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Theater

"Komplexität ist unsere europäische Identität"

Sabine Peschel
29. August 2019

Der Regisseur des Jahres 2018 bringt beim Kunstfest Weimar seine europäische Koproduktion "I am Europe" auf die Bühne. Damit stellt Falk Richter die Frage: Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben?

Falk Richter Inszenierung von "I am Europe"
Szene aus dem Theaterstück "I am Europe"Bild: Jean-Louis Fernandez

Falk Richter, geboren 1996 in Hamburg, gehört zu Deutschlands bekanntesten Regisseuren, Theater- und Hörspielautoren. Wegen seines Stücks "Fear", das er 2015 an der Berliner Schaubühne inszenierte, gab es einen jahrelangen Rechtsstreit um Fragen der Abwägung zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrechten. Der Regisseur hatte darin das Erstarken des Rechtspopulismus thematisiert und sich nicht gescheut, seine AfD (Alternative für Deutschland)- und "Pegida"-Protagonisten auch beim Namen zu nennen. Die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" tragen ihre Ängste im Namen und demonstrieren in Dresden gegen alles, was sie als Islamismus, Asylmissbrauch oder Bedrohung der deutschen Kultur betrachtet.

Richter beschäftigt sich mit Fragen der Zeit. Aktuell inszeniert er am Hamburger Schauspielhaus Michel Houellebecqs "Serotonin", ein Abgesang auf das Leben westlicher Prägung.

Beim Weimarer Kunstfest ist am 29. August Richters "I am Europe", Ich bin Europa,  zu sehen, das im Januar im französischen Straßburg Premiere feierte. Europa steht am Scheideweg, diagnostiziert Falk Richter: Angst oder Hoffnung, Aufbruch oder totale Auflösung, Krieg oder Frieden? Demokratische Institutionen hätten an Glaubwürdigkeit verloren, die kulturelle, ethnische, religiöse oder sexuelle Vielfalt würde angegriffen. Doch es gebe auch ein Europa, das die Grenzen von Sprache und Kultur friedlich überwunden habe und das viele verteidigen möchten.

Mit einem jungen Ensemble aus acht Nationen bringt der Regisseur dieses Europa beim Weimarer Kunstfest anschaulich auf die Bühne. Europäer, die unterschiedliche Sprachen sprechen, verschiedene Religionen und sexuelle Identitäten haben. Im Gespräch mit der DW spricht Richter darüber, welche Utopien man undemokratischen, nationalistischen Entwicklungen entgegensetzen kann und was Europa heute bedeutet.

Regisseur und Autor Falk Richter Bild: Jean-Louis Fernandez

DW: Sie bringen seit 20 Jahren aktuelle Themen auf die Bühne. Seit wann ist Europa für Sie ein Thema fürs Theater?

Falk Richter: Seit meinem Stück "Fear" habe ich mich sehr intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie wir auf die Europäische Union blicken, was eigentlich eine europäische Erzählung sein könnte, was Europa emotional und kulturell zusammenhält.

Bei dieser Produktion "I am Europe" kommen die Schauspieler und Schauspielerinnen alle aus unterschiedlichen Ländern, aus unterschiedlichen kulturellen Zusammenhängen. Da sind unterschiedliche Religionszugehörigkeiten auf der Bühne, Menschen, die nach Europa emigriert sind, andere, die in Europa geboren sind oder deren Eltern außerhalb von Europa geboren wurden und dann nach Europa gekommen sind. Jetzt, wo Europa als Konstrukt der Europäischen Union von bestimmten politischen Kräften so angegriffen und in Frage gestellt wird, hat mich einfach die Frage interessiert: "Was macht Europa aus? Was sind das für persönliche Geschichten? Wer ist Europa?"

Wie arbeitet man denn mit so einem jungen Ensemble, in dem die Schauspieler viele verschiedene Sprachen sprechen, zusammen? Ist dann Englisch die Verkehrssprache?

In diesem speziellen Ensemble waren es Englisch und Französisch. Es gibt einen Schauspieler, der kann kein Englisch. Französisch konnten interessanterweise alle. Es ist tatsächlich ein bisschen wie bei einer Konferenz von Europäern, bei der man immer wieder die Sprachen wechseln muss.

Sie haben schon den Hintergrund erwähnt, den die Schauspieler mitbringen, die Spuren der europäischen Geschichte. Inwiefern sind sie bedeutsam für Ihr Stück?

Das ist mir erst bei der Arbeit so richtig aufgefallen, dass fast alle Schauspieler eine Migrationsgeschichte in ihrer Familie haben. Die Komplexität, die Europa auch bedeutet, mit der Vielsprachigkeit und den unterschiedlichen Kulturen, bildet sich im Leben der einzelnen ab. Ich gebe ein Beispiel: Die Eltern von einem der Schauspieler sind vor der Salazar-Diktatur in Portugal nach Frankreich geflüchtet, und er ist dann erst in Frankreich geboren worden. Später ist er nach Brüssel gezogen und hat in Belgien gelebt. Sein Partner ist Italiener. Mittlerweile leben beide in Italien zusammen.

Es gibt so viele Geschichten, bei denen man merkt, dass Europa auch immer bedeutet, dass sich Menschen in unterschiedlichen Nationen bewegen, oder dass jüngere Menschen im Grunde manchmal drei Nationen als ihre Heimatnation nennen müssten, weil es nicht nur eine einzige Heimat gibt.

Das war von mir am Anfang gar nicht so gesetzt, sondern ich habe mit den Schauspielern und Schauspielerinnen gesprochen und viel über sie erfahren, weil ich wollte, dass das ein sehr persönlicher Abend wird. Er handelt von sehr vielen persönlichen Geschichten, die auch alle stimmen, die wirklich wahr sind.

Im Theaterstück "Fear" thematisierte Richter den RechtspopulismusBild: picture-alliance/Eventpress Hoensch

Es geht in dem Stück um Fragen der Identität in einer Zeit wachsenden Nationalismus'. Brauchen wir eine europäische Identität? Gibt es die schon?

Ja, die gibt es schon. Manchmal macht man sich nicht ganz klar, was das bedeutet. Die europäische Identität besteht daraus, dass wir viele Kulturen, viele Länder haben, viele Sprachen, und dass eben diese Komplexität letztlich das ist, was uns ausmacht. Und natürlich auch das Bekenntnis zur Demokratie und zur Freiheit und zu einer offenen Gesellschaft. Dieses neue Europa macht aus, dass man sich nicht kriegerisch und feindselig gegenübersteht angesichts der Tatsache, dass andere eine andere Sprache haben oder ein bisschen anders aufgewachsen sind, sondern dass man eher versucht, sich auseinanderzusetzen, zu diskutieren, miteinander auch über die Gegensätze spricht und gemeinsam etwas erlebt und erfährt. Das ist eigentlich das Europa, das wir bereits haben.

Das Theater kann das auch sinnlich zeigen oder sinnlich machen, denn die Europäische Union, die Politiker und Europa - das ist alles so wahnsinnig unsinnlich, genauso wie Brüssel und die Gebäude dort so gar keine identifikationsstiftende Kraft haben. Die Identität der Europäer ist eben das Reisen ohne Grenzen, das gemeinsame Geld. Natürlich auch die Überzeugung, dass wir keinen Krieg mehr auf diesem Kontinent wollen, und dass wir im gegenseitigen Respekt auch komplett unterschiedlicher Lebensentwürfe hier zusammenleben wollen. Bei "I am Europe" geht es darum, einfach die Geschichten von Menschen zu erzählen, die hier in Europa leben.

Das Gespräch führte Sabine Peschel.

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