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Politik

Orban hat sein Ziel schon erreicht

30. September 2016

An diesem Sonntag sind die Ungarn aufgerufen, über eine EU-weite Verteilung von Flüchtlingen abzustimmen. Das Ergebnis scheint klar: Die Zeichen stehen immer mehr auf Abschottung. So will es auch die Regierung.

Budapest Ungarn Referendum Plakate
"Gehen wir kein Risiko ein! Stimmen wir mit nein"Bild: imago/EST&OST

"Wollen Sie, dass die Europäische Union auch ohne Zustimmung des Parlaments die verpflichtende Ansiedlung von nicht-ungarischen Staatsbürgern in Ungarn vorschreiben kann?" So lautet die ebenso sperrige wie rhetorische Frage, die die ungarische Regierung den etwa acht Millionen Stimmberechtigten am Sonntag vorlegt. Und damit es auch jeder kapiert, hängen überall im Land Plakate, die zum Nein aufrufen. 

Die Regierung will selbst diejenigen überzeugen, die normalerweise keine typischen Wähler der Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orban sind. Der ihr nahestehende Historiker Laszlo Tokeczki sagte kürzlich im staatlichen Rundfunk: "Man muss Feministinnen, Homosexuellen, Juden und Atheisten klarmachen, dass es mit ihnen vorbei sein wird, wenn der Islam gewinnt." Und der sonst ungeliebten Roma-Minderheit wird suggeriert, bei mehr Flüchtlingen bleibe weniger an sozialer Unterstützung für die Roma übrig.

Ungarn wurde überstimmt

Hintergrund der Kampagne ist der Beschluss der EU auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015, den am stärksten betroffenen Ländern Griechenland und Italien Migranten abzunehmen und diese nach einem Schlüssel auf alle EU-Länder zu verteilen. Die ungarische Regierung wurde damals zusammen mit Rumänien, der Slowakei und Tschechien im Innenministerrat überstimmt. Ungarn hält nicht nur aus Protest dagegen am Sonntag die Volksabstimmung ab. Es hat auch, ebenso wie die Slowakei, vor dem Europäischen Gerichtshof gegen den Beschluss geklagt.

Die Verteilung ist bisher ein einziges Desaster. Von den 160.000 Flüchtlingen, die ursprünglich umverteilt werden sollten, haben bisher keine 5000 eine neue Bleibe gefunden. Ungarn hat keinen einzigen Schutzsuchenden aufgenommen.

Der ungarische Zaun gegen ungewollte Einwanderer soll verstärkt werdenBild: picture-alliance/dpa/S. Ujvari

Das "Gift" der Migration

Doch es geht Orban nicht nur um diesen EU-Beschluss, sondern ums Grundsätzliche. Für ihn ist Migration "Gift", eine Bedrohung für die europäische Kultur und Quelle für Terrorismus und jede andere Form von Kriminalität.

Von den europäischen Regierungschefs war er der erste und der lautstärkste Gegner einer unkontrollierten Einwanderung, wie sie Bundeskanzlerin Angela Merkel ab September 2015 zuließ. Und den Worten ließ er Taten folgen: Hunderte Kilometer Stacheldraht an der serbischen und kroatischen Grenze wurden gezogen, um Flüchtlinge aus Ungarn rauszuhalten.

Deutschland zitieren Vertreter der ungarischen Regierung als abschreckendes Beispiel, um ihre Bürger von der Richtigkeit ihrer Position zu überzeugen. Nach den Übergriffen vor allem nordafrikanischer Männer gegen Frauen in der Silvesternacht in Köln sagte Orban: "Ich habe vier Töchter, und ich will nicht, dass meine Kinder in einer Welt aufwachsen, wo etwas wie in Köln passieren kann." Parlamentspräsident Laszlo Köver sagte jetzt, am türkischstämmigen deutschen Fußballer Mesut Özil können man sehen, dass die Integration gescheitert sei. Denn "er singt vor Länderspielen die deutsche Nationalhymne nicht mit".

Die Kommission wird zahm

Doch während Orban vor einem Jahr noch ziemlich allein öffentlich gegen Merkels Politik wetterte, hat er im Laufe der Zeit immer mehr Unterstützer gefunden, zuerst vor allem im östlichen Europa, dann auch anderswo, und sogar in Merkels CDU. So sagte der Christdemokrat Michael Stübgen, Vorsitzender der deutsch-ungarischen Parlamentariergruppe, am Freitag dem Südwestrundfunk, er habe Verständnis für die Angst vieler Ungarn vor einer unkontrollierten Einwanderung. Stübgen hält es generell für falsch, Länder zur Aufnahme von Flüchtlingen zu zwingen.

Anfangs spielten manche deutschen Politiker noch mit dem Gedanken, Aufnahmeverweigerer zu bestrafen. Doch inzwischen hat sich der Widerstand gegen weitere Migration nach Europa in praktisch allen Ländern so verhärtet, dass kaum noch jemand auf Verteilungsquoten besteht. Selbst Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte vor wenigen Tagen: "Solidarität muss freiwillig sein. Manche tragen mit der Aufnahme von Flüchtlingen bei, andere durch Grenzmanagement."

Gegner in der Flüchtlingspolitik: Orban (l.), Merkel, rechts der österreichische Kanzler Kern, der sich Orban angenähert hatBild: Reuters/L. Foeger

Mehr UFOs als Flüchtlinge?

Das Problem für Orban ist nicht die Meinung in der Bevölkerung; die hat er klar auf seiner Seite. Umfragen sehen die Zustimmungsquote bei 80 Prozent und mehr. Sein Problem könnte sein, ob genügend Stimmberechtigte teilnehmen. Denn nur, wenn das mindestens jeder zweite tut, ist die Volksabstimmung gültig. Sollte er das gewünschte Ergebnis bekommen, dürfte er sich umso mehr als Anführer einer Bewegung zur Rettung der europäischen Kultur fühlen und in Brüssel auch so auftreten.

Und wenn das Referendum mangels Beteiligung ungültig ist? Auch für diesen Fall hat die Regierung vorgesorgt. Regierungssprecher Zoltan Kovacs sagte, eine hohe Zahl an Nein-Stimmen reiche, um Orbans Position zu festigen. "Das Referendum kann gar kein Fehlschlag werden. Punkt." 

Orbans Feldzug gegen ungewollte Einwanderer scheint unterdessen äußerst erfolgreich zu sein. Seit Wochen stellt die ungarische Polizei pro Tag zwischen null und einen illegalen Grenzübertritt fest. Im vergangenen Jahr gewährte das Land rund 500 Personen Asyl, für dieses Jahr wird mit einer ähnlich niedrigen Zahl gerechnet. Die satirische Partei "Hund mit zwei Schwänzen" hat Flugblätter mit dem Hinweis verbreitet, ein Ungar habe im Laufe seines Lebens größere Chancen, ein UFO zu Gesicht zu bekommen als einen Migranten. Wer Wert auf Zahlen legt: Der ungarischen UFO-Forschungsvereinigung werden pro Jahr etwa zwei Dutzend angebliche UFO-Sichtungen gemeldet.

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