Circus Roncalli auf Jubiläumstour
18. Mai 2016
"Lassen Sie ihren Kummer draußen und kommen Sie in unsere Herzen." Poetisch eröffnet Weißclown Fulgenci Mestres Bertran die Vorstellung. Die Musik des Roncalli Royal Orchestras spielt sphärische Urwaldklänge, doch nur ein paar Sekunden. Dann erklingen plötzlich fetzige Poprhythmen und die Gruppe Bingo aus Kiew stürmt regelrecht die Manege. Frauen mit Punk-Frisuren und Männer mit nacktem Oberkörper präsentieren gleichzeitig verschiedene artistische Kunststücke an langen Bändern und Stangen, springen Seil oder vollführen Luftsprünge. Alles geht so schnell, dass man kaum weiß, wo man hingucken soll.
Der Spagat zwischen Nostalgie und Moderne
Der Zirkus geht mit der Zeit. Die kontrastreichen Wechsel sind Programm. "Wenn es die ganze Zeit so ruhig dahinfließen würde, das würde heute nicht mehr funktionieren", meint Zirkusdirektor Bernhard Paul. Anders als vor 40 Jahren seien die Leute schnelle Schnitte gewöhnt. "Ich muss für jeden was haben in kürzester Zeit, wie ein opulenter Werbespot aus dem Paradies." Die Zutaten für sein Programm seien allerdings nach wie vor unverkennbar: "Man braucht Clowns, Jongleure und Akrobaten, man braucht poetische Momente, man braucht Emotionen, man braucht Farben und Farbharmonie, einen Schuss Exotik, und das ist Roncalli."
Wenn Tochter Vivi Paul als Harlekin verkleidet ihre Kunststücke am Luftreifen vollführt, erinnert das an die magischen Momente, mit denen der Zirkus seinerzeit berühmt wurde. Drei Kinder hat Bernhard Paul, die den Zirkus einmal übernehmen werden und damit seinen Kindheitstraum fortführen. Für diesen Traum vom eigenen Zirkus hatte er Mitte der 1970er Jahre eine gut bezahlte Stelle als Artdirektor in einer Webeagentur aufgegeben.
Die Reise zum Regenbogen
Ein alter Wanderzirkus mit Holzwagen und spaßigen Clowns schwebte ihm damals vor, so wie er ihn einst als Kind in seiner Geburtsstadt, dem österreichischen Wilhelmsburg, erlebt hatte. Die Holzwagen kaufte Bernhard Paul vom Zirkus Williams und lackierte sie um. Die erste Vorstellung fand am 18. Mai 1976 auf der Bonner Hofgartenwiese statt. Weil er für ein Clown-Trio nur zwei Clowns finden konnte, ging er selbst als dritter in die Manege: Bekannt als Clown Zippo, der gemütliche, drollige Clown, der nicht in die moderne Zeit passen will.
Mit dem Programm "Die Reise zum Regenbogen" wurde der Zirkus in den 1980er Jahren schlagartig berühmt. Legendäre Nummern wie der Pantomime Pic, der in eine Seifenblase stieg, der Froschmensch John AK oder die akrobatischen Goldmenschen, stammen aus dieser Zeit. Ein Programm, so vielfältig und farbenfroh wie ein Regenbogen, an das Bernhard Paul jetzt bei seiner Jubiläumstournee wieder anknüpfen will.
Ein Haus wie ein Museum
Die schönsten Nummern aus der Reise zum Regenbogen hat sich der Zirkusdirektor an die Decke seines Empfangszimmers in seiner Villa in Köln Mühlheim malen lassen. "Carola Williams hat das Ganze in den 50er Jahren gebaut. Ich habe es noch einmal zusätzlich gealtert. Man denkt es steht seit der Gründerzeit. Hier sind die Juwelen der Zirkusgeschichte ausgestellt."
Holzvitrinen mit Porzellanfiguren aus der Zirkuswelt säumen die Wände. Viele Ausstellungsstücke hat Bernhard Paul aus Nachlässen erworben. "Das sind ja oft kleine Truppen, die nichts aufheben und das ist schade, denn Zirkus war wirklich einmal eine ganz große Kunst." Stolz präsentiert der passionierte Sammler die Original-Geige des Schweizer Clowns Grock. Wie Charlie Chaplin ist Grock eins seiner großen Vorbilder.
"Zirkus ist nicht Kultur"
Manchmal steht der Zirkusdirektor auch noch selbst als Clown auf der Bühne, aber das Management des gesamten Unternehmens lässt ihm nur wenig Zeit. Mittlerweile betreibt das Team um Bernhard Paul auch noch ein Varietee, historische Weihnachtsmärkte und Theaterproduktionen mit Zirkus und klassischer Musik. Finanzielle Unterstützung vom Staat gibt es nicht. "Im dritten Reich hat Goebbels gesagt, Zirkus ist nicht Kultur", erzählt Bernhard Paul. Seitdem gilt der Zirkus in Deutschland als Gewerbe.
Das sei in anderen Ländern nicht so, und eigentlich hatte Bernhard Paul auf eine einheitliche Regelung in der EU gehofft. Doch bis jetzt bildet Deutschland immer noch eine Ausnahme. "In England ist Zirkus Kultur und wird vom Staat unterstützt, ebenso in Frankreich und Italien. In Deutschland ist Zirkus seit Goebbels immer noch Gewerbe und wird sehr hoch besteuert."
Die größte Sammlung Europas
Bernhard Paul ist ein Sammler und Bewahrer. Auf dem früheren Gelände des Zirkus Williams in Köln Mülheim befinden sich die Lagerhallen und Reparaturwerkstätten von Circus Roncalli. Darin hat Bernhard Paul ganze Einrichtungen alter Läden, Spielzeug, Karussels, Kostüme und Gebrauchsgegenstände aus vergangener Zeit untergestellt. "Ich habe ein Leben lang gesammelt und habe, so sagen Fachkreise, eine der größten Sammlungen weltweit von Zirkus und Varietee." All das will er jetzt in einem Museum auf seinem Gelände der Öffentlichkeit zugänglich machen. "Das ist eine Hall of Fame der größten Artisten, Akrobaten, und wir wollen auch Archive darüber anlegen, was für Artisten und Zirkusse es weltweit gab."
Noch sehen die Hallen allerdings aus wie ein riesiges Trödellager und Hausmeister Nello kann sich das Museum noch nicht so recht vorstellen. "Das ist so viel Arbeit", meint er und winkt ab. Einige Hallen stehen voller Kartons, in anderen muss man aufpassen, dass man in den engen Gängen keine alten Reklameschilder umstößt, oder versehentlich die vielen Puppen vom Regal reißt.
Ein Register für all das gibt es noch nicht. Nur im Kopf von Bernhard Paul, sagt Nello. "Der weiß alles, der ist besser als ein Computer." Bernhard Paul kann sich durchaus vorstellen, das Museum in zwei Jahren fertig zu stellen. Schließlich wäre es auch ein Ort für die eigene Geschichte von 40 Jahren Circus Roncalli.