Als US-Soldat war Georg Stefan Troller bei der Befreiung des KZ-Dachau dabei. Später machte er als Reporter Karriere. Nun ist der Journalist und Dokumentarfilmer im Alter von 103 Jahren gestorben.
Jahrhundertmensch: Im Jahr 2006 stellte der österreichische Journalist und Dokumentarfilmer in Berlin sein Buch "Ihr Unvergeßlichen" vorBild: Miguel Villagran/dpa/picture alliance
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Erstaunlich aufrecht, nur leicht gebeugt, betrat Georg Stefan Troller im Februar 2020 das Kölner Literaturhaus. Rosagestreiftes Hemd, farbenfrohes Sakko, die Frisur leicht verwegen.
Der 98-Jährige war an diesem Abend, kurz vor dem Corona-Lockdown, zur Lesung gekommen: Biografisches, Anekdoten aus seiner Zeit in Paris, historische Begebenheiten, die er 1945 als jüdischer Emigrant und US-Soldat im zerstörten Deutschland erlebt hat. Das beschäftigte ihn sein Leben lang. Als er zu lesen begann, mit leichtem Wiener Akzent, war es mucksmäuschenstill im Raum.
Trollers Kindheit im jüdischen Wien
Geboren wurde Georg Stefan Troller am 10. Dezember 1921 in Wien, als Sohn einer Pelzhändler-Familie. Er hatte es nicht leicht als jüdischer Junge, er wurde auf der Straße gehänselt und von Schulkameraden verspottet.
Jahrhundertmensch: Georg Stefan Troller
Er hat Geschichte mitgeschrieben: "Österreicher jüdischer Herkunft, den Nazis knapp entronnen, lebe als Amerikaner in Paris" lautet Trollers Selbstbeschreibung.
Bild: Heike Mund/DW
Buchautor und Fotograf
Bis ins hohe Alter geht Georg Stefan Troller noch auf Lesereise - wenn man ihn einlädt. Hier war er im Februar 2020 im Kölner Literaturhaus. Mit Wiener Humor, großer Weisheit und feiner Selbstironie erzählt er dann aus seinem Leben und von seinem Werk. Kurz vor seinem 100. Geburtstag trat er in Wien auf. Bewundernswert.
Bild: Heike Mund/DW
Ankunft im fernen Amerika
Für den jüdischen Emigranten Georg Stefan Troller sind die USA das gelobte Land - und die Rettung vor der Deportation. Nur mit viel Glück hat er in Marseille ein Visum ergattert. Bei der Ankunft in New York ein erster Schock: Im Formular der Einreise-Behörden muss er die Kategorie "Rasse" mit "Hebrew" ausfüllen. Auch in Amerika gibt es offenbar Antisemitismus.
Bild: Everett Collection/Imago Images
Pariser Lebensgefühl
Nach seinem Master an der University of California kann er Anfang der 1950er-Jahre Dank eines Fulbright-Stipendiums an der Sorbonne in Paris weiter studieren. Das Lebensgefühl der Franzosen fasziniert den jungen Österreicher, der durch die Emigrarion heimatlos geworden ist. Er bleibt. Und wird Rundfunkreporter und macht später beim Fernsehen Karriere. (Foto 1960)
...hat es ihm besondern angetan. Er flaniert für sein Leben gern durch die Straßen der französischen Hauptstadt, schaut in Hinterhöfe, sitzt stundenlang in Cafés und lässt es sich in den Bars und Restaurants der Pariser Vergnügungsviertel gut gehen. Damals fotografiert er mit einer Leica, die er als US-Soldat in Nachkriegsdeutschland hat mitgehen lassen.
Bild: Paul Almasy/Akg-images/picture alliance
Ausgezeichnet: Seine Pariser Interviews
Von 1962 - 1971 schreibt der Troller mit seinem "Pariser Journal" Fernsehgeschichte. Dafür bekommt er 1973 den Grimme-Preis (hier mit Loriot). Er filmt die französische Hauptstadt so, wie man sie in Deutschland nicht kennt. Ohne Visum konnte man damals nicht nach Paris reisen. Er zeigt den Zuschauern nicht nur die touristischen Sehenswürdigkeiten, sondern das Alltagsleben der Pariser.
Bild: Wilhlem Leuschner/dpa/picture-alliance
Radikal gegen Rassimus
Nicht nur durch seine Fernsehinterviews mit Stars und Prominenten - von Picasso bis Woody Allen - machte sich Troller einen Namen. Er schrieb auch Bücher, verfasste literarische Essays und mischte sich in Frankreich politisch ein - gegen Marine Le Pen und die rassistische Politik des Front National. Das sei er sich als emigrierter Jude schuldig, sagte er auf der Buchmesse Leipzig (Foto 2009)
Bild: Jan Woitas/dpa/picture-alliance
Der Fragende wird zum Befragten
Im Jahr 2021 feierte der abendfüllende Dokumentarfilm "Auslegung der Wirklichkeit: Georg Stefan Troller" der österreichischen Regisseurin Ruth Rieser Premiere. Darin wird Troller vom Interviewer zum Interviewten. Bei der österreichischen Kinopremiere trat der damals noch 99-Jährige für eine Lesung im Metro Kinokulturhaus in Wien auf - sein neuestes Buch heißt "Meine ersten 100 Jahre".
Bild: Georg Hochmuth/APA/picture alliance
Platz auf dem Boulevard der Stars
Mit seinen 100 Jahren ist Georg Stefan Troller in jeder Hinsicht eine Legende. Fast ein Jahrhundert hat er miterlebt, konnte vor den Nazis in die USA flüchten, und machte in den 1960/70er-Jahren als Reporter für das deutsche Fernsehen mit seinen legendären Prominenten-Interviews Karriere. In Berlin auf dem Boulevard der Stars steht sein Stern in guter Nachbarschaft.
"Mit so was musste man leben. Und unter den Nazis wurde das noch härter", berichtete er. Bildung war die Antwort. Sein Vater rang ihm die Lektüre sämtlicher Klassiker ab.
Mit 16 lieh er sich eine alte Schreibmaschine und haute eigene Gedichte und Gedanken in die Tasten: "Georg Stefan Trollers Gesammelte Werke" stand auf dem Deckblatt.
Wenig später begann seine Emigranten-Odyssee. 1938 konnte er aus dem okkupierten Wien vor den Nazis fliehen: "Nachts mit einem Schmuggler über die Grenze, und von da an alles nur noch illegal, ohne Papiere."
Die damalige Tschechoslowakei und Frankreich waren die Stationen. In Marseille konnte er sich mit viel Glück ein Visum in die USA besorgen. 1941 kam Georg Stefan Troller im gelobten Amerika an.
Rückkehr nach Europa als US-Soldat
1943 wurde er von der US-Armee zum Kriegsdienst eingezogen. Beim Vormarsch der alliierten Truppen durch das besetzte Frankreich und Nazi-Deutschland leistete er den Amerikanern mit seinen Deutschkenntnissen wertvolle Dienste. Er kannte die Mentalität der Mitläufer und Nazi-Täter und wurde deshalb bei der Vernehmung von deutschen Kriegsgefangenen eingesetzt.
Zeitzeuge: 2014 berichtet Georg Stefan Troller aus seinem langen und dramatischen Leben an der Pestalozzi Realschule in Bochum und stellt sich den Fragen der Schülerinnen und SchülerBild: Andreas Keuchel/picture alliance
Als emigriertem Wiener Juden konnte ihm keiner was vormachen. "Das Wort Befreiung habe ich nie gehört damals", berichtete Troller in vielen Interviews.
"So was wie Freiheit und Demokratie, das war ja überhaupt nicht im Gedankenschatz der Deutschen vorgesehen. Unser Kriegsmaterial haben sie alle bewundert, die Jeeps, die Walkie-Talkies. Kein Wunder, dass ihr den Krieg gewonnen habt, mit dem Material, bekam ich zu hören", erzählt er 2005 in einem TV-Interview mit dem Westdeutschen Rundfunk.
Am 1. Mai 1945 fuhr US-Soldat Troller mit dem Jeep in das von US-Truppen befreite Konzentrationslager Dachau. Er sollte dort gefangene SS-Leute verhören. Nur mit dem distanzierten Blick durch die Kamera konnte er den grauenhaften Anblick der vielen verhungerten, ermordeten Häftlinge ertragen - eine erschütternde Erfahrung für ihn.
1945: US-Truppen erreichen das KZ Dachau
Als die Soldaten der US-Armee das Tor des KZ Dachau erreichten, ahnten sie nicht, was sich dahinter verbarg: über 30.000 Häftlinge, viele waren tot und vorher verhungert. Aber auch ein Häftlingskomitee erwartete sie.
Bild: imago stock&people
Die Ankunft der US-Armee
Der 29. April 1945 war ein Sonntag. Am frühen Morgen gab Colonel Sparks dem 3. Bataillon seines Infanterie-Regiments den Marschbefehl. Die US-Truppen kamen von Westen, auf dem Vormarsch Richtung München. Genau wussten sie nicht, wo dieses Konzentrationslager lag, das die Nazis schon 1933 eingerichtet hatten. Ohne Vorwarnung trafen die US-Soldaten ein Horrorszenario hinter den Toren an.
Bild: imago stock&people
Grauenhafte Zustände
Noch Tage, bevor große Teile der SS-Wachmannschaften das Lager fluchtartig verlassen hatten, war ein verschlossener Eisenbahnzug mit KZ-Häftlingen aus dem Osten in Dachau eingetroffen. Niemand kümmerte sich um die völlig entkräfteten Menschen. Die meisten verdursteten, erstickten, viele wurden von den SS-Leuten kaltblütig liquidiert. 2300 Tote fanden die schockierten US-Soldaten in den Wagen vor.
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Unter der Kontrolle der US-Armee
Nach wenigen Stunden übernahmen die US-Soldaten die Befehlsgewalt im Lager. Nur vereinzelt hatte es Schusswechsel mit den Wachmannschaften gegeben. Bei der Befreiung der Häftlinge kam es zu tragischen Zwischenfällen: Einzelne versuchten, den Stacheldraht zu überklettern, der unter Strom stand, und starben. Aber knapp 32.000 Häftlinge waren noch am Leben und mussten notdürftig versorgt werden.
Bild: picture-alliance/dpa
Häftlinge nach der Befreiung
Die hygienischen Zustände im Lager Dachau waren katastrophal. Viele Häftlinge waren mit Typhus und Krätze infiziert. Ihre gestreifte KZ-Kleidung, die zum Synonym für das Elend in den Lagern der Nazis werden sollte, hing ihnen oft nur in Fetzen am Leib. Schuhe hatten die wenigsten. Der Häftling hier, Jean Voste aus Belgisch-Kongo, trug bei der Befreiung noch seine Uniformjacke und Stiefel.
Bild: picture-alliance/dpa/akg-images
Marsch in den Tod
Am 14. April 1945 hatte Reichsführer SS, Heinrich Himmler (hier bei einer Besichtigung beim Bau des "Musterlagers" Dachau), die sofortige "Totalevakuierung" des Konzentrationslagers befohlen. Die SS-Lagerverwaltung zwang mit Waffengewalt ca. 7000 KZ-Häftlinge, zu Fuß - ohne ausreichendes Schuhwerk - auf einen "Todesmarsch" nach Süden. Die meisten überlebten diese Tortur nicht.
Bild: Imago/ITAR-TASS
Symbol des Zynismus
Das Tor des Haupteingangs zum Konzentrationslager Dachau trug die Inschrift "Arbeit macht frei". Diese zynische Nazi-Parole wurde später in fast allen nationalsozialistischen Konzentrationslagern verwendet. Das KZ-Motto war eine Erfindung von Theodor Eicke, des ersten SS-Lagerleiters von Dachau. Seine "Dachauer Schule" durchliefen auch die Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höss und Richard Baer.
Bild: imago
Kurz vor der Befreiung
Als das Gerücht im Lager Dachau die Runde machte, dass die US-Kampftruppen kurz vor die bayerische Stadt Dachau vorgerückt seien, hatten sich einige KZ-Häftlinge in konspirativen Treffen zu einer Widerstands-Gruppe zusammengefunden. Das Chaos in dem überfüllten Lager nutzen sie, um die Befehle der letzten verbliebenen SS-Wachmannschaften zu den "Todesmärschen" gezielt zu sabotieren.
Nachdem die US-Armee im April 1945 die Verwaltung des befreiten Konzentrationslagers übernommen hatte, nutzten Armee-Fotografen den Jubel der KZ-Häftlinge für gestellte Propagandafotos. In Windeseile gingen sie um die Welt. Jubelnde Menschen, oft Kinder und Jugendliche, waren nicht nur in Dachau in der Minderzahl. Die meisten Überlebenden konnte sich kaum auf den Beinen halten.
Bild: Keystone/Getty Images
Gedenken in den USA
Nach dem Zweiten Weltkrieg trafen sich ehemalige US-Soldaten, die bei der Befreiung des Konzentrationslagers 1945 dabei waren, später mit ehemaligen Häftlingen - eine persönliche Geste. Donald Greenbaum (re), damals in der US-Army und Befreier von Dachau, traf 2015 den früheren Dachau-Häftling Ernest Gross an dem Denkmal im Liberty State Park/New Jersey. Für beide ein bewegender Moment.
Bild: picture-alliance/dpa/Ch. Melzer
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Anfänge als Reporter
Troller begann als Reporter zu arbeiten, zunächst bei Radio München, dann bei der Neuen Zeitung. Aber in München hielt ihn nichts, er wollte zurück nach Wien, seine Heimatstadt.
"Ich bin damals alle Straßen abmarschiert, die ich kannte, tagelang, nächtelang, um mein Heimweh zu stillen. Aber schließlich fand ich für mich diesen Satz: Eine Heimat kann man sowenig wieder finden wie eine Kindheit."
Troller ging zurück in die USA, studierte Theaterwissenschaften - und landete dank eines Stipendiums 1950 in Paris. Die Universität Sorbonne, die quicklebendige Stadt an der Seine, der Esprit der französischen Frauen - all das war eine neue Welt für ihn.
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Legendäre Interviews mit Pariser Prominenten
Er entwickelte sich zum Flaneur, zum feinsinnigen Beobachter der Lebenskunst der Franzosen. "Paris hat mir die Augen geöffnet und unendlich viel beigebracht. Es war ein Großstadtleben gegenüber der kleinstädtischen Beschränktheit, die man in Deutschland überall fand", erzählte er in seinen Lebenserinnerungen ("Selbstbeschreibungen", 2009).
Heimat Paris: "Paris hat mir die Augen geöffnet", schrieb Troller 2009 in seinem Buch "Selbstbeschreibungen. In den 60er Jahren arbeitete er dort lange als KulturkorrespondentBild: picture-alliance / akg-images
In Paris fand Georg Stefan Troller Anfang der 1960er-Jahre auch seine Berufung als Fernseh-Reporter. Für den Westdeutschen Rundfunk in Köln produzierte er dort neun Jahre lang als Kulturkorrespondent die Sendung Pariser Journal, einfühlsame Milieustudien und Porträts von Menschen, die ein Paris zeigen, das man in Deutschland bis dato nicht kannte.
1971 warb ihn das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) ab. Mit dem Interview-Format Personenbeschreibung schrieb er Fernsehgeschichte - stilbildend, frech und mit unkonventionellen Fragen. Stars wie Marlon Brando, Brigitte Bardot, Alain Delon, Woody Allen, Kirk Douglas, Romy Schneider oder Box-Legende Mohammed Ali standen ihm Rede und Antwort.
Journalismus als Therapie
"Journalist zu sein, war für mich ein Mittel der Selbstheilung und Lebensrettung", erinnerte sich Troller. Er führte nicht nur Interviews, sondern drehte auch Fernsehfilme und Dokumentationen, schrieb Bücher und Essays für Zeitschriften.
Auch die Fotografie reizte ihn. Er nahm zeitlebens aufmerksam auf, was ihn umgab, beobachtete, hinterfragte, teilte seine Erlebnisse, Geschichten und Interviews mit einem großen Publikum.
Nun ist der Jahrhundertzeuge, der bis ins hohe Alter geschrieben, erzählt und berichtet hat, in Paris gestorben. Er wurde 103 Jahre alt.