Wie lange hilft Brüssel noch beim Aufbau Ost?
4. Mai 2018Brandenburg hat der EU viel zu verdanken. In Bernau bei Berlin ganz besonders. Dort engagiert sich die Europäische Union seit kurzem sogar im "Teufelspfuhl". Hinter dem Namen verbirgt sich eine Gewässer- und Brachfläche, deren Grundwasser mit krebserregenden Lösungsmitteln verunreinigt ist. Mehrere Anläufe der Altlastensanierung scheiterten, bis die Infrastrukturministerin des Landes Brandenburg, Kathrin Schneider, im Dezember vergangenen Jahres einen ganz besonderen Brief aus Brüssel mitbringen konnte.
Bei dem Brief aus Brüssel handelt es sich um einen Förderbescheid, durch den eine Sanierung des "Teufelspfuhls" endlich möglich wird. Finanziert wird diese mit 1,7 Millionen Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Den Rest der 2,5 Millionen Euro Gesamtkosten übernehmen Land, Gemeinde und andere Geldgeber.
Dank der Finanzspritze soll auf dem Gelände ein Gelände mit mehreren hundert Wohnungen entstehen, besonders attraktiv auch für Berliner Städter in Wohnungsnot. Bernaus Bürgermeister André Stahl freut sich über den Impuls aus Europa, der in seiner kleinen Gemeinde jahrzehntelangen Stillstand beendet. Läuft alles nach Plan, dann sollen 95 Prozent der Schadstoffe bald entfernt sein. "Den Rest macht die Natur", sagt der Bürgermeister.
Abhängig von Brüssel
Bernau ist kein Einzelfall. Im Gegenteil: Brandenburg gehört zu den Bundesländern, die bislang am meisten von den Fördergeldern der europäischen Regionalpolitik profitieren. Für die Zeitspanne zwischen 2014 und 2020 hat Brüssel über 1,2 Milliarden Euro für lokale Projekte in Brandenburg zugesagt. Dazu gehören der Aufbau von Forschungseinrichtungen, die Förderung von Start-Ups, die Unterstützung klimafreundlicher Mobilität oder städtebauliche Maßnahmen wie die am "Teufelspfuhl". Damit sind gerade die ostdeutschen Bundesländer von der Regionalförderung regelrecht abhängig, weshalb sie in der EU-Sprache bislang den Status als "verstärkt förderungsberechtigt" tragen.
Ob diese Einstufung allerdings auch nach 2020 so bleibt, das ist mehr als fraglich. Denn der Austritt Großbritanniens reißt künftig eine Lücke von mindestens dreizehn Milliarden Euro in das jährliche EU-Budget. Und wie der EU-Haushalt für die sieben Jahre nach 2020 aussehen könnte, das stellte die EU-Kommission in Form eines Entwurfs bereits vor. Bei der Regionalpolitik, bislang mit 33 Prozent der EU-Ausgaben der zweitgrößte Posten, soll demnach besonders stark gekürzt werden.
Bis zu zehn Prozent an inflationsbereinigten Streichungen sind im Gespräch, was auch die brandenburgische Ministerin für Infrastruktur und Landesplanung nicht kalt lässt. "Wenn es finanzielle Einschnitte geben muss, dann geht es jetzt darum, wie wir diese Ausfälle kompensieren können", sagte Kathrin Schneider. Die Ministerin setzt darauf, dass die ostdeutschen Bundesländer EU-Fördergelder künftig mit geringerem bürokratischem Aufwand beantragen können. Das könne so viel Geld sparen, dass viele Folgeprojekte trotz Engpässen möglich seien, hofft sie.
Auf Europas Fördermillionen ganz verzichten, das will sie nicht. Und das klingt in den anderen ostdeutschen Landeshauptstädten wie Magdeburg, Schwerin, Erfurt, Dresden und Berlin kaum anders. Auch wenn das im Umkehrschluss wohl bedeutet, dass der Bund künftig deutlich mehr an finanziellen Beiträgen an den EU-Haushalt überweisen müsste.
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger forderte nach der Vorstellung des ersten Entwurfs für die mehrjährige Finanzplanung der EU bis zu elf Milliarden Euro pro Jahr mehr aus Berlin. Nur so sei sichergestellt, dass die EU künftig mehr für Migration, Sicherheit, Forschung und Entwicklung tun könne. Und nur so sei zu gewährleisten, dass die Kürzungen in den Feldern Regional- und Agrarpolitik nicht noch drastischer ausfallen müssten, sagte der Kommissar.
Mehr Mitsprache für Regionen
Einen Kahlschlag bei der EU-Regionalpolitik will Karl-Heinz Lambertz unter allen Umständen verhindern. Der Präsident des Ausschusses der Regionen (AdR) in Brüssel ist qua Amt das Sprachrohr von rund 300 Regionen. Die Institution wurde geschaffen, um Europas Regionen mehr Mitsprache im Gesetzgebungsprozess auf EU-Ebene zu verschaffen.
Während die EU-Kommission ihre Vorschläge präsentierte, reiste Lambertz nach Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, um dort beunruhigte Landräte, Bürgermeister und Projektmanager zu treffen. Ohne EU-Fördergelder fehlten gerade in vielen kleineren Gemeinden sämtliche Investitionsmittel, hört er dort immer wieder. Für den hauptberuflichen Vertreter der deutschsprachigen Gemeinschaft im belgischen Parlament steht mit diesem EU-Haushalt viel auf dem Spiel. "Die Regionalpolitik ist die Politik des Zusammenhalts, und deswegen setzen wir uns entschieden dafür ein, dass diese EU-Förderung für alle Regionen offen bleibt."
Es geht auch ohne Geld aus Brüssel
Geld sei aber längst nicht alles, betont Lambertz. Und er berichtet von seinem Besuch auf der Ostseeinsel Usedom. Dort hätten es die politisch Verantwortlichen auf der deutschen und der polnischen Seite der Ferieninsel geschafft, gemeinsam eine "europäische Win-Win-Situation" zu schaffen – ganz ohne Fördergelder. Der kriselnde Ferienflughafen Heringsdorf wurde finanziell abgesichert, durch eine beispielhafte grenzüberschreitende Kooperation.
"Die Deutschen konnten eine Gruppe polnischer Unternehmer gewinnen, die sich künftig finanziell an den Betriebskosten des Flughafens beteiligen, weil der auch für sie sehr bedeutungsvoll ist", sagt Lambertz. Und genau diese Impulse sind es, die für ihn häufig zu den wichtigsten Ergebnissen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Regionen gehört. "Die Vielfalt der Regionen ist eine wunderbare Möglichkeit, um sich bei der Problemlösung inspirieren zu lassen", sagt der AdR-Präsident. Oft seien die Probleme sehr ähnlich, nur die jeweiligen Lösungsansätze unterschieden sich deutlich. Ganz ohne finanzielle Mittel gehe es oft aber dennoch nicht, sagt Lambertz. Und in Bernau werden sie ihm zustimmen. Schließlich haben sie dort über 50 Jahre gewartet, bis der Traum von der Altlastensanierung am "Teufelspfuhl" finanzierbar war.