Rechtsruck in Ungarn
28. April 2008Zunächst die Regierungskrise wegen koalitionsinterner Streitereien und dann die so genannte "Lügenrede" von Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány sind ein gefundes Fressen für die Rechtextremen in Ungarn. Seither kann man sie beinahe jeden Tag auf den ungarischen Straßen sehen und hören, denn sie marschieren und demonstrieren vor allem gegen die von ihnen so bezeichnete "Zigeunerkriminalität". Allen voran die Mitglieder von "Jobbik", was übersetzt die "Rechteren" oder "Besseren" heißt. Aber auch ihr Ableger, die Wehrsportgruppe "Magyar Garda", Ungarische Garde, verbreitet Schrecken.
Das Internet als Medium und Austausch für die ungarischen Rechten
Sie singen Loblieder auf die weiße Rasse und Hetzparolen gegen Juden oder Roma. Rassismus ist in Ungarn nur einen Mausklick entfernt, denn zahlreiche Lieder der Rechtsextremen kann man im Internet finden. Eines davon ist "Majmok", das "Affen" bedeutet. Es diffamiert die rund 600.000 Roma im Land als Sozialschmarotzer und jeder kann das Lied im Internet-Portal "You Tube" abrufen: "Nemzeti Rock" – Nazi-Rock auf Ungarisch.
"Ich verdiene die Stütze, von der ihr lebt", heißt es im Text und im Refrain werden die "Affen" symbolisch für die ungarischen Roma-Familien verwendet. Das ist ganz nach dem Geschmack von Gábor Szabó. Er leitet das Büro der rechtsextremen Partei "Jobbik" und meint, dass es nicht um die Zigeunerfrage gehe. "Es geht um Zigeunerkriminalität. Das Thema ist tabu. Wir wollen das ändern." Jobbik wolle vor allem Spezialeinheiten bei der Polizei, ähnlich wie die Anti-Terror-Einheiten. Die Regierung und die Gesellschaft müssen hier Härte zeigen.
Viel Getöse, wenig Inhalt?
Trommeln, Stiefel im Gleichschritt, rot-weiß-gestreifte Fahnen und Männer und Frauen in Phantasie-Uniformen: Seit vergangenem Sommer hat "Jobbik" eine eigene "Parteiarmee" – tatsächlich angelehnt an die Sturmabteilung (SA) der Nazis in Deutschland. Zu Kundgebungen und Demonstrationen marschieren die Männer und Frauen der "Ungarischen Garde" so durch Roma-Viertel wie Olaszliszke, Kerepes, Tatárszentgyörgy und verbreiten Schrecken.
Bei den Roma dort geht die Angst um. "Wer keine hat, der ist einfach nur dumm", sagt ein junger Roma. Die Rechtsextremen sind gut untereinander und mit anderen Organisationen vernetzt, sogar mit der NPD in Deutschland. Ihre Feindbilder geben sie offen und eindeutig preis: die linksliberale Regierung in Ungarn, Juden, Roma und Homosexuelle. Endre Bojtár, Chefredakteur der liberalen Wochenzeitung "Magyar Narancs" hat sich mit dieser Weltansicht auseinander gesetzt: "Alles Schlechte ist das Werk des Westens, der Juden, der ungarischen Verräter." Traurig sei daran, dass gerade bei den Rechtsextremen die völkische Ideologie ist lebendig geblieben sei.
Gegen alles und jeden, der anders ist als sie
Auch in den Medien spürt man den Aufwind der Rechtsextremen: Ein offen antisemitischer Zeitungsartikel des Publizisten Zsolt Bayer in der Zeitung "Magyar Hírlap" erregte jüngst Aufsehen. 100 Intellektuelle wandten sich zwar in einem offenen Brief gegen den Hetz-Artikel und seinen Verfasser, dennoch sei der Geist des Antisemitismus aus der Flasche, meint Ernö Lazarovics, vom Verband der Ungarischen Jüdischen Gemeinden MAZSIHISZ. "Da erhalten Rabbiner Hassbriefe und jüdische Friedhöfe werden vandalisiert. Nach der politischen Wende trat das alles offen ans Licht."
Im Parlament sitzt zwar derzeit keine rechtsextreme Partei, aber die Politik mache es den Rechtsextremen leicht, meint Lászlo Láner. Er gibt das Schwulenmagazin "Mások", übersetzt "Die Anderen", heraus. Bei der letzten "Gay Pride Parade" beobachtete er, wie Teilnehmer angegriffen wurden wegen ihrer Homosexualität. "Da wurden Parolen gerufen wie "Juden in die Donau. Und die Schwulen hinterher", erzählt Láner. Es seien Hetz-Transparente hochgehalten worden und die Polizei habe zugeguckt. All das sei sogar in Videos dokumentiert worden und dennoch sei keiner deswegen belangt worden. "Das ermutigt solche faschistischen Gruppen natürlich: Sie können machen, was sie wollen", meint Láner.
Machtlose ungarische Regierung
Die größte Oppositionspartei, der rechtskonservative Bürgerbund Fidesz, will nun an die zwölf Prozent der rechtsextremen Wähler heran. Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány von den Sozialisten scheint machtlos dagegen zu sein. Zwar kritisierte er die Aufmärschen der "Ungarischen Garde" und bezeichnete sie als "Nationalsozialismus pur", doch ein Volksverhetzungsparagraph, der bereits vom Parlament verabschiedet wurde, steckt noch immer beim Staatspräsidenten in der Warteschleife.
Über ein Verbot der Ungarischen Garde entscheidet die Budapester Generalstaatsanwaltschaft ebenfalls erst Mitte Mai, während die ungarischen Rechtsextremen vorerst ungestört weiter marschieren.