienische Wahlrecht verschafft dem Block, der die relative Mehrheit der Stimmen bekommt, die absolute Mehrheit der Sitze im verkleinerten Parlament.

Mutmaßlich Zweiter: Sozialdemokrat Letta war bereits einmal MinisterpräsidentBild: Pasquale Gargano/Pacific Press/picture alliance

Das linke Lager, das sich um die Sozialdemokraten hätte scharen müssen, ist heillos zerstritten. Eine breite Allianz kam im Wahlkampf nicht zustande. Laut der Umfragen kommen linke und liberale Kleinparteien zusammen nicht gegen den rechte Lager an. Die ehemals populäre "Bewegung 5 Sterne" ist von der Position der stärksten Partei auf nur noch 13 Prozent abgesackt. Wie die "5 Sterne" haben sich auch die Sozialdemokraten mehrfach gespalten und ihre Wahlchancen verringert.

Rechte Koalition nicht völlig neu

Wie lange eine neue rechte Regierung unter Giorgia Meloni, der ersten Ministerpräsidentin des Landes, durchhalten würde, ist fraglich. Eine rechte Koalition hat es bereits im Jahr 2001 gegeben. Damals war allerdings der eher gemäßigte Silvio Berlusconi noch Vertreter der stärksten Kraft im rechten Lager. Aber Postfaschisten und Rechtspopulisten sind eigentlich nichts Neues in der italienischen Politik, meint Lutz Klinkhammer vom Deutschen Historischen Institut in Rom. "Die Präsenz der Postfaschisten ist seit 2001 in verschiedenen Regierungen sehr massiv gewesen. Insofern sehe ich jetzt nicht den qualitativen Sprung, den eine neue Regierung geführt von Giorgia Meloni haben könnte." Professor Lorenzo De Sio von der römischen LUISS-Universität warnt davor sich auf die manchmal unsicheren Meinungsumfragen in Italien zu verlassen. Es könne sein, dass die Mehrheit des rechten Lagers doch nicht so groß werde wie vorhergesagt. In einzelnen Regionen, etwa im Süden, könnten linke Gruppen durchaus Stimmen holen, was sich dann wiederum auf die Mehrheit im Senat, der zweiten Parlamentskammer auswirken würde.

Die Wahllokale schließen an diesem Sonntag um 23 Uhr. Erste Projektionen werden von den Medien unmittelbar danach veröffentlicht. Verlässliche Hochrechnungen werden etwa um zwei Uhr morgens erwartet.

Rechte in Europa im Aufwind

05:39

This browser does not support the video element.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen