Das Vorgehen von Frankreichs Regierung, die umstrittene Rentenreform einfach durchzuboxen, sorgt weiter für Proteste. Nun steht ihr ein Misstrauensvotum bevor.
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In der französischen Hauptstadt Paris hat es auch am Freitagabend wieder Proteste gegen die geplante Rentenreform gegeben. Dabei gerieten in aufgeheizter Atmosphäre Reformgegner und Sicherheitskräfte aneinander. Die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer gegen Demonstranten ein, von denen manche Pflastersteine und Feuerwerkskörper warfen. Auch Gegenstände wurden in Brand gesetzt. Die Behörden meldeten mehrere Dutzend Festnahmen. Auch in etlichen anderen Städten kam es zu Protestaktionen, darunter Blockaden von Straßen, Schulen und Universitätsstandorten.
Die spontane Kundgebung in Paris fand auf dem zentralen Place de la Concorde statt, der unweit des Parlamentsgebäudes liegt. Dort war es bereits am Vortag zu Ausschreitungen gekommen, nachdem die französische Regierung beschlossen hatte, die umstrittene Reform mit Hilfe des Sonderartikels 49.3 ohne Abstimmung in der Nationalversammlung durchzuboxen. Sie befürchtete, dass nicht genügend Abgeordnete der Reform zustimmen. Der Sonderartiel 49.3 ermöglicht es der Regierung in begrenzten Fällen, ein Gesetz ohne Absegnung im Parlament zu verabschieden, sofern sie anschließend ein Misstrauensvotum übersteht.
64 statt 62 Jahre
Die Reform sieht im Kern vor, das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahren zu erhöhen. Zudem soll die Mindestrente bei voller Beitragszeit auf 1200 Euro angehoben und die Beschäftigung von Senioren gefördert werden. Schon seit Wochen protestieren Gewerkschaften gegen das Vorhaben. Für Donnerstag kommender Woche haben sie erneut zu einem landesweiten Streik- und Protesttag aufgerufen.
Das Misstrauensvotum erwartet die Regierung nun am Montag. Zwei entsprechende Anträge wurden bis Freitag in der vorgeschriebenen Frist gestellt - von der rechtsnationalen Partei Rassemblement National und der kleinen liberalen Fraktion LIOT. Dass damit die Regierung von Premierministerin Elisabeth Borne gestürzt wird, gilt aber als wenig wahrscheinlich.
wa/ust (dpa, afp, rtr)
Streik in Frankreich - Paris versinkt im Müll
Wegen der geplanten Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron streiken etliche Gewerkschaften, darunter die der Müllabfuhr. Nun füllen sich die Straßen mit Müll und Gestank. Mindestens bis Montag soll der Streik dauern.
Bild: Stevens Tomas/ABACA/dpa/picture alliance
Protestwochen gegen Rentenreform
Seit Wochen gehen in Frankreich immer wieder Hunderttausende auf die Straße, um gegen die geplante Rentenreform der Regierung zu protestieren. Am Mittwoch fanden sich im Laufe des Nachmittags - wie hier in Paris - Menschen zu Protestmärschen zusammen. Landesweit erwartet die Polizei etwas weniger Teilnehmer als zuletzt: rund 750.000 Demonstranten.
Besonders Menschen in körperlich anstrengenden Berufen könnte die Anhebung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre zu schaffen machen. Beschäftigte im öffentlichen Dienst streiken. Der Müll wurde in vielen Städten seit mehr als einer Woche nicht abgeholt. Allein auf den Straßen der Hauptstadt Paris türmen sich bereits mehr als sieben Tonnen Müll.
Bild: Samuel Boivin/NurPhoto/picture alliance
Ratten an touristischen Hotspots
Überall seien Ratten, sagt Aphaia Samios der Nachrichtenagentur AFP in einem Café mit Blick auf Müllberge: "Es ist ekelhaft. Manche Leute kommen kaum noch in ihr Haus hinein." "Ich wollte eine romantische Reise mit meinem Freund machen", sagt eine deutsche Touristin, aber der Müll verderbe den Charme der Stadt. Mark aus den USA beschwert sich: "Es ist unhygienisch und nicht gut für den Tourismus."
Bild: Alain Jocard/AFP
Reform gegen den Volkswillen?
Etwa 70 Prozent der Franzosen lehnen die Reform ab. Auch die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hildago stärkt den Streikenden den Rücken. Sie stehe voll und ganz hinter den Protesten, erklärte sie am Montag: "Wenn das Menschen betrifft, die im öffentlichen Dienst arbeiten - genauso wie die, die bei privaten Firmen angestellt sind - dann sage ich der Regierung: Sprechen Sie mit ihnen!"
Bild: Stevens Tomas/ABACA/picture alliance
Festgefahren oder einfach Stillstand?
Wann die Müllwagen ihre Garage an der Müllverbrennungsanlage in Ivry-sur-Seine wieder verlassen, ist noch nicht klar. Natacha Pommet, Generalsekretärin des Allgemeinen Gewerkschaftsbunds CGT, sieht die Regierung in der Verantwortung für den Streik: "Das Problem ist, dass wir eine Regierung haben, die unbedingt eine Reform umsetzen will, mit der die Mehrheit der Menschen nicht einverstanden ist."
Bild: Christophe Archambault/AFP
Verhärtete Fronten
Mindestens bis kommenden Montag wollen die Beschäftigten im öffentlichen Dienst weiter streiken. Derweil tagt ein Vermittlungsausschuss im Parlament. Der Senat hat der Reform bereits zugestimmt. Die letzte Abstimmung im Parlament hat Macron am Donnerstag abgewendet, in dem er einen Verfassungsartikel anwendete, der eine Verabschiedung ohne Abstimmung vorsieht.