Regierungskrise: Die Klimabilanz der Ampel
18. November 2024Nach drei Jahren Streit unter den Regierungsparteien scheiterte die bisherige Koalitionsregierung in Deutschland - auch an unterschiedlichen Auffassungen zur Klimapolitik.
In einem Grundsatzpapier zur Wirtschaftswende hatte der inzwischen Ex-Finanzminister Christian Linder (FDP) konträr zur Koalitionsvereinbarung eine neue Wirtschaftspolitik gefordert und damit das Aus der Koalition eingeleitet. Lindner will Deutschlands Klimaziele aufweichen, Subventionen und Umweltregulierungen streichen, ebenso die gesetzliche Verpflichtung zum Kohleausstieg. Kurz darauf war Lindner entlassen, die Regierungskoalition nach drei Jahren Geschichte. Bis zuNeuwahlen Anfang des Jahres regieren nun SPD und Grüne als Minderheitsregierung.
Dabei sah die Klimapolitik zu Beginn der Koalition nach einem ambitionierten Kompromiss verschiedener Lager aus. Man wolle "die Umstellung des Energiesystems auf Erneuerbare Energie forcieren, die Industrie umbauen und uns damit endlich auf den 1,5-Grad-Pfad begeben," sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck 2021 zum Koalitionsvertrag.Rückblickend eine optimistische Einordnung.
Was hat die Ampel fürs Klima geschafft?
Drei Jahre nach Amtsantritt ist die Bilanz gemischt. Von 27 geplanten Gesetzen, die dem Umwelt- und Klimaschutzgesetz und der nachhaltigen Transformation der Wirtschaft dienen sollten, sind inzwischen nur neun vollständig umgesetzt worden.
Die Überarbeitung des Klimaschutzgesetzes - nach langem Streit im Sommer 2023 auf den Weg gebracht - sollte das Fundament der deutschen Klimapolitik der nächsten Jahre werden. Das Ziel: schon ab 2045 klimaneutral zu wirtschaften, statt erst ab 2050. Noch in diesem Jahrzeht will Deutschland seine Emissionen statt um 55 Prozent um 65 Prozent senken. Bis 2040 sollen es dann 88 Prozent weniger im Vergleich zu 1990 seiin. Doch das reicht laut Kritikern nicht aus. Darum klagt die Umweltschutzorganisation BUND derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Gesetz und für mehr Klimaschutz.
"Deutschland ist eigentlich überhaupt nicht auf dem 1,5-Grad-Pfad, weil wir Klimaziele haben, die dem wissenschaftlichen Stand der Dinge nicht gerecht werden", sagt Tina Löffelsend, Klimaschutzexpertin beim BUND. Deutschlands Verpflichtung, das 1.5 Grad Ziel des Pariser Klimaabkommens einzuhalten, sei mit dem neuen Klimaschutzgesetz der Bundesregierung nicht zu erreichen.
Die Analyse der Experten von Climate Action Tracker, einem Verbund von Nichtregierungsorganisationen, sieht den Klimaschutz durch das Gesetz geschwächt. Zugunsten eines allgemeinen Ziels wurden die rechtlich bindenden jährlichen Ziele für einzelne Bereiche wie Verkehr, Gebäude, Energie oder Landwirtschaft wurden abgeschafft. Dadurch sind die einzelnen Ministerien nicht mehr für den Klimaschutz in ihrem Bereich zuständig und es müssen auch keine Sofortmaßnahme durchgeführt werden, wenn die Ziele verfehlt werden, kritisieren Umweltverbände. Laut Climate Action Tracker sei es so nahezu unmöglich, bis 2045 Nett-Null Emissionen zu erreichen.
Dagegen ist Dirk Messner, Präsident des Bundesumweltamtes (UBA), zuversichtlich, dass Deutschland seine Klimaziele bis 2030 einhalten wird. "Aber nicht in allen Sektoren stehen wir glänzend da." Es müsse mehr passieren, gerade im Verkehrssektor um beim Abbau klimaschädlicher Subventionen, so Messner in einer Presserklärung zu den deutschen Klimazielen.
"Ein bisschen Licht und sehr viel Schatten"
Mit Bezug auf Deutschlands Klimapfad sieht Claudia Kemfert, Ökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin, "ein bisschen Licht, aber auch sehr viel Schatten". Kemfert spricht sich für drastischeren Klimaschutz aus. Ihre Bilanz der Ampelregierung fällt gemischt aus. "Gerade im Bereich des Ausbaus der erneuerbaren Energien wurde viel auf den Weg gebracht und auch gut auf den Weg gebracht. Im Bereich Solarenergie, aber auch Windenergie wurden wichtige Rahmenbedingungen deutlich verbessert," so Kemfert.
Der Anteil erneuerbarer Energien im deutschen Strommix liegt inzwischen bei über 60 Prozent. 2021 waren es 43 Prozent. Ziel sind 80 Prozent bis 2030. "Das wäre ein wichtiger Meilenstein zu Erreichung der Klimaziele”, so Kemfert.
Auch beim Ausbau der Ladeinfrastruktur und der Anzahl der E-Autos auf deutschen Straßen wollte die Bundesregierung Tempo machen. Bis 2030 sollen 15 Millionen E-Autos in Deutschland fahren. Derzeit sind es inklusive Hybrid-Modell gerade mal 2,3 Millionen. Währenddessen steckt Autobauer Volkswagen in der Krise, es drohen Werksschließungen. Die Förderungen beim Kauf von E-Autos wurde im Zuge des Verfassungsgerichtsurteils zur Schuldenbremse, Ende 2023, abrupt gestrichen.
VW-Konzernchef Oliver Blume fordert derweil erneute Unterstützung aus der Politik, zum Beispiel beim Ausbau der Ladeinfrastruktur. Die Sektorziele zur Emissionminderung im Bereich Verkehr werden deutlich verfehlt, ebenso im Gebäudesektor.
Heizungsgesetz: Schlechte Kommunikation, zu wenig Wärmepumpen
Hier wollte vor allem Wirtschaftsminister Habeck mit dem sogenannten Heizungsgesetz einen großen Wurf landen. Das Gesetz stieß in der Bevölkerung und beim Koalitionspartner FDP auf starken Widerstand und geriet zum öffentlichen Debakel. Man einigte sich auf einen Kompromiss, bis 2030 sollen damit 6 Millionen Öl- und Gasheizungen durch Wärmepumpen ersetzt werden. Dass Gesetz sei "besser als sein Ruf, aber in der Kommunikation katastrophal", so Kemfert. Derzeit gebe es 1,8 Millionen neuen Wärmepumpen, das reiche natürlich nicht.
Andere Gesetzesvorhaben, etwa zur klimaresilienten Waldwirtschaft, der Dienstwagenbesteuerung und mehr Meeresschutz wurden teils erst begonnen, oder ganz über Bord geworfen. Auch das Klimageld kam nicht. Es sollte als sozialverträglichen Ausgleich für steigende CO2-Preise an Tankstellen, der Industrie oder Landwirtschaft dienen. Entlastet wurden die Verbraucherinnen und Verbraucher lediglich durch das Wegfallen einiger Abgaben (EEG-Umlage), die zur Förderung der Erneuerbaren Energien erhoben wurde. Gleichzeitig sind die Energiepreise in den vergangenen Jahren im Zuge des Ukraine-Krieges deutlich gestiegen.
Energiekrise abgefangen, Rekordrückgang bei den Emissionen
Die Klimabilanz der Bundesregierung lässt sich nicht ohne die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine bewerten. Das seien Sonderbedingungen gewesen, die es nicht möglich gemacht haben, alles aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen, so Kemfert vom DIW.
"Es ist anzuerkennen, dass das gut gelungen ist, diese [Energie-]Krise abzufangen”, lobt auch Löffelsend vom BUND.
Deutschland hatte damals schnell reagiert, rasch neue Terminals für den Import von Flüssiggas an der Nordsee bauen lassen und Verträge mit verschiedenen Ländern geschlossen, um Importe aus Russland zu ersetzen. Dadurch habe man aber auch eine Überkapazität geschaffen, "die uns alle noch teuer zu stehen kommen wird", so Löffelsend. Ebenso wie Kohle und Öl, ist Flüssiggas ein fossiler Brennstoff, der durch Verbrennen die Erderwärmung antreibt. Viele Industrien sind immer noch darauf angewiesen.
Messner vom UBA sieht auch Fortschritte trotz der Krise. "Mit Ausbruch des Kriegs gegen die Ukraine hatten viele die Sorge, dass wir eine Renaissance der Kohle und anderer fossiler Energieträger sehen werden. Wir wissen heute, dass das nicht passiert ist. Das liegt vor allem am sehr erfolgreichen Ausbau der erneuerbaren Energien."
2023 sanken deutschen Emissionen um rund 10 Prozent, der stärkste Rückgang seit 1990. Das liegt laut UBA aber nicht nur an der Klimapolitik Deutschlands, sondern auch an der schlechten Konjunktur, gestiegenen Herstellungskosten und Produktionsrückgängen.
Bürokratie und Verwaltung als Hindernis für mehr Klimaschutz
Hochkonjunktur hat derzeit weder die deutsche Wirtschaft noch das Thema Klimaschutz und Energiewende bei Unternehmen. Laut einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer sehen rund 60 Prozent der befragten Unternehmen zu viel Bürokratie und zu wenig Planbarkeit bei der Energiepolitik als Hindernis für mehr Klimaschutz im Betrieb – Tendenz steigend.
"Sie haben teilweise 100-Mann-Betriebe, die müssen drei Leute alleine dafür einstellen, um Berichtspflichten im Bereich Nachhaltigkeit zu erfüllen,” sagt Sebastian Bolay, Bereichsleiter Energie, Umwelt, Industrie bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer.
Es brauche eine unbürokratische Klimapolitik, nicht eine, die noch mehr aufbürde. Hier greift das kürzlich beschlossene Bürokratieentlastungsgesetz nicht. Über die Hälfte der Unternehmen sehen sich von zu langsamen Genehmigungsverfahren ausgebremst.
Hinzu kämen laut Bolay die hohen Strompreise. "Insbesondere in der Industrie gibt es eigentlich kaum noch Unternehmen, die eine positive Auswirkung durch die Energiewende auf ihr eigenes Geschäft sehen."
Daher planen 37 Prozent aller Industriebetriebe Produktionseinstellungen oder Kürzungen oder haben damit bereits begonnen.
Die Klimabilanz der Bundesregierung wird auch durch das Urteil des Bundersverfassungsgerichts zur Schuldenbremse geschmälert. 60 Milliarden Euro aus dem Corona-Notfallfond dürfen demnach nicht mehr für staatliche Investitionen in den Klimaschutz genutzt werden, das entschied das Gericht im November 2023. Dadurch mussten zentrale Klima-Investitionen in die Wirtschaft und Infrastruktur entweder aus dem knappen Haushalt finanziert, gekürzt oder ganz gestrichen werden.
Ist Deutschland auf der Klimakonferenz in Baku handlungsfähig?
Bundeskanzler Scholz reist wegen der Regierungskrise nicht selbst zur internationalen Klimakonferenz nach Baku.
Auf dem Gipfel geht es vor allem darum, ein neues Finanzierungsziel für Entwicklungsländer zu vereinbaren. Vor allem ärmere Länder brauchen Unterstützung bei der Anpassung und der Bewältigung von Klimakatastrophen. Zahlen sollen reiche Länder, die hauptsächlich für den Klimawandel verantwortlich sind.
"Es geht um ein kollektives Ziel aller, was es an Unterstützung für die einkommensschwachen Länder geben soll. Und das betrifft Deutschland nicht direkt,” sagt Jan Kowalzig, Experte für Klimafinanzierung bei Oxfam. Deutschland verhandele als Teil der EU-Delegation und nicht als Einzelland.
Trotz der gescheiterten Regierung in Berlin sei Deutschland bei den Verhandlungen nicht geschwächt, so die Staatssekretärin und Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik Jennifer Morgan zur DW. Man sei ein starker Teil des Team-Europas: "Wir haben ein volles Mandat der bestehenden Minderheitsregierung”, so Morgan. Deutschland stünde zu seinen Klimaverpflichtungen.
Da Deutschland bisher eine Führungsrolle in der Klimapolitik innehatte, könnte das Fehlen klarer Signale zu den deutschen Klimaambitionen und die Neuwahlen im Februar allerdings die Partnerländer in ihrem eigenen Klimaschutz zurückhalten, fürchtet Kowalzig.
Um die das 1.5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens einzuhalten, müssten weltweit bis zum Ende des Jahrzehnts 42 Prozent weniger Emissionen ausgestoßen werden. Davon ist man derzeit weit entfernt.