Ob Waterloo, Stalingrad oder Teutoburger Wald: Schlachten nachzuspielen hat Hochkonjunktur. In Weimar geht es weniger blutig zu: Dort wird jetzt der Auszug der Parlamentarier aus der Nationalversammlung nachgestellt.
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Von Waterloo bis Stalingrad: Wenn Schlachten neu geschlagen werden
Einmal mit Napoleons Truppen vorrücken oder in Stalingrad die Deutschen besiegen: Reenactments machen es möglich. Berühmte Schlachten der Weltgeschichte sind bei den Teilnehmenden besonders beliebt. Ein Überblick.
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Schlacht im Teutoburger Wald
Vor 2000 Jahren war das Römische Reich auf dem Höhepunkt seiner Macht. Seine Legionäre waren ihren Gegnern meist weit überlegen, doch Germanien leistete erbitterten Widerstand. Im Jahr 9 n. Chr. wurden die Römer vom Cheruskerfürsten Arminius (Hermann) und seinen Mannen vernichtend geschlagen. Heute kann man die Schlacht bei den Römer- und Germanentagen im Freilichtmuseum Kalkriese nacherleben.
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Viking Moot: Einmal Wikinger sein
Im dänischen Moesgaard bei Aarhus kann man alljährlich eine Woche lang ein richtiger Wikinger sein. Dazu muss man keine skandinavischen Wurzeln haben; die rund 300 Laiendarsteller kommen aus aller Welt. Man lebt wie anno dazumal in Zelten und trinkt gemeinsam Met am Lagerfeuer. Doch unbestrittener Höhepunkt für alle Teilnehmenden sind die Schlachten Mann gegen Mann.
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Schlacht bei Tannenberg
Der Deutschorden sah sich als Nachfolger der Kreuzritter. Im Mittelalter besaß er große Ländereien in Osteuropa. Immer wieder kämpfte er mit dem Königreich Polen und dem Großfürstentum Litauen um die Vorherrschaft im Ostseeraum. In der Schlacht bei Tannenberg erlitt der Orden 1410 eine schwere Niederlage. Alljährlich wird an diesem mythischen Erinnerungsort für Polen der Sieg nachgespielt.
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Wallensteinfestspiele
Seit 1980 findet im bayerischen Memmingen alle vier Jahre mit rund 4500 Teilnehmern eines der größten regelmäßigen Reenactments der Welt statt. Das Motto: "Wallenstein 1630 in Memmingen - Bürger der Stadt spielen ihre Geschichte". Dabei wird der Aufenthalt des Feldherrn, der im Dreißigjährigen Krieg so manche Schlacht gewann, im Ort nachempfunden - allerdings mit Reiterspielen statt Kampfgetümmel.
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Völkerschlacht bei Leipzig
Im Herbst 1813 tobte vor den Toren Leipzigs eine der größten und blutigsten Schlachten, die es bis dato in der Geschichte gegeben hatte. Österreicher, Preußen, Russen und Schweden brachten dem französischen Heer die entscheidende Niederlage bei und brachen so die Vorherrschaft Napoleons in Europa. Zum 200. Jahrestag spielten rund 6000 Laiendarsteller aus 26 Nationen das historische Gefecht nach.
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Napoleons Waterloo
Im Juni 1815 wollte Napoleon Bonaparte es noch einmal wissen und kämpfte bei dem Dorf Waterloo südlich von Brüssel erbittert gegen die alliierten Truppen Englands und Preußens um die Macht in Europa. Er wurde vernichtend geschlagen und auf die Insel St. Helena verbannt. Alle zehn Jahre lassen uniformierte Bürger aus ganz Europa die Schlacht von Waterloo wieder aufleben - mit viel Liebe zum Detail.
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Nord- gegen Südstaaten
Es war die blutigste Schlacht des amerikanischen Bürgerkriegs: Vom 1. bis zum 3. Juli 1863 kämpfte die Armee der Nordstaaten bei Gettysburg gegen den Süden. 50.000 Tote und Verwundete gab es auf beiden Seiten - für die Konföderierten Staaten war es der Anfang vom Ende. Das Gemetzel wurde erstmals 1913 zum 50. Jahrestag nachgespielt; heute gehört es zu den populärsten Reenactments in den USA.
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Schlacht von Stalingrad
Es ist eine der bekanntesten Schlachten des Zweiten Weltkriegs. Die Vernichtung der deutschen 6. Armee im Winter 1942/1943 gilt als Wendepunkt des von den Nazis begonnenen Feldzugs gegen die Sowjetunion. Seit Jahrzehnten wird der Sieg in Stalingrad (heute Wolgograd) mit einer Militärparade gefeiert, seit 2005 gehört die kostümierte Nachstellung des Schlachtengetümmels zum Unterhaltungsprogramm.
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War and Peace Revival
Das mehrtägige Event in England lockt jährlich um die 100.000 Besucher an. Es bietet das weltweit größte Aufgebot an Militärfahrzeugen und Reenactments vom Ersten Weltkrieg bis in die jüngere Geschichte: Hier kämpft eine 1993 in der Schlacht von Mogadischu abgeschossene US-Hubschraubercrew - natürlich fiktiv - ums Überleben.
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Hoch zu Ross inspiziert Napoleon Bonaparte die Front. Seine Soldaten sind zu Hunderten vor den Toren Brüssels in Stellung gegangen. Den Franzosen gegenüber steht das Heer des englischen Generals Wellington. Immer wieder donnern Musketensalven und Kanonenschüsse über das Gelände.
Ein paar Stunden später ist die Schlacht bei Waterloo vorbei. Friedlich sitzen die Kombattanten beider Seiten am Lagerfeuer beisammen. Tote und Verletzte hat es im Jahr 2019 nicht gegeben. Anders als 1815, als viele Tausende Soldaten in Waterloo ihr Leben ließen.
200-Jahr-Feier der Schlacht von Waterloo
03:28
In der Uniform des "Feindes"
Berühmte Schlachten nachzuspielen ("Reenactment") hat Hochkonjunktur. Von der Kanone bis zum Uniformknopf ist alles möglichst originalgetreu. Und auch auf dem Schlachtfeld wird nicht einfach rumgeballert; man bemüht sich um authentischen Schusswechsel. Allerdings stecken heute, anders als vor 200 Jahren, schon mal Engländer in französischen Uniformen und Belgier oder Deutsche in denen von Wellingtons Truppen.
Bei anderen Reenactments läuft es ähnlich ab: Da zieht sich ein Engländer auch schon mal freiwillig eine deutsche SS-Uniform an und feuert aus dem Schützengraben gegen seine Landsleute. Und in der Schlacht im Teutoburger Wald spielt ein Deutscher einen Römer und umgekehrt ein Italiener einen Germanen.Es gibt zahlreiche Männer und Frauen, die Geschichte bei historischen Umzügen und anderen Veranstaltungen wieder lebendig werden lassen. Historische Schlachten sind europaweit allerdings besonders beliebt, so wie die Schlacht bei Waterloo oder Stalingrad. Und in den USA stellt man mit Vorliebe die Kämpfe des amerikanischen Bürgerkiegs zwischen Nord- und Südstaaten dar. Die berühmte Schlacht von Gettysburg, bei der der Konföderierten-General Robert E. Lee sich 1863 dem Gegner geschlagen geben musste, wurde schon 50 Jahre später erstmals nachgespielt.
Vom Schlachtfeld an die Heimatfront
In England findet alljährlich das sogenannte "War and Peace Revival" statt: Rund 4000 Militärfahrzeuge vom Ersten Weltkrieg bis zu Hightech-Vehikeln der jüngeren Geschichte lassen die Herzen von Militärfans höherschlagen – ebenso wie die diversen Reenactments von Schlachten aus dieser Zeit. Rund 100.000 Besucher verfolgen das Spektakel. Und das Event trüge nicht das Wort "Peace" im Namen, wenn nicht auch friedliche Szenen von der Heimatfront dargestellt würden. Die Besucher können in das Jahr 1943 eintauchen und die Ehefrauen der Soldaten bei ihrem Dorfalltag zusehen oder zum Tanztee einkehren.
"Suspekte Erinnerungsform"
Neben unzähligen Vereinen, die sich in der Freizeit mit der authentischen Nachstellung historischer Ereignisse beschäftigen, gibt es auch kommerzielle Reenactment-Gruppen, die zu verschiedenen Anlässen vor Publikum auftreten – zum Beispiel bei Mittelaltermärkten. Vor allem in den USA und Großbritannien setzen Tourismusverbände häufig kostümierte Schauspieler ein, um für das Publikum historische Ereignisse anschaulich zu machen.Die Historikerin Ulrike Jureit erklärt in einer Abhandlung die Faszination für Reenactments mit der "Magie des Authentischen" und der emotionalen und sinnlichen Erfahrung. Sie weist aber auch darauf hin, dass das Nachspielen historischer Ereignisse eine eher "suspekte Erinnerungsform" darstellt. Denn das Sich-Identifizieren mit historischen Gestalten bedeutet nicht automatisch, dass ein geschichtliches Ereignis - trotz aller redlichen Bemühungen - auch richtig dargestellt wird.
Oftmals bemängeln Fachhistoriker, dass Reenactments die wissenschaftliche Basis und historische Tiefe fehlt. Vor allem bei lang zurückliegenden Ereignissen wie mittelalterlichen Schlachten würde man sich beim Nachstellen schon mal im Reich der Fantasy-Filme und -Serien bedienen.
Geschichte hautnah
Die Teilnehmer an Reenactments ficht solche Kritik nicht an, sie sind mit Feuereifer bei der Sache. Und Geschichte hautnah erleben - das ist mittlerweile auch in Deutschland sehr populär. Davon zeugen die zahlreichen Mittelaltermärkte und historischen Umzüge. Doch Schlachten auf deutschem Boden nachzustellen und deutsche Feldherren oder Generäle zu feiern, ist hierzulande nicht sonderlich verbreitet. Was auch damit zu tun hat, dass die Deutschen vor dem Hintergrund ihrer jüngeren Geschichte sensibel geworden sind.
Beim Kunstfest Weimar wird am 21. und 22. August deshalb ganz unblutig der Auszug der Parlamentarier aus der verfassungsgebenden Nationalversammlung vor 100 Jahren von Weimarer Bürgerinnen und Bürgern nachgespielt. An diesem Tag entstanden ikonische Bilder, als sich die Parlamentarier auf den Treppen und dem Balkon des Nationaltheaters versammelten.