"'Charlie Hebdo' wird fortleben"
9. Januar 2015Deutsche Welle: Monsieur Héry, fast aus der ganzen Welt haben Menschen ihre Solidarität mit dem Satiremagazin Charlie Hebdo bekundet. Gibt es auch handfeste finanzielle Unterstützung für die Redaktion nach dem Attentat?
Antoine Héry: Die französische und auch die internationale Presse reagieren auf sehr gute Weise. Die Solidarität geht weit über das Symbolische hinaus. Die Tageszeitung "Libération" hat die Redaktion von "Charlie Hebdo" in ihren Räumen aufgenommen. Dadurch wird es möglich, dass das Satiremagazin nächste Woche wieder erscheint - mit einer Auflage von einer Million Exemplaren. Von anderen Herausgebern wird es finanzielle Unterstützung geben.
Was tut Ihre Organisation "Reporter ohne Grenzen" für die Kollegen?
Wir haben eine Spendenaktion gestartet gemeinsam mit dem Fonds "Presse et Pluralisme", dem viele französische Publikationen angehören. Es gibt echte Solidarität und echten Zusammenhalt in der französischen Presse.
Gibt es für "Charlie Hebdo" auch Unterstützung vom Staat?
Fleur Pellerin, die Kulturministerin, hat angekündigt, dass sie öffentliche Gelder in Höhe von einer Million Euro für Charlie Hebdo zur Verfügung stellen wird. Das ist ein guter Schritt, den wir begrüßen.
Vor dem Attentat stand "Charlie Hebdo" vor dem finanziellen Ruin. Diejenigen, die am Mittwoch geschrien haben "Wir haben 'Charlie Hebdo' getötet" - haben sie das Gegenteil erreicht?
Sicher. "Charlie Hebdo" wird fortleben. Das Magazin ist niemals tot gewesen. Ich denke, dass die Einnahmen sprudeln werden. Spenden werden wichtig sein und staatliche Hilfe, aber ich bin sicher, dass "Charlie Hebdo" für lange Zeit finanzielle Sicherheit haben wird.
Und der Geist des Magazins - wird auch der weiterleben?
Der Geist von "Charlie Hebdo" ist der Geist der Freiheit. Das ist ein Wert, der uns viel bedeutet in Frankreich, in Europa, auf der ganzen Welt. Dieser Geist wird nicht auszulöschen sein.
Der 7. Januar war ein schwarzer Tag für die französische Presse und für die Meinungsfreiheit. Aber diese Freiheit konnte nur kurz gestört werden. Einige blutige Minuten lang.
Wird das Attentat also nicht dazu führen, dass die französische Presse sich selbst engere Grenzen setzt? Herrscht nicht Angst in den Redaktionen?
Im Moment spüre ich vor allen Dingen Solidarität. Und man wird sich bewusst, dass die Freiheit, die man für unsterblich hielt, zerbrechlich ist und von einem Tag auf den anderen infrage gestellt werden kann. Acht Journalisten sind tot, weil sie ihre Freiheitsrechte ausgeübt haben. Die französischen Medien sollten ohne Angst darauf reagieren, sich nicht einigeln. Ganz im Gegenteil, sie sollten noch freier als zuvor ihrer Informationspflicht nachkommen. Auch im Namen der Redaktion von Charlie Hebdo.
Weltweit und auch hier in Deutschland haben viele Redaktionen ihre Solidarität mit dem Slogan "Je suis Charlie" ausgedrückt. Reicht das? Oder sind Sie der Meinung, dass die Medien nun die provokanten Karikaturen von "Charlie Hebdo" weiter verbreiten sollten?
Wir haben einen Aufruf an die internationale Presse gestartet, diese Karikaturen zu veröffentlichen. Auf unserer eigenen Webseite haben wir sie auch publiziert. "Wir sind Charlie" zu sagen, das ist das Mindeste, was man tun kann. Darüber hinaus geht die Veröffentlichung der Karikaturen, das ist ein politischer Akt zur Verteidigung der Freiheit, die uns allen am Herzen liegt.
Trotz der vielfachen Beschwörung der Meinungsfreiheit, trotz der Solidaritätsbekundungen für "Charlie Hebdo" fast aus der ganzen Welt, auch aus Riad: Saudi Arabien hat heute einen Blogger wegen "Beleidigung des Islam" auspeitschen lassen.
Diese schreckliche Entscheidung der saudischen Behörden wurde zwar vor dem Attentat von Paris getroffen. Man hätte aber erwarten können, dass Saudi Arabien nach den Ereignissen dieser Woche eine andere Seite zeigt. Doch das wenig menschenfreundliche Regime hat dies nicht getan, sie haben Raif Badawi ausgepeitscht. Dafür, dass er angeblich unangebrachte Fragen gestellt hat. Im Namen der Demokratie und der Werte, die uns alle antreiben, kann man nur erschüttert sein angesichts dieser unmenschlichen, erniedrigenden Tat.
Reporter ohne Grenzen setzt sich weltweit für die Meinungsfreiheit und gegen Zensur ein. Antoine Héry ist im internationalen Sekretariat der Organisation in Paris für die Länder der Europäischen Union und des Balkan zuständig.
Das Gespräch führte Peter Hille.