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Film

"Regeln am Band" - Film über die Fleischindustrie

26. Juni 2020

Der Film "Regeln am Band" handelt von Fleisch und von der Fleischindustrie. Aber eigentlich geht es in Yulia Lokshinas preisgekrönter Dokumentation um uns Menschen. Corona sei Dank!

Filmstill aus "Regeln am Band - bei hoher Geschwindigkeit" - Schüler proben Brechts "Heilige Johanna der Schlachthöfe"
Bild: wirFilm

Drei Jahre lang hat sich die Münchner Filmemacherin Yulia Lokshina mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen osteuropäischer Werkvertragsarbeiterinnen und -arbeiter rund um die Schlachtfabriken der Firma Tönnies in Westfalen beschäftigt. Inzwischen gilt das Unternehmen als Hotspot für die Ausbreitung des Coronavirus. Die Behörden haben deshalb das öffentliche Leben in den Landkreisen Gütersloh und Warendorf heruntergefahren. "Da musste erst eine Pandemie kommen," wundert sich Yulia Lokshina im Gespräch mit der Deutschen Welle, "dass über die Missstände gesprochen wird, die doch seit Jahren bekannt sind."

Ein babylonisches Stimmengewirr eröffnet die Anfangsszene. Zu Bildern eingepferchter Schweine, die mit einem Ball an einer Kette spielen, erzählt eine Stimme die Geschichte eines Arbeitsunfalls, der sich bei Tönnies zugetragen haben soll: Ein Arbeiter geriet versehentlich in die Maschine. Sein Körper wurde wie ein Schwein zerlegt. Der Mann starb. Ein tragischer Unfall, der offenbar folgenlos blieb, wie die örtliche Tageszeitung notierte. Doch warum?

Kritik an Auswüchsen des Kapitalismus

Die Filmemacherin Yulia LokshinaBild: Isabelle Bertolone

Lokshinas Film zeigt nicht, wie zu erwarten wäre, die Arbeit mit toten Tieren, zeigt keine Schweine- und Rinderhälften. Stattdessen fokussiert die Kamera einerseits auf das Umfeld des Fleischkonzerns, lässt Leiharbeiterinnen und -arbeiter ebenso zu Wort kommen wie Kritiker der Fleischindustrie, darunter auch einen engagierten Pfarrer. Andererseits erzählt der Film, wie eine Münchner Schulklasse Bertolt Brechts Theaterstück "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" probt. "Ich verknüpfe die Welt der Produktion und der Arbeitsmigrantinnen mit der Welt, in der wir uns bewegen", sagt Yulia Lokshina, "in der es uns so gut geht!"

So prallen Parallelwelten aufeinander - das ist aber mehr als nur ein ästhetischer Schachzug. Denn beide Welten hängen eng zusammen: Hier die Nachfrage und der Konsum von möglichst billigem Fleisch, dort die gewinnbringende Billigproduktion zulasten osteuropäischer Leiharbeiter. Hier die Gedankenlosigkeit, dort das Leid. Ein Leid, über das eigentlich jeder Bescheid weiß: "Jeder kennt diese Bilder, das Internet ist voll davon", sagt die Dokumentarfilmerin. "Deshalb musste ich die Geschichte anders erzählen, damit sie beim Zuschauer ankommt."

Pfarrer prangert moderne Sklaverei an

So übt ihr Film, knapp hundert Jahre nach Brecht (1898-1956), wiederum Kapitalismuskritik: Brechts Drama, entstanden während der Weltwirtschaftskrise 1929/1930, beschreibt Missstände in den Union Stock Yards, den Schlachthöfen von Chicago. Drei Faktoren sind es, die das System von Subunternehmertum und Leiharbeit in der Fleischindustrie noch heute aufrechterhalten, wie Lokshina sagt: "Das hohe Tempo der Fabrikation und die Vereinzelung der Menschen, die kleine Teile der Produktion sind und sich nicht gegen die Missstände auflehnen können."

Momentaufnahme im Film: Ein Demonstrant im SchweinekostümBild: wirFilm

Im Film kommt auch der katholische Pfarrer Peter Kossen, der sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag hat, zu Wort. Er wettert gegen moderne Sklaverei und verlangt faire und würdige Arbeitsbedingungen. "Das Kapital", sagt er im Gottesdienst, "hat den Menschen zu dienen – und nicht umgekehrt!" Die Ausbeutung von Arbeitskräften sei ein uraltes Problem, sagt auch Filmemacherin Yulia Lokshina. "Aber was sind wir bereit zu tolerieren? Darüber muss die Gesellschaft diskutieren. Jeder muss sich dieser Verantwortung stellen!"

"Regeln am Band – bei hoher Geschwindigkeit" ist zweifellos der Film der Stunde, kommt aber erst am 22. Oktober 2020 in die deutschen Kinos. Mit ihrem Diplomfilm gewann Yulia Lokshina bereits den Max Ophüls Preis 2020 für Dokumentarfilm. Die gebürtige Moskauerin, Jahrgang 1986, hat Dokumentarfilmregie an der Münchener Hochschule für Fernsehen und Film studiert. Im Pforzheimer Ausstellungshaus A.K.T. stellt die Filmemacherin ab sofort ihre bisherigen Filme vor, ergänzt um eine Installation aus Videos, Bildern und Text.

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