Reichen Europas Gasspeicher für den Winter aus?
Veröffentlicht 19. September 2025Zuletzt aktualisiert 21. September 2025
Europa steuert auf den nächsten Winter zu. Glücklicherweise meldete Gas Infrastructure Europe, der Verband der Gasnetzbetreiber, dass die Gasspeicher der Europäischen Union Mitte September zu etwas über achtzig Prozent gefüllt waren. Weniger als die neunzig Prozent der letzten Jahre, aber besser als 2021. Wird dieser Winter also warm und stabil oder von Unsicherheit geprägt sein?
Nach der umfassenden Invasion Russlands in der Ukraine im Jahr 2022 haben die EU-Staaten ihre Energieversorgung diversifiziert und setzen nun verstärkt auf Flüssigerdgas (LNG) aus Norwegen, den USA und Katar. Gleichzeitig wird der Ausbau erneuerbarer Energien wie Solar- und Windkraft weiter vorangetrieben.
Dank dieser zusätzlichen Kapazitäten konnte Europa in den letzten zwei Jahren seine Gasspeicher bis September fast vollständig füllen und sich so ein Polster für die kältesten Monate schaffen. Auch in diesem Winter dürften die Vorräte stabil bleiben.
Wettlauf um Gasfüllmenge weniger kritisch
Petras Katinas, Energieanalyst am Center for Research on Energy and Clean Air, ist der Überzeugung, dass die aktuellen Speicherstände und alternativen Lieferquellen eine "solide Pufferzone" gegen Versorgungsunterbrechungen bieten. "Aber schnelle Entnahmen und wetterbedingte Schwankungen könnten dennoch vorübergehende Preisspitzen oder lokale Engpässe verursachen", sagt er der DW.
Neben Europas innerer Widerstandsfähigkeit spielen auch globale Lieferbedingungen und stabile Preise bei der Vorbereitung auf den Winter eine Rolle. Laut Tom Marzec-Manzer vom globalen Beratungsunternehmen Wood Mackenzie ist das weltweite Energieangebot in diesem Jahr gestiegen, während die Nachfrage - insbesondere nach Gas - eher schwächer ausfällt.
"Das hat das Auffüllen der europäischen Speicher im Sommer deutlich erleichtert", so der Direktor für Europa Gas & LNG im DW-Gespräch.
Trumps Energiezölle sorgen für neue Unsicherheit
US-Präsident Donald Trump drängt Brüssel dazu, Sanktionen gegen Käufer russischer Energie zu verhängen, um Moskau finanziell weiter unter Druck zu setzen und den dreieinhalbjährigen Ukraine-Krieg zu beenden. Mitte September forderte US-Finanzminister Scott Bessent die EU und die G7-Staaten auf, sich Washington anzuschließen und "bedeutende" Zölle gegen China und Indien wegen ihrer Energiegeschäfte mit Moskau zu verhängen. Trump kündigte an, dass die USA solche Zölle "spiegeln" würden - mit einem Satz von bis zu 100 Prozent. Indien wurde bereits mit Zöllen von 50 Prozent belegt - 25 Prozent Grundzoll plus 25 Prozent wegen eines Deals mit Moskau im Jahr 2022 über den Kauf vergünstigter fossiler Brennstoffe.
China hingegen, das ebenfalls verstärkt russische Energie kauft, hat eine deutlich stärkere Verhandlungsposition gegenüber Washington. Daher hat Trump bisher keine konkreten Pläne für energiebezogene Zölle gegen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt vorgelegt - die Verhandlungen laufen noch.
Auslaufender Gastransitvertrag mit begrenzten Auswirkungen
Das Auslaufen des Gastransitvertrags zwischen der Ukraine und Russland am 1. Januar stellt eine weitere geopolitische Belastung für Europas Energieversorgung dar. Die Entscheidung Kyjiws, den Vertrag nicht zu verlängern, zielte auch darauf ab, eine Einnahmequelle zu kappen, die Russlands Kriegsführung finanziert.
Der fünfjährige Vertrag erlaubte den Transport von russischem Gas über ukrainische Pipelines nach Westen und schloss damit eine der letzten großen Routen in die EU. Zunächst gab es weit verbreitete Befürchtungen über Preissprünge und Versorgungsengpässe, insbesondere in Ländern wie Österreich, der Slowakei und Ungarn, die stärker auf russisches Pipelinegas angewiesen waren. Die Gaspreise stiegen zeitweise um fast 50 Prozent, ausgelöst durch Sorgen über kaltes Wetter und reduzierte Liefermengen. Doch die tatsächlichen Auswirkungen auf den Markt blieben begrenzt. Westeuropa hatte seine Energiequellen bereits diversifiziert, und die unterirdischen Speicher waren gut gefüllt.
"Der Rückgang der Mengen (über die Ukraine, Anm. d. Red.) war nicht dramatisch, obwohl einige Länder, insbesondere die Slowakei, ihre Einkäufe neu ausrichten mussten", sagt Marzec-Manzer. "Da das Ende des Transitvertrags gut vorhersehbar war, hatte es keine großen Auswirkungen auf Preis oder Versorgung."
Zwei-Jahres-Ziel für Energieunabhängigkeit von Russland
Nach der überstandenen Energiekrise befindet sich die EU nun in einer besseren Position, um auch die letzten russischen Energieimporte zu diversifizieren. Laut Europäischer Kommission wurden die Gasimporte aus Russland bereits von 45 Prozent auf 19 Prozent reduziert, während die Ölimporte von 27 Prozent zu Beginn des Krieges auf nur noch drei Prozent im letzten Jahr gesunken sind. Im Mai veröffentlichte die Kommission einen detaillierten Fahrplan, um bis 2027 alle verbleibenden Importe von russischem Gas und LNG vollständig zu verbieten. Die Mitgliedstaaten müssen bis Ende des Jahres nationale Pläne für den Ausstieg vorlegen - was für einige Länder jedoch schwierig werden könnte.
"Die baltischen Staaten haben hervorragende Arbeit geleistet, um sich von russischen fossilen Brennstoffen zu lösen, und Polen hat russisches Gas weitgehend ausgemustert", sagt Energieanalyst Katinas der DW. In anderen Visegrád-Staaten sei der Fortschritt jedoch "uneinheitlich" - aufgrund mangelnder Diversifizierungsbemühungen und Investitionen in erneuerbare Energien.
Die starken Gasspeicher und vielfältigen Lieferwege stärken Europas Winterfestigkeit - doch Trumps Zollpolitik und unvorhersehbares Wetter könnten dunkle Wolken am Horizont aufziehen lassen. Die Gaspreise werden wohl nicht wieder die Extremwerte von fast 340 Euro pro Megawattstunde (400 US-Dollar) aus dem Jahr 2022 erreichen, aber lokale Engpässe könnten vorübergehende Preisspitzen auslösen.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert