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Deutschland recycelt sich reich

1. März 2018

Erdölvorkommen? Erdgasbestände? Nicht der Rede wert! Seltene Erden, Mineralien? Fehlanzeige! Deutschland verfügt über wenig Rohstoffe und ist doch reich an Materialien, die wiederverwertet und recycelt werden können.

Recycling Urban Mining
Bild: DW/K. Jäger

"Ich habe Zeiten erlebt, da wurde alles einfach platt gewalzt", sagt der Vorarbeiter auf der Baustelle, "Heutzutage wird erst ein Abrisskonzept erstellt, und dann werden die einzelnen Materialen getrennt, gelagert, wiederverwertet."

Ein aufwendiger Prozess, wie Jasmin Mangold vom Entsorgungssbetrieb 'Bonn Orange' bestätigt: "Vor Baubeginn wird ein Schadstoffkataster erstellt, der Baugrund untersucht und klassifiziert und daraus ein Rückbau- und Entsorgungsplan erstellt. Die Arbeiten werden begleitend vom Gutachter überwacht und verdächtige, noch nicht bekannte Materialien werden untersucht und klassifiziert." Ein Sicherheits-und Gesundheitskoordinator überwacht die Prozesse. Getrennt wird, was technisch möglich ist: Fenster, Türen, Dämmungen, Asbestplatten. Unbelastete Betone können gebrochen und als Unterbau in Verkehrsflächen wiederverwertet werden.

Keramische Abfälle aus Porzellan, Fliesen, Toilettenschüsseln, Waschbecken landen einmal als Schotter auf Wegen Bild: DW/K. Jäger

Währenddessen kippt ein LKW auf der Bauhofbaustelle einen Berg ab - feinkörnige Erde mit groben Gesteinsbrocken dazwischen. "Das war einmal Beton. Der wurde in einem Werk zermahlen, und nun werden Baulöcher damit verfüllt", erklärt ein Bauarbeiter. Aus dem Material waren die Gebäude des Bonner Betriebshofes errichtet worden. Nach dem Abriss soll schon bald an gleicher Stelle ein neuer Bau- und Wertstoffhof entstehen. "Mit dem körnigen RC-Beton (Abk. für recycelter Beton) lassen sich wieder ganze Gebäude errichten", erklärt Felix Müller, beim Umweltbundesamt (UBA) zuständig für Ressourcenschonung  

Primärrohstoffmangel - Sekundärrohstoff im Überfluss

Deutschland verfügt über immense Mengen Bauschutt, über intakte Gebäude und verbaute Infrastruktur. Darin stecken mineralische Materialien wie Beton, Ziegel oder Keramik. Auch an Basismetallen wie Stahl, Kupfer, Aluminium und anderen Materialien wie Kunststoffen, Gips, Asphalt oder Holz herrscht kein Mangel. Außerdem gibt es Kalisalz- und Spezialton-Vorkommen. Erze und Metalle dagegen müssen zu 100 Prozent importiert werden. Sie werden der Natur entnommen und über weite Strecken transportiert.

Doch auch weltweit gehen die Rohstoffbestände wie Öl oder Kohle zur Neige. Oder sie werden aus strategischen Motiven auf den Märkten knapp gehalten. Damit steigen die Preise. Angesichts des immer noch steigenden Bedarfs und knapper werdender natürlicher Ressourcen wird das Ausschlachten von verbrauchten Materialien zunehmend wichtig.

"Wir rechnen damit, dass die Nutzung unserer fossilen Rohstoffe aufwendiger und teurer wird, wenn nicht sogar endlich. Sekundärrohstoffe werden also konkurrenzfähiger. In unseren Städten sind viele Rohstoffe verbaut, deren Wiedergewinnung immer attraktiver wird", sagt Jasmin Mangold vom Entsorgungsunternehmen 'Bonn Orange'. "Das rohstoffliche Recycling wird steigen, die Beseitigung und energetische Verwertung werden zurückgehen. Der aktuelle Trend wird sich somit fortsetzen."

Für Bürger und Handwerker: Abfall-Container auf dem Bonner Betriebsbauhof Bild: DW/K. Jäger

Alles ist irgendwie nachhaltig

Nur wenige Schritte von der staubigen Baustelle entfernt sortieren die Mitarbeiter der städtischen Abfallbetriebe 'Bonn Orange' penibel alles, was die Bürger anliefern: Computer, Fernseher, Kühlschränke, Waschmaschinen, Batterien, Leuchtstoffröhren, Bauschutt, CDs, Öle und Lacke. Die Produkte und Materialen werden in riesigen Containern und Fässern gelagert. "Die Farben werden getrocknet. Daraus wird Kreide gewonnen. Die ranzigen Öle werden zu Kosmetika verarbeitet", erklärt der Betriebsleiter der staunenden Reporterin. Pro Person in deutschen Haushalten fallen fast 500 Kilogramm Abfall im Jahr an.

Vorbei sind die Zeiten, in denen Abfälle als wertloser Müll behandelt und auf Deponien mit Erde zugeschüttet der Nachwelt überlassen wurden. Andererseits stecken in ausgedienten Geräten, überflüssig gewordenen Materialien wichtige Wertstoffe wie Altpapier, Schrotte, Altkunststoffe, Metalle oder Glas.

Diese sogenannten Sekundärrohstoffe werden für die gewerbliche und industrielle Produktion wiederverwendet. Dadurch können Einfuhren aus dem Ausland begrenzt, natürliche Ressourcen und die Umwelt geschont werden. Außerdem soll, so die Absicht der deutschen Politik, anderen Ländern der Zugriff auf die eigenen Rohstoff-Areale erleichtert werden, um deren Entwicklung zu begünstigen.

Heizwert: Altreifen landen als Brennstoff in Zementwerken oder als Gummigranulat in Dämmstoffen oder BodenbelägenBild: DW/K. Jäger

Die Sichtweise ändern - wahre Werte erkennen

Recyclingexperten erkennen in einem neuen PKW ein anthropogenes (von Menschen gemachtes) Lager aus Rohstoffen. Selbst als Altauto ist das Fahrzeug von Wert: Über das Internet suchen Bastler und Händler Getriebe, Türen und andere Teile. Aus dem Eisen, Plastik, Glas, und Metall werden neue Produkte hergestellt. Reifen können zu Straßenbelägen oder Dämmstoffen weiterverarbeitet werden. 

Bewohnbare Gebäude, Möbel, Elektrogeräte, Heizkörper gehören ebenso zu den anthropogenen Lagern wie stillgelegte Bahntrassen, Industriebrachen, Erdkabelleitungen und auch das Schubladenhandy, das ungenutzt herumliegt.

Urban Mining funktioniert wie Hausmülltrennung im Großen

"Wir sind umgeben von einem vom Menschen gemachten Lager in Höhe von über 50 Milliarden Tonnen an Materialien", sagt Maria Krautzberger, Präsidentin des Umweltbundesamtes zum Wert des Urban Minings. Würde man alle Bauten als eine Halde aus wertvollen Materialien langlebiger Produkte, Gebäude und Infrastruktur betrachten, verfügte jeder Bürger über 317 Tonnen an mineralischen Materialien, über 4,3 Tonnen Holz, 3 Tonnen Kunststoffe, 14 Tonnen Metalle. Allein der Materialwert der Metalle im anthropogenen Lager Deutschlands wird auf 650 Milliarden Euro geschätzt.   

Potential unter der Motorhaube - In einem Mittelklasse-PKW von einer Tonne Gewicht stecken 15 Tonnen Primärrohstoffe, wiederverwertbares Material, das zur Herstellung erforderlich warBild: DW/K. Jäger

Dieses anthropogene Lager wächst nach UBA-Angaben jedes Jahr um weitere zehn Tonnen pro Einwohner an, weil weiterhin gebaut, produziert und entsorgt wird. Städte stellen somit ein unermessliches Rohstofflager dar. Diese Materialien werden nicht mehr nur als Last, sondern auch als Vermögen betrachtet. 

Recycling - eine Zukunftsbranche 

"Recycling ist eine Schlüsselbranche auf dem Weg zu einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft, glaubt UBA-Wirtschaftschemiker Felix Müller: "Die anthropogenen Lager wachsen um zehn Tonnen pro Einwohner und Jahr." 

Zur Herstellung eines PKW von einer Tonne Gewicht braucht es 15 Tonnen Primärrohstoffe, darunter Erze und fossile Energieträger. "Sekundärrohstoffe haben einen hohen Einspareffekt, weil sie nicht raffiniert, sondern nur eingeschmolzen werden müssen", so UBA-Sprecher Müller: "Um eine Tonne Elektrostahl aus Schrotten zu erzeugen, werden zusätzlich nur 0,8 Tonnen an Primärrohstoffen benötigt und nur ein Drittel des Energieeinsatzes.  

Auch der Handel mit Sekundärrohstoffen ist zukunftsfähig: 30 Prozent der Kupferhalbzeug- und Kupfergussproduktion wird bereits aus inländischen Kupferschrotten erzeugt, so das UBA. Neodym und Dysprosium, Seltene Erden, die in Generatoren von Windkraftanlagen zum Einsatz kommen, sollen recycelt werden, um die Abhängigkeit von Importen zu mindern. 

Für künftige Generationen sollen die Materialien eine substanzielle Ressource darstellen. Voraussetzung sei, so das UBA, dass es gelingen wird, die immense Stoff- und Produktvielfalt zu trennen, die Stoffe nutzbar zu machen und Produkte gewinnbringend aufzubereiten.

Schrott muss fachgerecht entsorgt werden! Metall-Abfälle können komplett neu verarbeitet werdenBild: DW/K. Jäger

Im Gegensatz zum Primärbergbau hat der "städtische Bergbau" noch weitere Vorteile: Die Materialien werden stadtnah gelagert, dort, wo sie vermutlich wieder gebraucht werden. Lange Transportwege fallen weg. Die Auswirkungen auf die Umwelt sind geringer als bei der Ressourcenausbeute im herkömmlichen Bergbau. Eine Renaturierung ist überflüssig, weil keine Bodenschätze geschürft werden.

Und die gesellschaftliche Akzeptanz des Recyclings ist ungleich höher als die Plünderung von Bodenschätzen oder die Verschiffung von Müll in großen Umfängen nach Nigeria oder China. Die ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft ist auch erklärtes Ziel der Europäischen Union (EU). 

Ressourcen werden Deutschlands wichtige Reserven 

Doch welche Rohstoffe werden in Zukunft in den Bereichen Bau, Medizin, Informations- und Kommunikations-, Elektro- und Antriebstechnik die Nachfrage bestimmen? Diese Frage treibt Spekulanten um und Wissenschaftler, die mit Gallium, Neodym, Indium, aber auch bekannten Edelmetallen wie Platin und Silber experimentieren.

Gallium wird in Computer-Chips und LEDs verarbeitet, Neodym wird für Elektromotoren gebraucht, Indium wirkt in Displays als Beschichtung. Platin kommt in Brennstoffzellen als Katalysator zum Einsatz. Silber wird in Funkchips verbaut. 

Leichter tun sich die Bau-Experten bei der Frage nach den Baurestmassen. Angesichts der demografischen Entwicklung, anhaltender Abwanderung in vielen ostdeutschen und ländlichen westlichen Kommunen sowie eines absehbaren Wandels der Wohnbedürfnisse werden Abbruch und Sanierung in Deutschland künftig zu höheren Bauschuttmengen führen. Langfristig sollen die Ressourcen aus Sekundärrohstoffen die wichtigen Reserven des Landes darstellen.

 

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