Regierungskrise in Frankreich: Folgen für Deutschland?
8. Oktober 2025
Frankreich steckt in der schwersten politischen Krise seit Jahrzehnten. Und es sieht nicht nach einem schnellen Ausweg aus. Nach nicht einmal vier Wochen im Amt ist Ministerpräsident Sébastien Lecornu entnervt zurückgetreten. Er scheiterte an der Spaltung zwischen den Blöcken links und rechts der Mitte in der Nationalversammlung, noch bevor er überhaupt eine Regierung bilden konnte. Mit Lecornu hat Präsident Emmanuel Macron jetzt den dritten Regierungschef binnen eines Jahres verloren, auch wenn Lecornu jetzt einen weiteren Versuch zur Regierungsbildung starten will.
Der Haushalt kann so nicht verabschiedet werden. Dringend benötigte Einsparungen werden erneut verschoben. Verschuldung und Haushaltsdefizit Frankreichs sind fast doppelt so groß, wie es die EU-Stabilitätskriterien eigentlich zulassen. Die Finanzmärkte reagieren nervös und verlangen wachsende Risikoaufschläge für die Staatsanleihen der nach Deutschland zweitgrößten Volkswirtschaft der EU.
Macron ist angeschlagen
Die Bundesregierung in Berlin zeigt sich trotzdem gelassen. "Ich würde an dieser Stelle vor Dramatisierung warnen", schreibt Gunther Krichbaum, Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt, der DW. "Die deutsch-französische Freundschaft bleibt eine verlässliche Konstante in Europa. Enge Konsultationen zwischen den Politikern und den Behörden unserer beiden Länder finden über alle Ebenen der Regierungszusammenarbeit hinweg statt; daran ändert die jetzige Lage nichts."
Turbulenzen in Paris hin oder her, Friedrich Merz wird es weiterhin mit Emmanuel Macron zu tun haben. Die Außenpolitik in Frankreich liegt ganz in der Hand des Staatspräsidenten. Und um die Position Macrons geht es in dieser Regierungskrise nicht, jedenfalls nicht vordergründig. Macrons Amtszeit endet offiziell erst 2027, und die will er auch erfüllen. Allerdings ist seine Position inzwischen stark angeschlagen. Nicht nur die linke und rechte Opposition fordert seinen Rücktritt, sondern jetzt auch Edouard Philippe, einer seiner früheren Regierungschefs. Und nach einer Umfrage von Ende September halten 78 Prozent der Franzosen Macron für einen schlechten Präsidenten.
Was wird aus dem gemeinsamen Kampfflugzeug?
Mit der Dauerkrise im eigenen Land schwindet auch Macrons Einfluss auf der internationalen Bühne. Macron hat immer wieder ein souveränes Europa gefordert, das sowohl Putins Russland als auch Trumps USA selbstbewusst entgegentreten kann.
"Jetzt ist Macron natürlich nicht mehr so kraftstrotzend wie 2017, als er sein Amt angetreten hat", sagt Stefan Seidendorf, stellvertretender Direktor des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg, der DW. "Frankreich bleibt trotzdem ein extrem wichtiger Akteur auf der europäischen Ebene", auch wenn ihn andere europäische Regierungschefs vielleicht daran erinnern würden, "dass er eben keine Parlamentsmehrheit und keine Regierung hat und dass Frankreichs Haushalt weiterhin aus dem Ruder läuft".
Und die deutsch-französischen Projekte? Macron und Merz wollten einen Neubeginn der engen Partnerschaft, das war vor allem dem deutschen Bundeskanzler nach seiner Wahl ganz wichtig, nachdem es zwischen Macron und Merz' Vorgänger, dem SPD-Kanzler Olaf Scholz, weniger gut funktioniert hatte.
Beide Regierungen hatten kürzlich bei einem gemeinsamen Ministerrat in Toulon eine ganze Liste von gemeinsamen Vorhaben zusammengestellt, von einer engeren Abstimmung in der Energiepolitik über eine Förderung Künstlicher Intelligenz bis hin zu besseren Finanzierungsmöglichkeiten für Start-ups. Diese Pläne gelten weiterhin. Aber, sagt Stefan Seidendorf: "Den Projekten, die besonders auf politische Unterstützung oder politischen Druck angewiesen sind, fehlt diese politische Unterstützung jetzt natürlich." Das gelte etwa für das geplante gemeinsame Kampfflugzeug, bei dem es zuletzt große Probleme gab.
Erdrückende Schulden
Gibt es Parallelen zwischen beiden Ländern – bei allen Unterschieden im politischen System? Angesichts der hohen Staatsverschuldung in Frankreich in Höhe von etwa 115 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und einem Defizit von 5,8 Prozent ist das Land gezwungen, die öffentlichen Ausgaben im kommenden Jahr drastisch zu beschneiden, egal, durch welche Regierung.
Problematisch für die Euro-Zone sieht das Gunther Krichbaum vom Auswärtigen Amt trotzdem nicht. "Frankreich ist ein solides Land. In den drei letzten Jahren ist die französische Wirtschaft, anders als unsere, sogar gewachsen. Auch die Eurozone insgesamt ist dank der in den letzten Jahren entwickelten Instrumente resilienter denn je."
In Deutschland sehen die Werte für Schuldenstand und Defizit - noch - deutlich besser aus, aber durch neue, umfangreiche Schulden muss Deutschland in Zukunft sehr viel mehr Zinsen zahlen. Bundeskanzler Merz bereitet die Bevölkerung bereits auf schmerzhafte Einsparungen und "mehr Arbeit" vor.
Schrumpfende politische Mitte
Dann das Thema starker Rechtsaußenparteien. Der Druck in beiden Ländern aus dieser Richtung nimmt zu. Bei der kürzlichen Umfrage in Frankreich nach dem gewünschten künftigen Präsidenten oder der Präsidentin lagen gleich zwei Vertreter des rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) vorn: Fraktionschefin Marine Le Pen und Parteichef Jordan Bardella, auch wenn Le Pen nach einem Gerichtsurteil wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder für fünf Jahre von politischen Ämtern ausgeschlossen ist. Einen künftigen Präsidenten oder Präsidentin vom RN hält Seidendorf für "schwierig vorstellbar", aber "nicht mehr ganz ausgeschlossen".
Deutschland hat ein anderes System. Hier steht nicht der Staatspräsident im Mittelpunkt des politischen Handelns, sondern der Bundeskanzler, der in aller Regel der stärksten Partei im Bundestag angehört. Zwar ist zur Zeit ein Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin von der in Teilen rechtsextremen AfD undenkbar, weil keine andere Partei im Bundestag mit ihr zusammenarbeiten will. Doch es gab in letzter Zeit mehrere Umfragen zu Wahlabsichten bei Bundestagswahlen, bei denen die AfD knapp vor der CDU von Friedrich Merz lag.
Das politische Dilemma in beiden Ländern beschreibt Stefan Seidendorf vom Deutsch-Französischen Institut so: "Das ist ein Teil des gefühlten Problems in Frankreich, dass die beiden Links- und Rechtsaußenblöcke radikale Vorschläge machen, was dazu führt, dass sie nicht in Verantwortung kommen, und gleichzeitig ist der Teil der Mitte, der Regierungsverantwortung übernimmt, so zusammengeschmolzen, dass alle zusammenstehen müssen, um überhaupt eine Regierung zu bilden, und so weit sind wir davon nicht weg in Deutschland."
Europa-Staatsminister Gunther Krichbaum warnt zwar auch hier vor einer Dramatisierung, sieht aber auch Gefahren: "Frankreich ist eine lebendige Demokratie. Was jetzt dort passiert, ist Teil einer demokratischen Auseinandersetzung. Die Entwicklungen zeigen allerdings: Unsere europäischen Demokratien stehen vor vielfältigen Herausforderungen. Unser aller Aufgabe muss sein, das Funktionieren unserer Demokratien abzusichern und sie gemeinsam mit Leben zu füllen."