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Reise in eine Welt, die verschwindet

2. Dezember 2015

Zwischen glitzernden Eisbergen rudern, Ski fahren im ewigen Eis – davon träumen Polarmeer-Touristen. Doch zu sehen bekommen sie etwas ganz anderes: ihr Urlaubsziel schmilzt.

Südwest-Grönland
Bild: picture-alliance/dpa/A. Nieboer

In den Polarmeeren schmelzen die Gletscher. Die Erderwärmung ist an den beiden Polkappen doppelt so hoch wie an anderen Orten dieser Welt. Arktis und Antarktis sind gewissermaßen zu "Hot-Spots" des Klimawandels geworden. Und Touristen werden zu wichtigen Kronzeugen ihres Verschwindens. Da sind sich Umweltaktivisten und Reiseveranstalter einig.

Der Pine-Island-Gletscher in der Westantarktis transportiert mehr Eis als jeder andere Gletscher weltweit, aber er schmilzt unaufhaltsam. Etwa zwei Kilometer dick ist seine Eisdecke, jährlich schrumpft sie um einen Meter. Allein das Schmelzwasser dieses Gletschers führt zu seinem signifikanten Anstieg des Meeresspiegels.

Faszination Eis: Nordlicht über der Insel Vannoya im arktischen PolarkreisBild: picture-alliance/dpa/H. Bäsemann

Die arktische Eiskappe schmilzt schneller als je zuvor. Das freigesetzte Süßwasser fließt in den Nordatlantik und stört dort die Wärmeregulierung. Die Ozeane tragen dazu bei, die Temperaturen der Erde zu stabilisieren, indem sie Wärme aufnehmen. Diese Fähigkeit wird durch das eingeleitete Schmelzwasser empfindlich gestört.

Auch die norwegischen Lofoten nördlich des Polarkreises bleiben nicht verschont. "In Svolvaer kann man Anfang Juni bei 25 Grad Celisus in Shorts herumlaufen. In den vergangenen zehn Jahren hatten wir durchschnittlich 12 Grad Celsius", wundert sich Margaux Maury, eine französische Touristin, die zehn Tage auf der Inselgruppe verbracht hat.

Touristen als Augenzeugen des Klimawandels

"Erst wenn man selbst solche Erfahrungen macht, begreift man, dass die Klimaerwärmung eine Realität ist", weiß der französische Abenteurer, Schriftsteller und Filmemacher Nicolas Varnier. Der 53-Jährige gilt als Kenner des hohen Nordens und hat sich in seinen Filmen auf diese Lebenswelt spezialisiert. Varnier hofft, dass die persönlichen Erlebnisse von Polarmeer-Reisenden dazu beitragen, endlich die Alarmglocken zum Läuten zu bringen. "Touristen in den Polarmeeren sind wichtig", ergänzt er. "Wir brauchen sie als Zeugen für den Klimawandel. Die Erderwärmung vollzieht sich so rasant, dass die Natur nicht mehr hinterher kommt."

Ein Lebensraum verschwindet. Der Regisseur von Filmen wie "Der Junge und der Wolf" oder "Der letzte Trapper" hat die eisigen Landschaften oft mit Hundeschlitten bereist. "Noch vor zehn Jahren hätte ich in kleinen Dörfern anhalten können, aber heute sind alle Einheimischen weggezogen und leben in der Nähe von Flughäfen."

Touristen als Zeugen des KlimawandelsBild: picture alliance/ZB/P. Pleul

Die Polarmeere locken in der Tat immer mehr Touristen an. 70.000 waren es 2014 auf Grönland, über 40.000 bereisten das norwegische Svaldbard Archipel, rechnet die AECO (Association of Arcitic Expedition Cruise Operators) vor, eine internationale Organisation für Expeditionskreuzfahrten. Das Interesse an Polarmeer-Tourismus nimmt zu, bestätigt auch Daniel Skjeldam, Chef der norwegischen Firma Hurtigruten und Spezialist für Nordmeer-Kreuzfahrten. Hurtigruten verzeichnete einen Zuwachs von 8 Prozent. "Eine Reise in die arktische Welt konfrontiert mit Themen, die die ganze Menscheit betreffen. Mit den schmelzenden Gletschern bekommt die Klimaveränderung plötzlich ein Gesicht", erklärt Skjeldam den Reiseboom.

Strenge Auflagen für den Polartourismus

In der Antarktis werden für die Saison 2015/16 rund 40.000 Touristen erwartet. Die meisten buchen Touren mit Kreuzfahrtschiffen. Das sei ein Zuwachs von 50 Prozent seit 2011, so die IAATO (International Association of Antarctica Tour Operators), der internationale Verband der Reiseveranstalter mit Zielgebiet Antarktis.

Kehrseite der Medaille: Umweltrisko TourismusBild: picture-alliance/dpa/Hapag-Lloyd

Doch ein Viertel der Besucher wird keinen Fuß aufs Land setzen können. Das regelt ein Abkommen von 1994 zum Schutz der bedrohten Natur. Bestandteil ist ein strenger Verhaltens- und Maßnahmenkatalog für Antarktis-Touristen und Reiseveranstalter. Er begrenzt unter anderem die Anzahl der Schiffe, die anlegen dürfen und erlaubt nur 100 Passagieren gleichzeitig an Land zu gehen. Und bevor das geschieht, müssen sie nicht nur ihre Schuhsohlen gründlich waschen, sondern alles, was sie bei sich tragen intensiv reinigen. Damit soll verhindert werden, dass die Gäste unbewusst Pilze und Keime einschleppen und so das ökologische Gleichgewicht gefährden.


"In der Antarktis wird es auf Grund dieser Regelung nie zu Massentourismus kommen", betont Daniel Skjeldam. "Ich würde gerne die gleichen Regeln in arktischen Gewässern einführen, um zu verhindern, dass sich Menschen hier wie Cowboys aufführen" sagt er. Skjeldam fordert ein Umdenken, ein Limit für Kreuzfahrtriesen mit 5000 Passagieren. Die Anzahl dieser Schiffe mit ihren gewaltigen Treibstofftanks sollte begrenzt werden, damit sie nicht in Massen durch nahezu unberührten Gewässer pflügen.

Wie lange noch? Kajaktour im Narsaq Fjord auf GrönlandBild: picture-alliance/dpa/W. Heumer

Acht Länder teilen sich das Territorium der Arktis: Kanada, Dänemark, Finnland, Island, Norwegen, Russland, Schweden und die USA. Sie haben gemeinsame Regeln für den Natur- und Umweltschutz. Diese seien jedoch weniger streng als in der Antarktis, berichtet Lionel Habasque, Chef des französischen Reiseveranstalter "Grand Nord Grand Large". Er weist darauf hin, dass auch Grönland dabei sei, härtere Auflagen einzuführen. Momentan regelt sich das Problem noch von selbst. Es gibt nur drei Häfen, in denen große Kreuzfahrtschiffe anlegen können.


Der Veranstalter "Grand Nord Grand Large" organisiert Ausflüge für Gruppen zwischen 10 und 140 Gästen. Auf dem Programme stehen Wanderungen, Skilanglauf oder Kajaktouren zwischen den Eisbergen. Habaques berichtet von 20 Prozent mehr Buchungen und führt das auf die zunehmende Popularität von Polarmeer-Tourismus zurück. Tourguide Dominque Albouy bringt die Faszination Polarmeer auf den Punkt. "Es gibt nun mal nichts Magischeres als die Zügel seines eigenen Schlittenhundegespanns zu halten und über eine riesige, gefrorene Fläche zu gleiten, dazu das sanfte Geräusch der Kufen, die durch den Schnee pflügen."

(afp)