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Banjul ist nicht Bielefeld

Klaus Esterluss6. Februar 2012

Manuel Özcerkes hat in Gambia einen ganz anderen Wert von Geld kennen gelernt.

Kinder in Gambia stauen über die Kamera (Foto: DW/Manuel Özcerkes)
Bild: Manuel Özcerkes

Der Abschluss der Reise endet mit einem Triumph. Der Sicherheitsbeamte am Flughafen in der gambischen Hauptstadt Banjul zeigt auf meine Hand. „What is that?“, fragt er. Ich war gerade durch den Sicherheitscheck gegangen und dabei, mein Geld, Euro-Münzen, in meine Hosentasche verschwinden zu lassen. „Money“, sage ich und stecke es weg. „Give me the money!“ „No, that´s mine“, sagte ich und grinse. Er zuckt mit den Schultern, grinst zurück und lässt mich passieren, in den Wartebereich für meinen Flug nach Europa. Dort gebe ich das Hartgeld aus für zwei Tüten Erdnüsse.

Es geht fast immer ums Geld

Den hartnäckigen Bitten nach „money“ zu widerstehen ist nicht einfach in dem Land. In der Hauptstadt dreht sich eigentlich alles darum. Fünf Tage vorher: Ich sitze mit dem deutschen Kameramann, mit dem ich unterwegs bin, in einem der drei Restaurants, die wir in Banjul gefunden haben. Hier treffen wir auf eine Gruppe Gambier, die zu unserer Verwunderung deutsch mit uns sprechen. Sie kennen Deutschland, als Asylbewerber, mussten das Land verlassen; zurück in ihre Heimat Gambia. Warum sie alle ausgerechnet in Bielefeld gewohnt haben, keine Ahnung. Mein Freund sagte vor der Abreise noch zu mir: „Pass auf dich auf, Banjul ist nicht Bielefeld“.

Straßenszene in Banjul, der Hauptstadt von GambiaBild: Manuel Özcerkes

Aber immerhin kennen hier alle die deutsche Stadt. Einer der drei Gambier bietet uns alles Mögliche an: Frauen, Haschisch, einen Rundgang durch die Stadt. „No, thanks“, sagen wir. Die Männer schauen uns traurig an. Aber auch das zieht nicht. Ich beschließe, alleine durch die Stadt zu laufen. Meine Freunde aus Bielefeld bleiben hartnäckig, kommen mit. Im Gehen halten sie mir geschnitzte Holzfiguren unter die Nase, Trommeln, übel riechendes Palmöl. Ich ignoriere das. Sie ignorieren mein Ignorieren. Was bleibt mir übrig. Ich verteile Geld und verschwinde ins Hotel. Von der Stadt habe ich nichts gesehen.

Mein Kameramann hatte bei seinem Spaziergang wenigstens ein Kinderheim zu Gesicht bekommen. Seine Begleiter hatten ihn dort hingeführt und zu einer „Spende“ aufgefordert. „Money“, und zwar alles, was in seiner Hosentasche steckt. Geld beschaffen, eine sehr beliebte Beschäftigung bei den Männern in Banjul. Oft mussten wir blechen. Wofür? Wir wissen es nicht.

In Gambia sind Frauen für die Arbeit auf dem Feld zuständig, die Männer sitzen im Dorf und diskutieren.Bild: Manuel Özcerkes

Hilfe im Landesinneren

Nach wenigen Tagen in dieser Stadt sitzen wir in einem Geländewagen auf der Sandpiste ins Landesinnere. Wir haben das Land halb durchquert und halten an einem Baum. Eine Großfamilie sitzt darunter im Schatten. Ob wir helfen können, werden wir gefragt. Das Familienoberhaupt liegt in einer der Hütten, fast im Delirium. „Was ist mit ihm?“, frage ich. „Bluthochdruck“, sagt eine seiner vier Frauen und schaut verunsichert. Sie weiß wohl, dass das etwas anderes ist: chronische Malaria. Wir fahren ihn in das nächste Krankenhaus. Zehn Minuten später kommen wir an. Die Behandlung kostet umgerechnet sieben Euro. Unbezahlbar für die Familie, wie auch eine Fahrt mit dem Buschtaxi unbezahlbar gewesen wäre und ein Mosquito-Netz, das einfachste und effektivste Mittel, sich gegen die Infektionskrankheit zu schützen. Mosquitos übertragen den Malaria-Erreger. Ein Stich genügt. Für den Mann ging es um Leben oder Tod, ohne Behandlung hätte er möglicherweise nicht lange überlebt. Wir zahlen die Behandlung. Sieben Euro retten hier Leben, bei uns bekommt man dafür einen Teller Tomatensuppe mit Sahnehaube.

Jeder hat seine Aufgabe

Drei von zehn Kindern einer Familie. Wegen der schlechten Trinkwasserversorgung ist immer jemand krank.Bild: Manuel Özcerkes

Die Familie hat kein Geld, weil niemand arbeitet. Es gibt keine Unternehmen, keine Fabrik, keinen Laden weit und breit. Die Menschen hier leben von dem, was die Felder und die Brunnen hergeben. Oft genügt das nicht, um satt zu werden oder den Durst zu stillen. Wir fahren weiter. Im nächsten Dorf besuchen wir ein Brunnenbauprojekt, über das wir einen Film drehen. Es ist ein größeres Dorf. Es bekommt einen solarbetriebenen Trinkwasserbrunnen. Das Geld dafür kommt von der Europäischen Union. Die Frauen arbeiten auf dem Reisfeld, die Männer unterhalten sich und sitzen im Schatten. Hier hat jeder seine Aufgabe. Es gibt sogar einige Komikerinnen, die die Leute zum Lachen bringen sollen. Der Überschuss an Frauen liegt nicht nur daran, dass jeder Mann hier vier Frauen heiraten kann. Viele Männer, vor allem die jungen, haben das Dorf verlassen. Wohin? Nach Banjul, das große Geld machen. Mit den Weißen. „Mit mir also“, sage ich zu der Frau, die mir das erzählt. „Ja“, lacht sie. „Du hast unsere Brüder und Männer wohl auch schon kennen gelernt.“ Kann man wohl sagen. Und wenn ich mich so umschaue, die Leute können das wohl gut gebrauchen. „Naja, die paar Euro.“ „Ganz ehrlich: Gib denen kein Geld.“ „Warum“, frage ich. „Die sollen zurück kommen und lernen, zu arbeiten.“

Zurück in Deutschland. Hin und wieder bekomme ich E-Mails und Anrufe aus Banjul. Ich hatte eine Hand voll Visitenkarten verteilt, die wohl herum gereicht wurden. Einer fragte, ob ich ihm mal eine Ansichtskarte aus Bielefeld schreiben kann. Nächste Woche werde ich auf der Durchreise nach Westdeutschland wohl tatsächlich mit der Bahn dort durchfahren. Ich werde vermutlich in Bielefeld aussteigen und Ansichtskarten kaufen.

Autor: Manuel Özcerkes
Redaktion: Ranty Islam