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KonflikteArmenien

Republik Berg-Karabach will sich selber auflösen

28. September 2023

Die von ethnischen Armeniern bewohnte Region Berg-Karabach hört am 1. Januar 2024 auf zu existieren. Der Regierungschef der selbsternannten Republik, Samwel Schachramanjan, unterschrieb ein entsprechendes Dekret.

Flucht aus Bergkarabach
Dieser Lastwagen bringt ethnische Armenier aus Berg-Karabach nach Goris in ArmenienBild: Gaiane Yenokian/AP Photo/picture alliance

Nach der Niederlage der pro-armenischen Kräfte gegen Aserbaidschan haben die Behörden in Berg-Karabach die Auflösung der selbsternannten Republik Arzach verkündet. In einem Dekret ordnete die Führung der örtlichen Behörden an, zum 1. Januar 2024 "alle staatlichen Institutionen und Organisationen" in der Kaukasusregion aufzulösen. Die Republik Arzach und ihre Institutionen würden damit "aufhören zu existieren".

Nach Berichten armenischer Medien unterzeichnete Regierungschef Samwel Schachramanjan das entsprechende Dokument. Demnach wurde die Entscheidung wegen der schweren politischen und militärischen Lage getroffen. Sie ziele darauf ab, die Sicherheit und das Leben der Bevölkerung in Berg-Karabach zu schützen. Die Auflösung war Teil der Kapitulationsbedingungen. Nach der Auflösung der Republik Berg-Karabach müsse sich die Bevölkerung mit den aserbaidschanischen Gesetzen zur Eingliederung der Region vertraut machen, um dann selbst zu entscheiden, ob sie nach Berg-Karabach zurückkehren wolle, hieß es in dem Erlass Schachramanjans.

Der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan in einer KabinettsitzungBild: Tigran Mehrabyan/PAN Photo/AP/dpa/picture alliance

Nach der Mitteilung über die Selbstauflösung kritisierte Armenien Aserbaidschan und die internationale Gemeinschaft. Der Exodus der Armenier aus Bergkarabach halte an, sagte Ministerpräsident Nikol Paschinjan in einer Kabinettssitzung. "Unsere Analyse zeigt, dass es in den nächsten Tagen keine Armenier mehr in Berg-Karabach geben wird." Er fügte hinzu: "Dies ist ein Akt der ethnischen Säuberung, vor dem wir die internationale Gemeinschaft gewarnt haben." Wenn auf die Verurteilung durch die internationale Gemeinschaft keine angemessenen politischen und rechtlichen Entscheidungen folgen würden, "werden diese Verurteilungen zu Akten der Zustimmung zu den Geschehnissen".

Das aserbaidschanische Außenministerium wies die Vorwürfe in einer Mitteilung zurück. "Paschinjan weiß genau, dass die derzeitige Ausreise von Armeniern aus Aserbaidschans Region Berg-Karabach auf deren persönlicher und individueller Entscheidung beruht und nichts mit erzwungener Umsiedlung zu tun hat." Der armenische Ministerpräsident versuche mit diesem "besorgniserregenden Narrativ", die aserbaidschanischen Bemühungen für humanitäre Hilfen und die Wiedereingliederung zu stören, erklärte das Ministerium in Baku.

Erfolgreicher Überraschungsangriff

Die inmitten von Aserbaidschan gelegene Region Berg-Karabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, wurde aber bislang überwiegend von ethnischen Armeniern bewohnt. Diese hatten die Region mit Hilfe der armenischen Regierung drei Jahrzehnte lang weitgehend kontrolliert. Am 19. September startete Aserbaidschan eine großangelegte Militäroffensive gegen die Region. Bereits einen Tag später mussten sich die pro-armenischen Kämpfer der international nicht anerkannten Republik geschlagen geben.

Die Region ist seit Jahrzehnten zwischen den Ex-Sowjetrepubliken Aserbaidschan und Armenien umstritten. In den 1990er Jahren konnte sich Berg-Karabach mit Unterstützung Eriwans in einem blutigen Bürgerkrieg von Baku loslösen. Die Revanche gelang dem mit Öl- und Gaseinnahmen hochgerüsteten und autoritär geführten Aserbaidschan 2020, als es große Teile Berg-Karabachs zurückeroberte. Der anschließend geschlossene und eigentlich von russischen Truppen zu überwachende Waffenstillstand erwies sich als brüchig.

Zehntausende auf der Flucht

Nach dem militärischen Sieg der Aserbaidschaner hat eine Massenflucht der Armenier eingesetzt, die Gewalt und Verfolgung durch die Sieger befürchten. Inzwischen sind mehr als 70.000 Menschen und damit über die Hälfte der Bevölkerung Berg-Karabachs ins Mutterland Armenien geflohen. Das teilte die Regierung in Eriwan am Donnerstag mit. Weitere Menschen aus Berg-Karabach sind auf dem Weg. Experten erwarten, dass praktisch alle in Berg-Karabach lebenden Armenier die Region verlassen. Für Armenien ist der Zustrom eine große Herausforderung. In dem Land selbst leben nur 2,8 Millionen Menschen.

DW-Korrespondentin Maria Katamadze in Goris, ArmenienBild: Sergey Kaspri

Ein wichtiger Zufluchtsort ist die Stadt Goris, westlichi von Berg-Karabach im südlichen Armenien gelegen. Nach Angaben von DW-Korrespondentin Maria Katamadze sind Tausende in die Stadt gekommen. Eine Frau sagte ihr: "Wir waren drei Tage unterwegs, es waren schlechte Straßenverhältnisse. Es fiel uns sehr schwer, unsere Stadt und unser Zuhause zu verlassen." Freiwilligen zufolge ist die lokale Verwaltung überfordert angesichts der vielen Neuankömmlinge. Eine Helferin sagte der DW: "Die örtliche Bevölkerung tut was sie kann. Sie geben Unterschlupf, Essen... Unsere Stadt schafft das!"

Satellitenbilder zeigen lange Autostaus entlang des Latschin-Korridors, der die einzige Verbindung aus der abgelegenen Gebirgsregion nach Armenien ist. Das aserbaidschanische Militär, das den Korridor monatelang blockiert und somit eine Eskalation der humanitären Lage in Berg-Karabach provoziert hatte, hat die Trasse für die Ausreise der Armenier geöffnet. Allerdings unter strenger Kontrolle.

Die Grenzpolizei Aserbaidschans hat Ruben Vardanjan festgenommen Bild: State Border Service of Azerbaijan/Handout/AFP

So haben die Behörden in Baku am Mittwoch am Grenzübergang den Ex-Regierungschef von Berg-Karabach, Ruben Wardanjan, festgenommen. In Aserbaidschan wird dem einst auch in Russland aktiven Geschäftsmann nun unter anderem Finanzierung von Terrorismus vorgeworfen, wie aserbaidschanische Medien melden.

kle/se/ehl (rtr, afp, dpa)

Berg-Karabach: Kein Vertrauen in Aserbaidschans Versprechen

02:54

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