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Konflikte

"Refugees welcome" in Polen

Magdalena Gwozdz-Pallokat
3. März 2022

Polen ist kaum wiederzuerkennen: Im Gegensatz zur Ablehnung gegenüber Flüchtlingen aus Afghanistan, Irak oder Syrien öffnet das Land seine Grenze für Ukrainer und schwelgt in Willkommenskultur. Was steckt dahinter?

Polen Medyka Grenze zu Ukraine | Flüchtende aus Asien
Flüchtlinge aus der Ukraine im polnischen Medyka Bild: Arafatul Islam/DW

Im Haus von Ewa Godlewska-Jeneralska im südpolnischen Städtchen Czchow ist alles bereit: Die Betten sind gemacht, die Zimmer liebevoll vorbereitet. "Eine Selbstverständlichkeit. Der Krieg tobt doch direkt hinter unserer Tür", erzählt die Hausherrin der DW am Telefon. Noch hat sie keine Ukrainer bei sich, die vor Putins Krieg  fliehen, doch es könnte jeden Moment soweit sein.

In der Stadt gibt es bereits einige Frauen mit Kindern, die geflohen sind. Sie bräuchten alles, sagt Godlewska-Jeneralska, denn sie seien nur mit einer Tasche gekommen. "Am schwersten fällt es mir zu sehen, wie sie uns danken. Manchmal hast du noch nichts getan, nur mit ihnen gesprochen, und sie sind so unglaublich dankbar. Wir weinen alle mit ihnen."

Ewa Godlewska-Jeneralska hat ein Schlafzimmer für ukrainische Flüchtlinge in ihrem Haus in Polen vorbereitetBild: privat

Es ist, als ginge ein Ruck durchs Land: Wo man hinschaut gibt es Sammelstellen für Sachspenden, Anzeigen über die Bereitschaft zur Aufnahme von Geflüchteten, Polen und Polinnen, die mit Privatautos an die Grenze reisen und Schilder mit Städtenamen halten: Warschau, Krakau, Lodsch, Breslau - jeder Winkel des Landes ist vertreten. Schon drei Tage nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine schrieb Wojciech Bakun, Bürgermeister von Przemysl im äußersten Südosten Polens, man möge erstmal keine Hilfsgüter mehr in die Stadt bringen. "Im Moment haben wir absolut alles in großen Mengen!"

Flüchtlingsunterkunft in polnischen PrzemyslBild: Beata Zawrzel/AA/picture alliance

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass andere Bilder um die Welt gingen: Afghanen, Iraker, Syrer und andere Flüchtlinge in den Wäldern an der polnisch-belarussischen Grenze, über die Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak sagte: "Die Politik der offenen Tür führte zu Terroranschlägen in Westeuropa." Seit Anfang des Jahres wird eine Sperranlage an der Grenze zu Belarus gebaut. Hilfsorganisationen, Ärzteverbände, individuelle Polinnen und Polen und nicht zuletzt Bewohner der östlichen Grenzregionen halfen den Migrierenden, so gut sie konnten. Doch eine Massenbewegung und Hilfsenthusiasmus gab es damals nicht.

Andrzej Rychard ist Soziologe an der Universität WarschauBild: privat

"Die jetzige Situation ist moralisch gesehen eindeutig: Wir haben es nicht mit der Manipulation eines Autokraten zu tun, der Menschen, die in den Westen wollen, an der polnischen Grenze absetzt, sondern mit dem Angriff eines Staates auf einen anderen", erklärt Andrzej Rychard, Soziologe an der Universität Warschau. Sein Kollege Przemyslaw Sadura erforscht, wie sich die Migrationskrise an der belarussisch Grenze auf die Bewohner und polnische Grenzbeamte auswirkte. Jetzt reiste er nach Przemysl, um dieser Frage an der ukrainischen Grenze nachzugehen.

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"Diese beide Krisen spiegeln einander wider", so Przemysl. "Was ins Auge sticht, sind jedoch Unterschiede bei ihrer Wahrnehmung. Alle sind derzeit engagiert und helfen den Flüchtlingen. Es ist wie ein Karneval der Solidarität, ein Reflex. Doch wird dies andauern, wenn wir merken, es geht um Millionen von Menschen, die keine Häuser mehr haben, in die sie zurückkehren können und die in Polen bleiben?"

"Gewissensberuhigung für den Grenzzaun"

Vorerst jedenfalls hilft Polen schnell und effektiv. Eine schwangere Frau aus der Ukraine muss zum Arzt? Kein Problem, ukrainischen Staatsbürgern, die vor dem Krieg fliehen, steht in Polen dieselbe medizinische Versorgung zu wie Einheimischen und auf Kosten der staatlichen Krankenkasse. "Alle Flüchtlinge, die an die polnisch-ukrainische Grenze kommen, werden in Polen aufgenommen", so Außenminister Zbigniew Rau beim Treffen des Weimarer Dreiecks am 1. März 2022. Steckt auch politisches Kalkül hinter der Hilfsbereitschaft? Andrzej Rychard verneint: "Das ist einer der seltenen Momente, in denen das Denken in Werten wichtiger ist als politische Taktik."

Polnische Grenzanlage zu Belarus, aufgenommen am 27.1.2022Bild: Attila Husejnow/ZUMAPRESS/picture alliance

In Polen herrscht politische Einigkeit wie schon lange nicht mehr. Alle Parteien - von links bis rechts - rufen dazu auf, ukrainische Geflüchtete zu unterstützen. "Dagegen war es 2021 kontrovers, den Migrierenden an der belarussischen Grenze auch nur zu helfen. Vielleicht haben wir uns unterbewusst für den Bau der Sperranlage an der Grenze zu Belarus geschämt und sind jetzt mit unserem Gewissen wieder mehr im Reinen", spekuliert Sadura.

Gemeinsamer Feind Russland

Vor der russischen Invasion lebten in Polen ungefähr eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer. Fast jede polnische Familie kennt Ukrainer, die in Polen arbeiten. Von geographischer oder gar kultureller Distanz im Verhältnis kann keine Rede sein. In einer Umfrage, die im vergangenen Jahr vom Zentrum für Vorurteilsforschung der Universität Warschau durchgeführt wurde, gaben mehr als 90 Prozent der Befragten an, dass sie Menschen aus der Ukraine als Kollegen und Nachbarn akzeptieren.

Ukrainer werden als "slawische Brüder" bezeichnet und auch das historische Trauma des sowjetischen Angriffs in Hitlers Windschatten 1939 schafft emotionale Nähe. "Es werden historische Erinnerungen wach angesichts des Angriffs Russlands. Solche Analogien stiften Gemeinschaft und motivieren", erklärt Michal Bilewicz, Psychologe und Stereotypenforscher der Universität Warschau.

Ukrainische Flüchtlinge in Przemysl am 1.3.2022Bild: Yomiuri Shimbun/AP/picture alliance

Ewa Godlewska-Jeneralska aus Czchow beschäftigt trotzdem die Frage: "Wie kann es sein, dass ukrainische Kinder besser sein sollen als syrische?" Natürlich war die Lage im Spätsommer 2021 unklarer, weil niemand wusste, wer genau die Migrierenden waren und warum sie nach Polen wollten. Der polnische Grenzschutz veröffentlichte damals Fotos von Menschen, die in Minsk vor Sehenswürdigkeiten posieren; Innenminister Mariusz Kaminski stellten die Flüchtlinge als Touristen oder potenzielle Terroristen dar. Dabei froren auch damals Familien mit Kindern in der Kälte - ohne eine Welle der Solidarität auszulösen.

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Ewa Godlewska-Jeneralska berichtet von einem Gespräch mit einer Psychologin, die einen weiteren Aspekt hervorhob: "Damals, als die Flüchtlinge an der belarussischen Grenze eintrafen, war das keine direkte Bedrohung für uns. Jetzt ist es anders: Wenn Du dich selbst bedroht fühlst und gleichzeitig hilflos bist, ist es kaum auszuhalten. Wenn Du aber anfängst, etwas Konkretes zu tun und hilfst, spürst Du, dass Du doch noch auf etwas Einfluss hast."

Magdalena Gwozdz-Pallokat Korrespondentin DW Polski, HA Programs for Europe, Warschau, Polen
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