Regime im Iran: Hinrichtungen für den Machterhalt
28. Juni 2025
Wo sind die Insassen der Sektion 209 des Evin-Gefängnisses in Teheran? Am Donnerstag dieser Woche schlug die Menschenrechtsaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi auf dem Social-Media-Netzwerk X Alarm: Ihre Gruppe habe einen Anruf von einem der Insassen erhalten. Demnach wurden die Häftlinge dieser besonders berüchtigten Sektion des Gefängnisses - dort werden Verhöre unter besonders grausamen Umständen geführt - an einen anderen Ort gebracht. Seitdem gebe es weder Informationen zu ihrem Aufenthalt noch zu ihrem Zustand. Auch die Insassen anderer Sektionen des Gefängnisses seien an einen unbekannten Ort gebracht worden.
Die Sorge ist groß, dass die Insassen misshandelt und getötet werden könnten. Denn Mitte der Woche, nach Eintritt der Waffenruhe zwischen Israel und dem Iran, waren bereits drei Iraner exekutiert worden. Mindestens zwei von ihnen hatten sich ihren Lebensunterhalt als Schmuggler im iranisch-irakischen Grenzgebiet verdient. Die nun vollzogene Hinrichtung begründete das Gericht aber damit, die drei Männer hätten für Israel spioniert.
Die Spionage-Anschuldigung wie auch der Vollzug der Todesstrafe seien ein deutliches Zeichen, dass die iranische Regierung alles versuche, um die Opposition in der unruhigen Zeit nach der israelisch-iranischen Konfrontation zu ersticken, sagt Dieter Karg, Iran-Experte bei Amnesty International, im DW-Interview. "Das Regime signalisiert, dass es nun mit voller Härte durchgreift."
Es wolle offenbar nicht nur diejenigen bestrafen, die in irgendeiner Form Kontakte zu Israel haben. "Vielmehr geht es jetzt auch darum, Personen, die ursprünglich wegen nicht-politischer Vergehen einsaßen, jetzt auch noch politischer Motive zu bezichtigen. Denn tatsächlich versuchten die nun hingerichteten Männer nichts anderes, als sich ihren Lebensunterhalt durch Schmuggeln zu verdienen - und dieser Umstand wird nun politisch instrumentalisiert."
Neun Hinrichtungen seit Beginn des israelischen Angriffs
Angaben der Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights (IHR) zufolge wurden seit Beginn des israelisch-iranischen Konflikts bereits neun Menschen hingerichtet. Insgesamt wurden IHR zufolge allein in diesem Jahr bereits 594 Menschen exekutiert. Auch andere Menschenrechtsorganisationen berichten von steigenden Hinrichtungszahlen. Insofern kämen auch die jüngsten Fälle nicht überraschend, sagt die Politologin Diba Mirzaei, die am German Institute for Global and Area Studies zum Iran forscht. Seit Jahren gehe das Regime gegen mutmaßliche Bedrohungen mit immer brutaleren und unmenschlicheren Maßnahmen vor. "Die Botschaft des Regimes hinter solchen Aktionen ist unmissverständlich. Im Kern besagt sie: Sie sind entweder für oder gegen uns. Und wenn Sie gegen uns sind, werden wir mit Ihnen so verfahren, wie wir es für richtig halten. Und niemand kann dagegen etwas dagegen tun."
Eines allerdings gelte auch, so Mirzaei zur DW: "Die Vorwürfe, es habe Spione für Israel gegeben, lassen sich nicht als irrelevant oder falsch abtun. Denn ohne Kollaborateure hätte Israel keine Angriffe aus dem Iran selbst heraus durchführen können. Und die können sowohl aus der iranischen Bevölkerung kommen als auch aus den Reihen des Regimes selbst. Und das ist für die Führung natürlich besonders beunruhigend." Der bekannteste Fall eines mutmaßlichen Spions aus den eigenen Reihen ist Alireza Akbari, von 1997 - 2002 stellvertretender Verteidigungsminister des Iran. 2019 wurde er mit der der Begründung verhaftet, er habe Spionage für den britischen Geheimdienst MI 6 betrieben. Akbari bestritt die Vorwürfe. 2023 wurde er hingerichtet.
Aus ihrer eigenen Sicht bleibe der iranischen Regierung keine andere Wahl als gegen mutmaßliche Spione vorzugehen, sagt Mirzaei. "Denn würden diese nicht hart bestraft, so die Logik des Regimes, dann könnten sich auch andere Menschen entschließen, als Spione zu arbeiten." Selbstverständlich sollten Angeklagte eine angemessene rechtliche Verteidigung erhalten, so Mirzaei. "Aber das ist nicht die Logik des Regimes. Es gibt also keine andere Option für sie als zu diesen sehr brutalen Maßnahmen zu greifen."
Massenverhaftungen im Nordwesten des Landes
Die brutalen Maßnahmen richten sich derzeit vor allem gegen die eigene Bevölkerung, vor allem aber gegen die Kurden im Nordwesten des Landes. Das Regime betrachtet sie als besonders illoyal und befürchtet, die Kurden könnten bei nächstbester Gelegenheit versuchen, sich vom Iran abzuspalten. Auch deshalb hat die Islamische Beratende Versammlung ein Gesetz verabschiedet, das die Strafen für Kollaborateure verschärft. Der neuen Gesetzgebung zufolge erfüllt Spionage oder Zusammenarbeit mit feindlichen Regierungen, einschließlich der Vereinigten Staaten, den Straftatbestand der so genannten "Mofsed-fil-arz" ('Korruption auf Erden') und wird mit dem Tod bestraft.
Seit Beginn des israelischen Angriffs auf den Iran habe die Islamische Republik - unter Vorwänden wie der Veröffentlichung pro-israelischer Nachrichten, Kontakten zu ausländischen Medien, Zusammenarbeit mit oder Spionage für Israel - mit groß angelegten Verhaftungen begonnen, berichtet IHR. Demnach wurden bereits 900 Personen verhaftet. Mehreren israelischen Zeitungen zufolge befinden sich unter ihnen mehr als 700 jüdische iranische Staatsbürger. "Die Mehrheit der Inhaftierten sind Personen, deren Mobilgeräte bei Kontrollen durchsucht wurden, und bei denen angeblich Inhalte wie Aufnahmen von israelischen Militäraktionen entdeckt wurden", kommentiert IHR.
Sorge um politische Gefangene
Die iranische Regierung habe im Ausland den größten Teil ihrer Machtbasis verloren, sagt Dieter Karg von Amnesty International unter Verweis auf geschwächte Terrorgruppen wie die Hisbollah oder die Hamas und die gestürzte Assad-Regierung. "Jetzt versucht sie zumindest ihre Basis im eigenen Land aufrechtzuerhalten, indem sie dort mit aller Härte vorgeht. Derzeit erhalte Amnesty International aufgrund des im Iran über Tage gekappten Internets nur wenige Informationen. "Insofern können wir nicht ganz aktuell sagen, was dieses Vorgehen für die politischen Gefangenen bedeutet, die in Teilen ja bereits seit vielen Jahren in den Gefängnissen einsitzen. Zu fürchten ist aber, dass die Zahl der Todesurteile und Hinrichtungen steigt."
Dies könnte unter anderem auch für den iranisch-schwedischen Arzt Ahmadreza Djalali gelten. Er war bereits 2016 verhaftet und anschließend wegen angeblicher Spionage für Israel zum Tode verurteilt worden. Nach dem Angriff auf das Evin-Gefängnis wurde Djalali an einen unbekannten Ort gebracht. "Es besteht die unmittelbare Gefahr, dass sein Todesurteil jederzeit vollstreckt wird", schreibt IHR.
Keine Hoffnung auf den Westen
Auch sie fürchte, dass es zu weiteren Hinrichtungen kommen könnte und politische Gefangene noch härter als ohnehin schon behandelt würden, sagt Diba Mirzaei. In der Summe sei die Situation schwierig. "In der Vergangenheit hatte die iranische Bevölkerung gehofft, der Westen würde etwas für sie tun. Inzwischen ist sie eher vom Gegenteil überzeugt." Umso schwieriger sei es, nun etwas für die politischen Gefangenen zu tun. "Das Einzige, was wir tun können und tun müssen, ist, den Überblick über die Zahl der Hingerichteten und der politischen Gefangenen, der Folter und schweren Misshandlungen zu behalten. Alles andere kann nur aus der iranischen Bevölkerung selbst kommen.
Ähnlich sieht es Dieter Karg. Wirtschaftlicher Druck wie auch Verhandlungen über Sanktionen könnten dazu beitragen in Menschenrechtsfragen auf das Regime Einfluss zu nehmen. "Ansonsten setzen wir bei Amnesty International auf die Kraft der Appelle. Das hat ja auch zum Teil Erfolg."