Regenbogenfahnen auf Warschaus Straßen
8. Juni 2019Unter dem Motto "Freiheit, Gleichheit, Liebe" zog der sogenannte "Gleichheitsmarsch" durch Polens Hauptstadt Warschau. An der Großkundgebung beteiligten sich neben Tausender Demonstranten auch Diplomaten aus den USA, Kanada und anderen westlichen Staaten. Die Stadtverwaltung sprach von rund 47.000 Teilnehmern. Die Straßen der Hauptstadt wurden zu einem Meer von Regenbogenfahnen.
"Bedrohung für die Gesellschaft"
Der Marsch stand unter der Schirmherrschaft des Warschauer Bürgermeisters Rafal Trzaskowski. "Mir liegt wirklich daran, dass Warschau eine offene und tolerante Stadt ist. Und heute ist genau das der Fall", betonte der zur polnischen Opposition gehörende Politiker. "Es muss nicht jeder zu solchen Märschen kommen, aber jeder sollte die Rechte von Minderheiten respektieren."
Die nationalkonservative Regierung des katholischen Landes lehnt die Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ab, weil sie die traditionelle Familie und die gesamte Gesellschaft bedrohe. Der regierungsnahe Fernsehsender TVP Info berichtet auf seiner Internetseite, auf der Demonstration sei ein Transparent mitgetragen worden, das nicht nur die "Ehe für alle" forderte, sondern auch das Recht für homosexuelle Paare zur Adoption von Kindern. Darauf reagierten Leser mit erbosten Kommentaren und dem Hinweis, dass die polnische Verfassung nur die aus Mann, Frau und Kindern bestehende Familie schütze.
Provokante Sprache
Der Vorsitzende der Regierungspartei PiS bezeichnete die Bewegung als Import aus dem Ausland, der die nationale Identität gefährde. In konservativen Teilen des Landes hatten einige Städte zuletzt betont, dass ihre Verwaltungen "LGBT-frei" seien, also weder Lesben, Schwule, Bisexuelle oder Transsexuelle beschäftigten.
Am Abend vor dem Gleichheitsmarsch sorgte ein Tweet des konservativen Journalisten Rafal Ziemkiewicz für Aufsehen. Darin schrieb er, man müsse auf LGBT-Menschen schießen. Er fügte hinzu: "Nicht im wörtlichen Sinn natürlich - aber diese Menschen haben keinen guten Willen oder verfechten irgendjemandes Rechte. Die Bewegung ist eine Mutation der Bolschwisten und der Nazis."
Slava Melnyk, Vorsitzender der Kampagne gegen Homophobie, warnte vor den Folgen einer dermaßen provokanten Sprachwahl. "Seine Worte werden von hunderttausenden Menschen gelesen", sagte er. "Es ist durchaus möglich, dass einer von ihnen den Aufruf, auf LGBT-Menschen zu schießen, wörtlich nimmt."
Sexuelle Erziehung in Warschaus Schulen
Die Rechte sexueller Minderheiten rückten Anfang des Jahres ins Zentrum der polnischen Öffentlichkeit, als Warschaus Bürgermeister Trzaskowski ankündigte, die Stadt werde jungen Homosexuellen helfen, die von ihren Eltern verstoßen wurden. Außerdem werde er, die Regelungen der Weltgesundheitsorganisation zu sexueller Erziehung und Toleranz in den Lehrplan der Schulen aufnehmen.
Polens neuer Bildungsminister, Dariusz Piontkowski, bezeichnete das als einen Versuch, Kinder in die Arme von Pädophilen zu treiben. Sexuelle Erziehung liege in der Verantwortung der Familien, nicht der Schulen.
pgr/rb (dpa, ap)