Reifetest für die albanische Demokratie
10. Mai 2025
Seit Juli 2022 verhandelt Albanien offiziell mit der Europäischen Union (EU) über einen Beitritt. Die Parlamentswahlen am 11. Mai sind die ersten seit Beginn dieses Prozesses.
Ministerpräsident Edi Rama und seine regierende Sozialistische Partei Albaniens (SP) hoffen auf eine historische vierte Amtszeit. Die Opposition dagegen ist zersplittert. Zweitstärkste Kraft ist die Demokratische Partei (DP), gefolgt von einer Reihe kleinerer politischer Parteien und Bewegungen.
Die anstehenden Wahlen gelten als eine entscheidende Wegmarke auf dem Weg Albaniens zur Demokratie und in die EU. Dabei geht es unter anderem um den Kampf gegen die Korruption.
Insgesamt 3,7 Millionen albanische Bürger und Bürgerinnen dürfen die 140 Mitglieder des Parlaments wählen. Zum ersten Mal nimmt auch die albanische Diaspora an den Wahlen teil.
EU-Mitgliedschaft als Wahlversprechen
Die regierende Sozialistische Partei machte bei ihrem Wahlkampfauftakt am 12. April deutlich, worum es der Partei vor allem geht: Die Bühne war der EU-Flagge mit ihren zwölf Sternen nachempfunden. Und auch der Wahlslogan "Albanien 2030 in der EU" unterstreicht diese Botschaft.
"Nur wir stehen für die europäische Zukunft Albaniens", erklärte Ministerpräsident Rama. Die SP sei die einzige politische Kraft, die in der Lage sei, Albanien als Mitglied in die EU zu führen.
Nachhaltige institutionelle Reformen nötig
Politische Analysten weisen jedoch darauf hin, dass die Aufnahme in die EU vor allem ein technischer Prozess ist, bei dem es darum geht, dass die Beitrittskandidaten bestimmte von Brüssel vorgegebene Kriterien erfüllen. Diese Kriterien erfordern demnach mehr als politische Slogans, sie setzen nachhaltige institutionelle Reformen voraus.
"Albanien muss Reformen umsetzen, einen funktionierenden Rechtsstaat schaffen, die Korruption bekämpfen und einen breiten gesellschaftlichen Wandel durchlaufen", sagt Afrim Krasniqi, Leiter des Instituts für Politische Studien in Tirana, zur DW
"Bei diesem [Wahl-]Versprechen geht es nur um das Spektakel", meint Elvin Luku, Professor für Kommunikationswissenschaften an der Universität Tirana. "Zwölf Jahre an der Macht haben diese Regierung ausgelaugt. Nun scheint das Versprechen eines europäischen Passes die einzige Möglichkeit zu sein, die Wahlkampagne in Schwung zu bringen."
Gespaltene Opposition
"Dies ist die stärkste Koalition, die Albanien in den vergangenen 32 Jahren gesehen hat", erklärte Sali Berisha, ehemaliger Ministerpräsident und Vorsitzender der Demokratischen Partei im März, als er das von Oppositionsparteien geschlossene "Bündnis für ein großartiges Albanien" vorstellte.
Das Bündnis verspricht, den Lebensstandard der Albaner und Albanerinnen durch Maßnahmen wie die Anhebung des Durchschnittsgehalts auf 1200 Euro und der Renten um 20 Prozent zu verbessern.
Nach zwölf Jahren in der Opposition und einer DP, die intern gespalten ist, sind die Herausforderungen jedoch groß.
Weiter Ermittlungen wegen Korruption
Die Aufhebung des Hausarrests von Berisha, dem die albanische Justiz Korruption vorgeworfen hatte, führte kurzzeitig zu einer Wiederbelebung der DP-Basis. Doch gegen den früheren Ministerpräsidenten wird nicht nur im eigenen Land ermittelt, sowohl die USA als auch Großbritannien haben wegen Korruption Sanktionen gegen ihn verhängt. Seine Glaubwürdigkeit auf internationaler Bühne ist also stark eingeschränkt.
Berishas Verbündeter Ilir Meta, ehemaliger Staatspräsident und Vorsitzender der Freiheitspartei, wurde 2024 unter dem Vorwurf der Korruption und Geldwäsche verhaftet und ist noch immer in Haft.
Laut Krasniqi zeigen die Listen der von der Opposition aufgestellten Kandidierenden, dass es diesen nicht um Reformen geht, sondern darum, Personen, gegen die ermittelt wird, Immunität und Schutz zu verschaffen.
Neue Parteien bieten Alternativen
Lange wurde die politische Bühne von der SP und der DP dominiert, doch bei dieser Wahl gehen mehrere neue Parteien mit dem Anliegen ins Rennen, eine reformorientierte Alternative zu bieten
Dazu zählen Levizja Bashke (Gemeinsame Bewegung), eine im linken Spektrum zu verortende Partei, Shqiperia behet (Albanien wird), eine Partei die dem Kampf gegen die Korruption verschrieben hat, und Mundesia (Chance), die von dem Unternehmer und früherem Parlamentsabgeordneten Agron Shehaj angeführt wird.
Auch wenn erste Umfragen nahelegen, dass diese neuen Parteien kaum Chancen haben werden, werten Beobachter ihre Teilnahme als positives Zeichen für die Entwicklung der Demokratie in Albanien.
"Zum ersten Mal sehen wir neue Parteien, bei denen es sich nicht lediglich um Ableger der alten Parteien handelt, sondern die den Wählern Alternativen bieten. So dreht sich die Politik weniger um einen zentralen Punkt", meint Krasniqi.
Justizsystem in Gefahr?
Die größten Parteien haben im Wahlkampf versprochen, den Rechtsstaat zu stärken und gegen die Korruption zu kämpfen, ihre Kandidatenlisten jedoch erzählen eine andere Geschichte.
Auf den Listen sowohl der regierenden Sozialistischen Partei als auch der oppositionellen Demokratischen Partei stehen Kandidaten, gegen die von der albanischen Behörde zur Korruptionsbekämpfung SPAK ermittelt wird.
Daten der zivilgesellschaftlichen Organisation Qendresa Qytetare zufolge, die die Integrität im öffentlichen Leben beobachtet, wird gegen 15 Kandidierende der SP und DP ermittelt. Sieben davon haben einen sicheren Listenplatz. "Für die Demokratie in Albanien ist es ein Rückschritt, wenn die großen Parteien Kandidierende aufstellen, gegen die strafrechtlich ermittelt wird", sagt Rigels Xhemollari, Geschäftsführer von Qendresa Qytetare.
"Bei einigen der Namen auf den Listen handelt es sich um Familienmitglieder bekannter Krimineller oder um Personen, die zuvor nach dem Gesetz zur Entkriminalisierung aus der Politik entfernt wurden", fügt er hinzu.
Xhemollari warnt davor, dass diese Kandidierenden im Fall ihrer Wahl ins Parlament eine gefährliche Rolle bei der Unterwanderung des Justizsystems spielen könnten. SPAK hat unterdessen bekannt gegeben, dass es 35 Fälle von Wahlstraftaten untersucht.
Bewährungsprobe für die EU
Die Parlamentswahl an diesem Sonntag gilt als entscheidende Bewährungsprobe für die demokratische Reife Albaniens und den Weg des Landes zu einer EU-Mitgliedschaft. Zwar hat Albanien bei der Reform der Justiz Fortschritte gemacht, insbesondere aufgrund der Ermittlungen von SPAK gegen Korruption auf höchster Ebene, doch Wahlen insgesamt bleiben noch immer ein Schwachpunkt des Landes.
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.