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Politik

Letzte Warnung für die großen Parteien

Barbara Wesel
3. Mai 2019

Das Ergebnis der Regionalwahlen in Großbritannien ist eine Warnung an beide große Parteien: Tories und Labour verlieren, Liberale gewinnen. Bei der anstehenden Europawahl könnte der Brexit-Zorn noch deutlicher werden.

Großbritannien Regionalwahlen Sir Vince Cable Liberaldemokraten
Bild: picture-alliance/empics/D. Mirzoeff

Das Siegen hatte Vince Cable (großes Foto) längst verlernt und seinen Rücktritt vom Parteivorsitz schon angekündigt, jetzt kann er sich stattdessen im Triumph durch den Saal tragen lassen. Denn die Liberaldemokraten sind große Gewinner bei dieser Regionalwahl. Sie gilt als Test für die Europawahlen in drei Wochen und zeigt, wie mies die Wählerlaune ist.

Viele sind wegen des Brexit gleichermaßen sauer auf Tories und Labour. Nur die europafreundlichen Liberalen mit ihrer klaren Haltung wurden belohnt.

Liberale und Grüne als Sieger

"Die Wähler haben eine klare Botschaft geschickt, dass sie kein Vertrauen mehr in die Konservativen haben, aber sie wollen auch Labour nicht belohnen, weil sie beim wichtigsten Thema herumeiern: Brexit", erklärt Liberalen-Chef Vince Cable die Wahlergebnisse, die ihm fast ein Viertel der zu wählenden regionalen Sitze bescherte. Gewählt wurde fast überall im Königreich außer in London.

Cable betonte auch, dass sie sowohl in einer Gemeinde mit Brexit-Wählerschaft wie auch in einem proeuropäischen Ort große Stimmengewinne verzeichnen konnten. Was dafür spricht, dass es hier nicht nur um einen Aufstand der EU-"Remainer" ging, sondern um einen allgemeineren Protest.

Wahlexperte John Curtice erklärte in der BBC, dass die Liberalen ihre alte Rolle als Protestpartei zurückgewinnen konnten, die sie durch die Koalition mit David Cameron 2010 verloren hatten. Wähler der Mitte, die sich frustriert von den großen Parteien abwenden, erinnern sich inzwischen wieder mit Wohlwollen der kleinen Partei. 

Von dieser Wählerstimmung profitieren auch die Grünen, die als Folge des Mehrheitswahlsystems, sonst Stiefkinder im britischen Parteienspektrum sind. Auch sie konnten deutliche Zugewinne verbuchen.

Labour-Chef Jeremy Corbyn redet vor Anhängern das Ergebnis der Regionalwahlen schön Bild: picture-alliance/AP Photo/P. Byrne

Labour macht es keinem Recht

"Wenn du in der Mitte der Straße steht, wirst du von beiden Seiten überfahren", kommentierten Labour-Anhänger das Abschneiden ihrer Partei, denn ihre Partei erlitt Verluste, statt den Tories Stimmen abzunehmen. Treffender kann man das Problem kaum beschreiben, obwohl Labour-Chef Jeremy Corbyn sich an Beschwichtigung versuchte: "Lokale Faktoren spielen eine Rolle. Und dann gibt es Leute, die mit der Haltung beider großen Parteien nicht einverstanden sind". 

So weit, so richtig. Denn die Tories schaffen es nicht, den Brexit umzusetzen und die Labour-Party schafft es nicht zu entscheiden, ob sie ihn nun will oder nicht. Das führt dazu, dass sie seit Monaten auf dem Zaun sitzt und wartet, ob sie Theresa May in irgendeinem Brexit-Kompromiss unterstützen oder nach einem zweiten Referendum rufen soll.

"Unsere Politik ist, dass wir die einzige Partei sind, die alle anspricht, egal wie sie 2016 (beim Referendum) gestimmt haben, und die Jobs und Arbeitsbedingungen in diesem Land verteidigen will."

Deshalb kämpft Corbyn für einen Erhalt europäischer Regeln, ansonsten aber will der in der Wolle gefärbte Europaskeptiker die EU eigentlich verlassen. Die Wähler jedoch haben diese ambivalente Haltung nicht honoriert. Labour bietet weder den EU-Anhängern eine politische Heimat, noch den Brexiteers den Ausstieg aus der EU, den sie sich wünschen. Die Parteiführung scheint sich deshalb einem Deal mit Mays Regierung zuzuneigen, aber aus Schottland kam schon die scharfe Warnung von SNP-Chefin Nicola Sturgeon: "Werdet nicht zu Helfershelfern eines Tory-Brexit!"

Skeptische Minen bei der Auszählung: Konservative Bewerber hatten es schon im Wahlkampf schwerBild: picture-alliance/empics/R. Minchin

Wähler bestrafen die Konservativen

Es wurde fast so schlimm, wie die Prognosen vorhergesagt hatten, denn die Wähler straften die Konservativen massiv ab. Sie verloren mit 1269 Sitzen weit über die Hälfte der zur Neuwahl stehenden Mandate in den regionalen Vertretungen. Partei-Geschäftsführer Brandon Lewis räumte ein, dass es "Frustration wegen des Brexit" gebe.

Und Theresa May wurden mit Rücktrittsforderungen aus dem Publikum empfangen, als sie in Wales zum Wahlausgang Stellung nahm. "Das ist ein schwieriges Ergebnis", sagte sie und zog den Schluss, dass beide großen Parteien "nun den Brexit liefern müssten".

Diese Forderung ist schon seit langem Mays Mantra, findet allerdings weder in ihren eigenen Reihen noch bei der Labour Opposition genug Widerhall, um eine Lösung zu erzwingen. Denn beide Parteien sind intern gespalten darüber, ob und welchen Brexit sie wollen. Die politische Situation für May ist nach dieser Regionalwahl genauso verfahren wie vorher, nur wird ihre eigene persönliche Lage noch prekärer, weil immer mehr Tories nach ihrer Ablösung rufen.

Viele frühere Tory-Wähler zeigten ihren Zorn auch, indem sie "Verräter" über ihre Wahlzettel schrieben oder sie ganz unbrauchbar machten. Die beiden neuen Parteien, "Brexit" und die proeuropäischen Aussteiger von "ChangeUK", haben an dieser Regionalwahl noch nicht teilgenommen. Vor allem Nigel Farages Brexit-Partei aber sieht sich mit Blick auf die Europawahl schon im Vorfeld auf der Siegerstraße und hofft auf massenhaft Stimmen von den Konservativen.

Weder blau noch rot: die Wähler strafen Tories wie Labour abBild: picture-alliance/empics/H. McKay

Abkehr der Wähler von den traditionellen Parteien

"Es ist klar, dass in den letzten Jahren das Band zwischen Westminster und der Wählerschaft zerschnitten wurde", analysiert Richard Tice für die Brexit-Partei. Und liegt damit ebenso richtig wie Labour-Veteranin Margret Hodge, die als „Wahllektion Nr. 1" verbreitet: "Wenn du den Leuten nichts gibst, wofür sie stimmen können, werden sie nicht für dich stimmen." 

Das ist nur scheinbar banal, denn genau diesen Fehler haben Tories und Labour gemacht: Beide Parteien haben ihren Wähler keinen erkennbaren Grund gegeben, sich für sie zu entscheiden.

Damit erlebt Großbritannien eine ähnliche Entwicklung wie andere europäische Länder. Im Königreich erschien die duale Parteienlandschaft lange besonders unverrückbar, weil das Mehrheitswahlrecht den Aufstieg von Kleineren stark erschwert. Jetzt aber wenden sich die Briten frustriert von den beiden Traditionsparteien ab und suchen ein Ventil für ihren Protest.

Tories wie Labour erscheinen unentschlossen, zerstritten, chaotisch und unfähig zu Entscheidungen. Bei den Europawahlen, wenn Theresa May bis dahin mit einer Brexit-Einigung nicht noch ein Wunder gelingt, dürfte sich der Wählerzorn noch um ein Vielfaches verstärkt Bahn brechen.