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"Reichsbürger": Ist ein Umsturz denkbar?

8. Dezember 2022

Eine Großrazzia hat eine militante Gruppe der "Reichsbürger"-Bewegung ausgehoben. Sie planten wohl den Umsturz. Wie realistisch ist ein solcher Staatsstreich?

Razzia gegen Reichsbürger-Szene | Karlsruhe
Razzia gegen Reichsbürger-Szene: Festnahme in KarlsruheBild: Uli Deck/dpa/picture alliance

Der Plan der 25 Festgenommenen und ihrer Dutzenden Unterstützer schien klar zu sein: "Die Vereinigung hat sich nach unseren Erkenntnissen zum Ziel gesetzt, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland, die freiheitlich-demokratische Grundordnung, unter Einsatz von Gewalt und militärischen Mitteln zu beseitigen". So beschrieb Generalbundesanwalt Peter Frank die Gründe, die diese Woche zu einer Großrazzia gegen Anhänger der sogenannten Reichsbürger- und Querdenker-Bewegung führten.

Die freiheitliche-demokratische Grundordnung beseitigen – was bedeutet das? Das kann heißen: Politiker und Politikerinnen angreifen, den Bundestag stürmen, die Bundesregierung stürzen, die Justiz auflösen, das Militär an sich reißen. Ist so etwas in Deutschland mit seiner nun seit über 75 Jahren währenden Demokratie, mit einer Verfassung, mit festen Strukturen und Gewaltenteilung, überhaupt im Bereich des Möglichen?

Generalbundesanwalt Peter Frank leitet die Ermittlungen gegen die VerdächtigenBild: Uli Deck/dpa/picture alliance

"Der Staat ist wehrhaft, die absolute Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger fühlen sich nicht nur als Demokratinnen und Demokraten, sondern finden die Demokratie auch schützenswert", sagt Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld, der Deutschen Welle.

Und auch Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu-Antonio-Stiftung, welche die Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus stärken will, bestätigt gegenüber der DW: "Ein wirklicher Staatsstreich kann in Deutschland kaum gelingen, dafür sind die staatliche Ordnung und die Verfassung zu gefestigt."

Festgenommene keine verirrten Rechtsextremen

Und dennoch: Zick, Reinfrank und viele weitere Experten und Expertinnen warnen davor, die Festgenommen und die dazugehörige militante Szene zu unterschätzen. Die Gruppe sei wahnsinnig gefährlich, warnt etwa der kriminalpolitische Sprecher der Sozialdemokraten, Sebastian Fiedler. Die Reichsbürger-Bewegung insgesamt sei fähig und willig, schwere Terroranschläge gegen den Staat zu verüben, sagt auch Terrorismus-Experte Peter R. Neumann.

Was macht die ausgehobene Gruppe konkret so gefährlich? Ein Grund ist ihre Zusammensetzung, ein anderer die Ideologie, die alle zusammenhält. Die 25 Personen, die mutmaßlich den Umsturz planten, gehören offenbar einem Sammelsurium an Extremisten an – es sind unter anderem Reichsbürger darunter und Querdenker gegen Corona-Maßnahmen. 

Verschwörungsmythen: Autor Tobias Ginsburg im Gespräch

04:13

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Was sie eint: die Ablehnung des demokratischen Staats. Und: es sind keine gesellschaftlichen Randfiguren. Unter den Festgenommen seien keine psychisch verirrten Rechtsextremen, so Zick. "Es sind in Teilen gebildete Gruppen, es sind Menschen, die einem Beruf nachgehen, die aus der Mitte in die Szene rücken und dort eine Parallelgesellschaft aufbauen können. Sie sind also in der Lage, ein geschlossenes Milieu über Jahre zu entwickeln mit Allianzen und Bündnissen zu anderen Gruppen."

Gefahr für den Rechtsstaat

Unter den Festgenommen ist eine Richterin, die für die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) im Bundestag saß, ehemalige Soldaten, Adelige und Ex-Mitglieder der Polizei. Menschen also, die über Kontakte verfügen, über Einblicke in demokratische Institutionen und finanzielle Mittel. Einige kennen sich mit Waffen aus oder sind an ihnen trainiert. Bei der Razzia wurden mehrere Waffen sichergestellt.

Auch die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann wurde festgenommenBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Das macht die Festgenommenen und ihre Unterstützer zu einer Gefahr für den Rechtsstaat, auch wenn sie ihn schwerlich in die Knie zwingen können. "Es passiert kein Umsturz, aber es können Splitter der Ideologien in anderen Extremismus drängen wie auch in die Mitte", so Zick.

Coronaproteste bringen Extremisten zusammen

Denn all diese Menschen verbindet ein gefährliches ideologisches Gebräu. Sie glauben teilweise an einen im verborgenen agierenden Staat im Staate und hängen antisemitischen Verschwörungen an. "Zentral ist dabei auch, dass die Ideologien vieler der Gruppen den Umsturz geradezu verlangen, denn sie erkennen die Regierungsform und die Demokratie im Kern nicht an", analysiert Zick.

Auf einer Demonstration in Frankfurt an der Oder am 3. Oktober 2022 wird der Widerstand beschworenBild: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

Gerade die Krise der Corona-Pandemie und die dazugehörigen Proteste haben zu einer Radikalisierung der Szene beigetragen, schlussfolgern viele Experten und Expertinnen. Einige Menschen hätten den Glauben an den demokratischen Staat verloren und seien empfänglich geworden für vermeintliche Freiheitskämpfe und der Errichtung eines alternativen Staates.

Neues Phänomen "Verschwörungsextremismus"

Reichsbürger etwa besetzten Themen wie Freiheit und Widerstand und drängen so in die Mitte der Gesellschaft vor: "Die Coronaproteste haben verschiedene Gruppen aus der bürgerlichen Mitte, dem Rechtspopulismus, dem Rechtsextremismus, verschwörungsorientierten und anderen Milieus über Widerstands- und Freiheitsideologien zusammengebracht", so Andreas Zick.

Vermummte Polizisten führen in Frankfurt den vermeintlichen Drahtzieher Heinrich XIII Prinz Reuß abBild: Boris Roessler/picture alliance/dpa

Der kriminalpolitische Sprecher der SPD, Sebastian Fiedler, empfiehlt, bei Querdenkern, Reichsbürgern und anderen Gruppen nicht mehr in "Schubladen zu denken": "Es sind nicht alles Reichsbürger, es sind schon gar nicht klassische Rechtsextreme, sondern es ist etwas, was ich schon seit geraumer Zeit Verschwörungsextremismus nenne, in diesem Falle könnte man präziser sagen rechter Verschwörungsterrorismus".

Noch keine Antwort auf Verschwörungsmythen

Und darauf haben Politik und Gesellschaft offenbar noch keine Antwort gefunden. Fiedler analysiert etwa, dass Staat und Politik mittlerweile ganz gut verstünden, wie Radikalisierung im Rechtsextremismus und im Islamismus funktioniere und hätten entsprechend Deradikalisierungsprogramme aufgesetzt. Aber im Umgang mit Verschwörungsmythen sei man noch nicht so weit. Auch Konfliktforscher Andreas Zick plädiert dafür, die verschiedenen Milieus genau zu analysieren und dann einen Präventionsplan zu entwickeln.

Und das scheint dringender denn je zu sein: gerade Krisen in einer komplexen Welt können Menschen wegdrängen von der Demokratie, die manchmal mühsam und kompliziert erschein kann, und hin zu den einfachen Erklärungen, mit denen Verschwörungsmythen locken. "Gerade der Extremismus wandelt sich und das gerade in Krisenzeiten", sagt Zick. "Wir schauen immer nach der Masse an Menschen, aber es sind Kleingruppen wie Terrorzellen, die einen Staat instabil machen können."

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