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Erfolgsgeschichte Recycling

Wolfgang Dick24. August 2015

Müll hatte lange Zeit keinen Wert. Er wurde verbrannt oder vergraben - bis die Wirtschaft ihre Produkte recyceln musste und Bundesbürger begannen, ihren Abfall nach Wertstoffen zu trennen. Eine Erfolgsgeschichte.

Recycling-Collage (Collage: DW).

Bagger schieben Berge aus Hausmüll zusammen und pressen das, was die Wagen der Müllabfuhr bei den Bürgern eingesammelt haben, einfach ins Erdreich. Große Schwärme von hungrigen Vögeln kreisen um das Geschehen. Die dabei entstehenden - und übel riechenden - Gase werden abgefackelt. Wenig später sieht man Menschen mit Plastiksäcken über die Müllkippe ziehen. Sie sammeln ein, was sie für sich persönlich für wertvoll halten.

Diese Szenen spielten sich noch Mitte der 1980er Jahre in vielen deutschen Städten ab. Müll sollte einfach nur schnell verschwinden. Recycling war damals noch ein Fremdwort. Wenig später konnten die Müllkippen die steigenden Mengen an Abfall kaum noch fassen. Die Diskussion um Rohstoffknappheit begann - ein Umdenken setzte ein. 1991 schuf die damalige Bundesregierung dann die Verpackungsverordnung.

Historische Bilder: Eine offene Müllkippe 1985 vor der Stadt SiegburgBild: Günter Dick

Das Gesetz schrieb jedem Hersteller vor, eine Verantwortung für sein Produkt auch nach dessen Verbrauch zu übernehmen. Die Idee vom Produktkreislauf war geboren. Die Industrie gründete daraufhin eine eigene Müllsammlung und Wiederaufbereitung, die sie das "Duale System" nannte. Ihr Erkennungszeichen war ein Symbol des Kreislaufs - der "grüne Punkt". Der wurde auf alle Produkte aufgedruckt, die an dem Recyclingsystem teilnahmen.

Bürger trennen ihren Müll

Der "Grüne Punkt" wurde inzwischen von 25 Ländern übernommen. Die Lizenz vergab das Duale System.Bild: DSD Holding GmbH & Co KG

Es entstanden unterschiedliche Sammeleinrichtungen, die Mülltonnen wurden bunt. In der "blauen Tonne" wird Papier gesammelt, in der "gelben Tonne" Verpackungen aller Art. Von der Folie bis zum Joghurtbecher. Dieses Prinzip war bis dato beispiellos in der Welt.

Bürger beginnen, ihren Müll zu trennen. Sie sortieren nach Wertstoffen, und bringen Glas zusätzlich zu öffentlichen Sammelstellen oder zum Laden, in dem sie Getränkeflaschen kauften.

Als Anreiz für das Aussortieren diente ein zusätzlich eingeführtes Pfandsystem. Wer Glas sammelt, erhält eine kleine Rückerstattung des Kaufpreises. Das ist bis heute so. "Die Bürgerbeteiligung war von Anfang an enorm", sagt Norbert Völl vom "Dualen System Deutschland" (DSD). Tatsächlich wird die Mülltrennung zu einer Art Volkssport. Das lag nicht zuletzt an Millionenschweren Aufklärungskampagnen. Sogar Märchenbücher für Kinder griffen das Thema Mülltrennung auf.

"Nachrichten aus der Tonne" hieß ein Aufklärungsbuch des Umwelt-BundesamtesBild: DW/W. Dick

Abenteuer Wiederaufbereitung

Dennoch hatte die Wirtschaft dabei ein Problem: Benötigt wird eine Sortenreinheit, die Abfalltonnen der Bürger enthielten aber oft noch ein Gemisch, das so einfach nicht zu neuen Produkten zu verarbeiten war.

Am Beispiel des Joghurtbechers wird das Problem deutlich: Der Becher besteht aus Plastik, der Deckel des Bechers ist aus dünnem Aluminium. Beide Materialien müssen getrennt werden, um sortenreinen Kunststoff und sortenreines Aluminium zu gewinnen. Wie aber macht man das?

Am Anfang standen viele Menschen an einem Förderband und trennten in Handarbeit. Das war jedoch viel zu aufwendig. Man experimentierte mit Sortiertechniken aus dem Bergbau und der Agrarwirtschaft. Diese Branchen hatten Trommelsiebe, die im Schleudergang Kartoffeln oder Kohle nach Größe sortieren konnten. Im Laufe der Jahre verfeinerte man die Sortentrennung bei Verpackungen mit Infrarot-Sensoren und Magneten.

Immer höhere Rechnerkapazitäten der Steuerungscomputer erlauben heute die Trennung von unterschiedlichen Kunststoffen und Metallen in Sekundenschnelle. Das "Duale System Deutschland" hat das in einem kleinen Film festgehalten.

Recycling-Weltmeister Deutschland

02:55

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Irrungen und Wirrungen

Auf dem Weg zur idealen Wiederaufbereitungstechnik gab es im Laufe der Jahre viele Bemühungen. Darunter auch einige, die sich nicht bewährten.

Die Betreiber des Unternehmens Thermoselect mussten zum Beispiel ihre Anlage in Karlsruhe aufgeben. Über einen Vergasungsprozess sollte am Ende ein mineralisches Granulat zur Wiederverwendung entstehen. Das zog Interessierte aus aller Welt in wahren Pilgerströmen an, die sich eine erste Modellanlage in Italien, am Lago Maggiore, ansahen. Am Ende gab es dann jedoch zu viele technische Probleme, und die Verwertungstechnik konnte die angestrebten Kapazitäten nicht erfüllen. Dafür griff das Ausland auf die Technik zu. Das Projekt brachte so an anderer Stelle weitere Innovationen in Gang. Jede einzelne Bemühung auf dem Weg zum perfekten Recycling zählte.

Recycling hochwertiger Grundstoffe

Immer neue Gesetze und Anforderungen an die Industrie sorgten dafür, dass heute für das Recycling eine Hightech-Branche entstanden ist. Forscher und Ingenieure arbeiten daran, zum einen die Recyclingtechnik zu verbessern, und zum anderen, auch die Produkte so zu gestalten, dass sie besser recycelbar sind.

Das Recyclingprojekt "Thermoselect" hat sich in Deutschland nicht behaupten können, wird aber in China und Japan genutztBild: Thermoselect

So fand das Aachener Unternehmen "htp" heraus, wie Sensoren unterschiedliche Kunststoffe besser erfassen und trennen können.

"Ihre Farben dürfen nicht rußbasiert sein - sie müssen auf Tinte basieren", erklärt Ingenieur Joachim Christiani. Die Verarbeitung von Kalk im Kunstsoff müsse auch umgangen werden. Auch solche Forschung ermöglichte eine enorme Steigerung der Verwertungsquoten über die letzten Jahrzehnte.

Vierzig Prozent aller gesammelten Kunststoffe werden heute sortenrein aussortiert. 21 Millionen Tonnen Kunstoffe werden neu produziert. Während eine Tonne neuer Kunststoff zwischen 1200 und 1400 Euro kostet, liegt recycelter bei gerade einmal 500 Euro.

Die erreichte Qualität von aufbereitetem Müll über standardisierte Verfahren in allen Bundesländern erlaubt viele Recyclingprodukte, die früher nicht denkbar waren. Das Unternehmen "Reluma" produziert zum Beispiel für die Ostsee Buhnen aus Kunststoff. Die Vorgänger aus Holz wurden von einer Muschelart innerhalb kürzester Zeit zerfressen. Kunststoff hält deutlich länger.

Buhnen aus recyceltem Kunststoff halten sich besser als Holz und schützen OstseesträndeBild: Reluma International

Exportschlager Recycling

Recycelte Stoffe haben einen drei- bis viermal so hohen Wert wie der Ausgangsmüll. Entstanden ist in Deutschland eine Wachstumsbranche von über 200 Milliarden Euro Umsatz. Die Branche wächst jährlich um 14 Prozent und verschafft rund 250.000 Menschen Jobs. Die weltgrößte Messe zur Abfalltechnik "Ifat" erwartet im Juni 2016 in München Besucheranstürme. Deutsches Recycling ist Exportschlager. Asien importiert immer mehr von recycelten Rohstoffen "Made in Germany". Das war vor dreißig Jahren nicht abzusehen - als die Bundesbürger begannen, ihren Müll mithilfe bunter Tonnen zu trennen.

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