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Politik

re:publica: POP und Populismus

Konstantin Klein
2. Mai 2018

POP – das ist das Thema der diesjährigen re:publica, der Berliner Konferenz für Politik und Zukunft. Wer aber an Popmusik denkt, liegt schief: POP steht auch für Populismus.

Berlin POP - das Thema der re:publica 18
Bild: DW/K. Klein

Kenner der re:publica wissen: Die jährliche Konferenz, die jetzt zum 12. Mal in Berlin stattfindet, beschäftigt sich mit der Zukunft in Technologie und Gesellschaft. Umso seltsamer, dass sie bei der Themenauswahl immer von der Vergangenheit eingeholt wird: Die letzten re:publicas waren die "nach Snowden", beeinflusst von Spionage, Datenverlust und Datenschutz. Die aktuelle re:publica ist die "nach Cambridge Analytica", beeinflusst von bewusster politischer Manipulation und unbewusster Selbstbeeinflussung im Netz und in der Gesellschaft.

Unbewusste Selbstbeeinflussung? danah boyd, Chefin der Firma Data & Society, Forscherin bei Microsoft und Gastprofessorin an der New York University, die darauf besteht, dass ihr Name in Kleinbuchstaben geschrieben wird, gibt gleich in der ersten Stunde die Richtung vor: Wir werden von Algorithmen manipuliert. Gleichzeitig manipulieren wir - wissentlich oder im Unterbewusstsein - wiederum die Algorithmen, die uns und andere manipulieren. Klingt kompliziert? Ist es auch, weshalb boyd eine ganze Stunde für ihre Keynote benötigt.

Ein Amoklauf, und was im Netz draus wurde

Ein Beispiel: Bei einem Amoklauf im texanischen Städtchen Sutherland Springs kamen 26 Menschen in einer Kirche ums Leben. Der Schütze, der sich später selbst erschoss, war ein weißer Mann. Rechtsradikale Kreise wollten von dem Verdacht ablenken, der Schütze sei einer der ihren gewesen und eröffneten hunderte Twitter-Accounts von angeblichen linken "Antifa"-Aktivisten, die mehr oder weniger direkt den Amoklauf begrüßten. Das wurde von rechtsextremen Medien in den USA aufgegriffen - und von dem angesehen Nachrichtenmagazin Newsweek, das titelte: "Schießerei in Sutherland Springs mit Antifa verbunden, behaupten rechte Nachrichtenseiten". Bei Google-Suchen tauchten dann aber nur noch die ersten sechs Wörter der Schlagzeile auf: "Schießerei in Sutherland Springs mit Antifa verbunden" - und als Quelle das angesehene Nachrichtenmagazin, was die angeblichen Antifa-Aktivisten sofort im Netz ausnutzten.

Große Trauer nach dem Amoklauf in Sutherland Springs nach dem Amoklauf im November 2017Bild: picture-alliance/dpa/N.Wagner

Dazu kommt aber auch, so boyd, die Manipulation durch das eigene Verhalten im Netz. Suchmaschinen wie Google versuchen, die Suchergebnisse zu liefern, die der jeweilige Nutzer erwartet. Und weil es im Netz oft darum geht, etwas zu verkaufen, werden die Suchergebnisse so manipuliert, dass sie dem Suchenden gefallen. Wer in der Vergangenheit vor allem rechtsextreme Inhalte gesucht hat, wird sie auch in Zukunft verstärkt angeboten bekommen. Das Ergebnis: Der Nutzer wird immer mehr in seiner eigenen Meinung bestärkt, andere Meinungen kommen in seiner Welt immer seltener vor. Das Phänomen heißt "Filterblase", kommt bei der Google-Suche genauso vor wie bei der Nutzung von Social Media, ist aber - zumindest was die Selbstbeeinflussung angeht - viel älter. Schon seit Jahrzehnten kennen und beschreiben Publizistikwissenschaftler das Phänomen der "kognitiven Dissonanz", das bewirkt, dass wir Medieninhalte ausblenden, die uns unangenehm sind.

Das Gespenst des Populismus geht in der westlichen Welt um - aber wenn wir danah boyd glauben, sind nicht nur geheime Mächte daran schuld, nicht nur undurchsichtige Konzerne, sondern auch wir selbst in der Art, wie wir uns informieren.

POP steht für POPulismus - und Popkultur

POP ist die Überschrift über die 2018er Ausgabe der re:publica - und natürlich kommt sie auch nicht ohne Pop-Kultur und ihre Persönlichkeiten aus. Für re:publicaner gehört dazu in jedem Fall Chelsea Manning, die nach danah boyds Eröffnungsrede in einem Eröffnungs-Kamingespräch vor das Publikum tritt.

Promi auf der re:publica: Chelsea ManningBild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

Manning gilt den Konservativen in ihrer Heimat USA als Verräterin, die hinter Gitter oder gleich an den Galgen gehört. Für die weniger Konservativen in den USA ist sie eine Whistleblowerin, seit sie, damals als (männlicher) US-Soldat Bradley Manning im Irak eingesetzt, aufdeckte, wie aus amerikanischen Kampfhubschraubern in Bagdad irakische Zivilisten und Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters beschossen und getötet wurden. Dafür wurde sie in der Regierungszeit Barack Obamas zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt - und von Obama in einer seiner letzten Amtshandlungen nach sieben Jahren begnadigt.

Vor einem andächtigen Publikum erzählt Manning, wie sie mit ihrem Leben nach dem Prozess, Gefängnis und Freilassung klar kommt - und wie sie, einstmals einfacher Mannschaftsdienstgrad mit dem Motiv, Unrecht bekannt zu machen, zur re:publica gekommen ist. Auch spricht sie davon, dass Netznutzer die Algorithmen, die ihnen das Netz filtern, mit jeder Interaktion nur noch bestärken - und sie glaubt zu beobachten, dass der Trend hin zu autoritären Gesellschaftsformen dadurch verstärkt und beschleunigt wird. "We have to make it stop" - wir müssen diese Entwicklung aufhalten, sagt Chelsea Manning, und das re:Publikum liebt sie dafür.

POP geht auch bunter

Was ist aus den bunten, optimistischen re:publicas der ersten Jahre geworden? Eine erwachsene Konferenz, die auch in diesem Jahr nicht nur Probleme beschreibt, sondern auch Lösungen sucht. Und während bisherige re:publicas immer mit einem Karaoke-Auftritt aller endete, folgt dieses Jahr zum ersten Mal am Samstag ein Netzfest - ein Volksfest im Park am Gleisdreieck: Netzpolitik für alle.