Der Reichstag in Berlin ist Symbol für den Kampf um die deutsche Demokratie. Die Übergriffe von rechtsextremen Teilnehmern der Corona-Proteste auf das Parlament haben die Politik erschüttert.
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Deutschland ist im Vergleich zu anderen westlichen Staaten wie Großbritannien oder den USA eine noch junge Demokratie. Der Reichstag in Berlin, seit 1999 Sitz des Deutschen Bundestages, steht für diese junge und wechselvolle Geschichte. Abgesehen vielleicht vom Brandenburger Tor gibt es in der deutschen Hauptstadt wohl kein anderes Bauwerk, das symbolisch so aufgeladen ist.
Gebaut wurde der Reichstag Ende des 19. Jahrhunderts während der Zeit der Monarchie. Er lag ungefähr einen Kilometer vom damaligen kaiserlichen Stadtschloss entfernt. Überliefert ist, dass sich Kaiser Wilhelm I darüber aufregte, dass die Kuppel des Reichstags höher als die Kuppel seines Stadtschlosses war. Schon damals ging es viel um Symbolik. Der Kaiser hatte nicht viel übrig für das Parlament und soll sogar vom "Reichsaffenhaus" gesprochen haben. Die Zustimmung zu dem Schriftzug "Dem deutschen Volke" über dem Portal des Reichstages konnte dem Kaiser erst 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, abgerungen werden.
Immer wieder Schauplatz der Geschichte
Das Ende der Monarchie war wieder mit dem Reichstagsgebäude verbunden: Am 9. November 1918 rief der SPD-Politiker Philipp Scheidemann vom Balkon des Reichstages die "deutsche Republik" aus, die später die Weimarer Republik genannt wurde.
Die Nationalsozialisten unter Adolf Hitler verachteten das Parlament und die Demokratie. Anfang 1933 kamen sie an die Macht. Im Februar desselben Jahres stand der Reichstag durch Brandstiftung in Flammen. Die Umstände sind bis heute nicht geklärt. Jedenfalls nutzten die Nationalsozialisten den Brand für die Aussetzung von Grundrechten. Der Weg in Hitlers Schreckensherrschaft, in Krieg und Holocaust nahm seinen Lauf.
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Ein Foto geht um die Welt
1945, nach dem Einmarsch der Roten Armee in Berlin, wurde eine sowjetische Flagge auf dem Reichstag als Symbol des Sieges gehisst. Das Foto ging um die ganze Welt und ist bis heute in zahlreichen Geschichtsbüchern zu sehen.
Danach wurde das im Krieg stark beschädigte Reichstagsgebäude zwar wiederhergestellt, durch die deutsche Teilung fiel es aber in einen jahrzehntelangen Dornröschenschlaf, denn des gab kein gesamtdeutsches Parlament mehr. Die Mauer, die ab 1961 Deutschland und Berlin durchschnitt, verlief unmittelbar an der Ostseite des Gebäudes, das knapp im Britischen Sektor stand. Der Bundestag der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland befand sich in Bonn.
Mit der deutschen Einheit 1990 wurde Berlin nicht nur Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands, sondern auch wieder Sitz des Parlaments – im alten Reichstagsgebäude. Den Startschuss für den Neubeginn gab 1995 die Verhüllung des Gebäudes durch das Künstlerpaar Christo. Einen Sommer lang konnte die Welt das silbrig-glitzernd eingepackte Gebäude bestaunen, bevor es seine neue, alte Funktion als Sitz des deutschen Parlaments zurückbekam.
Der Umbau im Inneren spiegelte das neue Verständnis eines weltoffenen, demokratischen, wiedervereinigten Deutschlands wider. Dafür steht zum Beispiel die begehbare gläserne Kuppel.
"Angriff auf das Herz unserer Demokratie"
Gerade nach dieser wechselvollen Geschichte zeigt sich die deutsche Politik erschüttert, dass Rechtsextreme den Reichstag am Wochenende bei den Corona-Protesten beinahe gestürmt hätten. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach von einem "unerträglichen Angriff auf das Herz unserer Demokratie", Regierungssprecher Steffen Seibert kritisierte "schändliche Bilder, die so nicht hinzunehmen sind".
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sieht "Grenzen des Anstands" verletzt. Der Vorfall müsse schnell und umfassend aufgearbeitet werden. Damit ist auch gemeint, dass zwar ein Eindringen der Demonstranten verhindert werden konnte, dass die Demonstranten aber die Absperrgitter durchbrechen und die Freitreppe des Gebäudes besetzen konnten. Dass einige dabei die schwarz-rot-weiße Reichsflaggen aus der Kaiserzeit schwenkten, hat auch international Schlagzeilen gemacht.
Im Bundestag selbst hat inzwischen eine Diskussion begonnen, wie das Parlament besser geschützt werden kann. Alle dort vertretenen Parteien haben die Geschehnisse vom Wochenende verurteilt. Auch die AfD, der viele eine Nähe zu den Corona-Protesten nachsagen, hat sich von den Übergriffen auf das Parlamentsgebäude distanziert.
Ein Reichstag mit Geschichte - und Graben
Der Reichstag mit seinem davor gelegenen Platz der Republik ist ein Ort, der viel erlebt hat - und wohl noch erleben wird. Nun soll der Reichstag eine Art Burggraben bekommen. Ein Ort im Wandel der Zeit.
Bild: picture-alliance/dpa/G. Fischer
Kriegszerstörung
Der Reichstag 1948: Hunderttausende Menschen demonstrieren gegen die Berlin-Blockade. Die Spuren des Zweiten Weltkriegs sind noch deutlich sichtbar. Bereits 1933 war das Gebäude bei einem Brand stark beschädigt und die Kuppel fast komplett zerstört worden. Errichtet wurde das Gebäude einst als Sitz des Reichstags des Deutschen Kaiserreichs in der Zeit von 1884 bis 1894.
Bild: picture-alliance/akg-images
Ein Ort für Kundgebungen
Und noch eine Demo: 1962 protestieren mehr als 500.000 Westberliner vor dem Reichstag gegen die Mauer, die Ost- und Westberlin trennt. Bundespräsident Heinrich Lübke hält eine Rede. Der Platz der Republik entstand übrigens bereits um 1730 als Exerzierplatz für Soldaten. Darum hieß er damals auch so.
Bild: picture-alliance/dpa
Wer hier spricht, wird gehört
So wie Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister von Berlin am 1. Mai 1966. Drei Jahre später wurde er Bundeskanzler. So wie er den Job wechselte, bekam die große Fläche vor dem Reichstag neue Namen: 1730 hieß sie Exerzierplatz, 1864 Königsplatz, während der Weimarer Republik 1926 bis 1933 Platz der Republik, während der Nazi-Zeit wieder Königsplatz, seit 1948 wieder Platz der Republik.
Bild: picture-alliance/dpa/F. Reiss
Wer hier singt - auch
Für Aufregung sowohl in West- als auch in Ostberlin sorgte Michael Jackson mit seinem Konzert auf dem Platz der Republik am 19. Juni 1988. Damals befand er sich auf dem Höhepunkt seines Erfolges. Das Hitalbum "Bad" war im Vorjahr erschienen und die Welttournee führte ihn erstmals nach Deutschland. Die DDR-Führung wurde nervös, weil viele Jugendliche zur Mauer drängten, um im Osten zuzuhören.
Bild: imago/BRIGANI-ART
Platz der Stars
Letztendlich blieb aber beim Konzert von Michael Jackson alles im Rahmen. Er war auch nicht der erste Weltstar, der so nah an der Berliner Mauer auftrat. Im Jahr davor waren bereits David Bowie (Foto) und Genesis dagewesen, einige Tage vor Michael Jackson war die Band Pink Floyd dort. Vor deren Konzert hatte die DDR-Führung massiven Druck auf den Senat von Westberlin ausgeübt.
Bild: imago/BRIGANI-ART
Platz der Bässe
Angeblich könnten durch die Vibrationen der Bässe Schwerkranke im nahe gelegenen Ostberliner Krankenhaus Charité ums Leben kommen. Der Veranstalter sorgte also dafür, dass die die Band nur leise und nur in Richtung Westen spielte. Pink Floyd rächte sich dafür, drehte beim Soundcheck die Lautsprecher Richtung Osten und probte dann - unter anderem - den Song "The Wall".
Bild: imago/BRIGANI-ART
Platz der Geschichte
Dieses Bild ging um die Welt. Die Mauer ist gefallen - Ost- und Westdeutschland sind vereint. Am Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 winkt Bundeskanzler Helmut Kohl (m.) den Menschen vom Reichstag aus zu. Neben ihm seine Frau Hannelore sowie Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (l.) und Bundespräsident Richard von Weizsäcker (r.).
Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm
Platz für eine Glaskuppel
Nach der Wiedervereinigung wurde Berlin Hauptstadt und der Umzug des Bundestags von Bonn nach Berlin beschlossen. Damit brauchte das Parlament ein neues Zuhause: das Reichstagsgebäude. Das musste dazu aber erstmal aufgehübscht werden. Dies tat der britische Star-Architekt Sir Norman Foster von 1995 bis 1999. Sichtbarstes Zeichen: Die neue gläserne Kuppel auf dem Reichstag.
Bild: Getty Images/AFP/C. Bilan
Kuppel für die Ewigkeit
Die Kuppel ist 24 Meter hoch und 40 Meter breit. Sie hat zwei gegenläufige Wege. Auf dem einen können die Touristen die rund 200 Quadratmeter große Aussichtsplattform erreichen, auf dem anderen sie wieder verlassen. Die Kuppel ist ein Publikumsmagnet und lockt jährlich rund drei Millionen Besucher an. Insgesamt 360 Spiegel bringen Tageslicht in den darunterliegenden Plenarsaal.
Bild: picture-alliance/dpa/D. Kalker
Stadion für einen Sommer
Mit der Glaskuppel zog 1999 auch der Bundestag in das Gebäude ein. Rund sieben Jahre später folgte der nächste große Bau. Zur Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland hat Sponsor Adidas ein eigenes Stadion für rund 8.000 Fans auf den Platz der Republik vor den Reichstag gesetzt. Adidas-Chef Herbert Hainer (l.) und Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit präsentieren das Modell.
Bild: picture-alliance/dpa/dpaweb/P. Grimm
Renovierung im Herbst
Nach der Fußballweltmeisterschaft wurde das elf Millionen Euro teure Stadion wieder abgebaut - und der rund 30.000 Quadratmeter große Platz der Republik musste wieder begrünt werden. Aus dem Bundesland Sachsen wurden rund 37.500 Rollen mit Rasen gebracht und verlegt. Angeblich soll die Wiederbegrünung des Platzes eine Million Euro gekostet haben. Nun wächst zusammen, was zusammengehört.
Bild: picture-alliance/dpa/G. Breloer
Stillgestanden!
Ach-tung! Stillgestanden! Augen gerade-aus! Seitdem der Reichstag saniert, die Kuppel montiert und das Stadion abtransportiert ist, wird der Platz der Republik wieder für Kundgebungen und Demonstrationen genutzt - und für Rekruten-Gelöbnisse. Traditionell werden jeweils am 20. Juli, dem Tag des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler, junge Soldaten vereidigt.
Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm
Ort der Entspannung - noch
Ist mit der Routine also Ruhe eingekehrt an diesem geschichtsbeladenen Ort? Auf dem Platz der Republik erholen sich bei gutem Wetter Berliner vom stressigen Alltag oder Touristen vom stressigen Sightseeing. Aber Vorsicht: Das nächste Projekt steht bevor.
Bild: picture-alliance/dpa/M. Hitij
Vision Wasserschloss?
In Zukunft soll der Reichstag - ähnlich wie früher Burgen - an der Vorderseite einen Graben bekommen. Aus Sicherheitsgründen. Da sollen Krokodile und Piranhas zum Schutz für die Abgeordneten rein. Okay, das ist Quatsch. Aber das mit dem Graben stimmt. Er soll auf der Seite des Hauptportals angelegt werden und zehn Meter breit und 2,50 Meter tief sein. Die Seiten sollen Zäune sichern.
Bild: picture-alliance/dpa/G. Fischer
Graben mit Aha-Effekt
Der Graben soll aus der Ferne nicht zu erkennen sein, schreibt das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Auf der einen Seite soll ihn eine Böschung verdecken, auf der anderen begrenzt ihn eine steile Wand. Erst wenn man direkt davor steht, soll man erstaunt "Aha!" sagen. Gleichzeitig soll ein neues Besucherzentrum die Container-Barracken ersetzen, in denen Touristen bisher kontrolliert werden.
Bild: imago-images/B. Friedel
Ende eines Provisoriums
Die Bauzäune und Baucontainer, die jetzt vor dem deutschen Parlament stehen, sehen wirklich nicht sehr repräsentativ aus. Das künftige Besucherzentrum soll etwas abseits liegen und den Touristen durch einen Tunnel Zugang zum Reichstag gewähren. Kostenpunkt für Besucherzentrum und Graben: rund 150 Millionen Euro. Fertigstellung: Mitte 2023. Wenn es klappt. Ist ja kein Flughafen.