Ein Jahrhundert der Zerrissenheit
27. März 2018”Wir sind ein Volk” und ”Nieder mit der Grenze am Pruth” - mehrere Zehntausend Menschen aus der Republik Moldau und aus Rumänien haben am letzten Sonntag in der moldauischen Hauptstadt Chisinau an die Vereinigung der beiden Länder vor hundert Jahren erinnert.
Am 27. März 1918 hatte der Landesrat der Moldauischen Demokratischen Republik (auch als Bessarabien bekannt) mit großer Mehrheit für den Zusammenschluss mit Rumänien gestimmt. Jetzt fordern immer mehr Unionisten in beiden Staaten die Wiedervereinigung.
Moldau? Grenze am Pruth? Für viele Europäer klingen diese Bezeichnungen an der Ostgrenze der EU immer noch exotisch. Dabei ist die wechselhafte Geschichte dieser Region schnell erzählt.
Die Moldau im Zeitraffer
Die heutige Republik Moldau entstand als unabhängiger Staat im Jahr 1991, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Die Landessprache ist Rumänisch. Der Fluss Pruth trennt die Republik Moldau von Rumänien. Die Region auf beiden Seiten des Flusses gehört historisch gesehen zum Fürstentum Moldau, das seit dem 15. Jahrhundert unter osmanischem und dann russischem Einfluss stand. 1812 trat das Osmanische Reich den östlichen Teil der Moldau (jenseits des Pruth) an Russland ab. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die beiden rumänischen Fürstentümer Moldau (westlich des Pruth) und Walachei unter einem einzigen Fürsten vereinigt und bildeten die Grundlage des Königreichs Rumänien.
Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch des Russischen Reichs schloss sich der östliche Teil durch den Beschluss des Landesrats von Chisinau dem "Mutterland" Rumänien an. 1940 besetzte die Sowjetunion infolge des Hitler-Stalin-Pakts den Teil östlich des Pruth und gründete die Moldauische Sowjetrepublik, die bis 1991 existierte.
Der Marsch am letzten Sonntag war der Höhepunkt einer Reihe von Veranstaltungen, die an das Ereignis von vor hundert Jahren erinnern sollen. Seit Anfang des Jahres haben Bürgermeister in über 130 moldauischen Ortschaften eine symbolische Erklärung zur Wiedervereinigung mit Rumänien unterzeichnet.
Die Moldau am Scheideweg
Die Gesellschaft in der Republik Moldau ist gespalten. Der pro-russische sozialistische Staatspräsident Igor Dodon ist ein erklärter Gegner der Vereinigung sowie des pro-europäischen Kurses, den die Regierung eingeschlagen hat. Mit Blick auf die Parlamentswahlen im Herbst 2018 drohte Dodon mehrmals, er wolle sich dafür einsetzen, dass das neue Parlament das Assoziierungsabkommen mit der EU, das seit 2014 besteht, aufkündigt.
Trotz des Abkommens mit der EU haben die Machthaber in Chisinau weder politische Stabilität noch den langersehnten Wohlstand herbeiführen können. Das Land kommt nur langsam aus dem Würgegriff von Armut und Korruption heraus. Jeder Vierte der rund 3,5 Millionen Moldauer arbeitet im Ausland.
Neben den mehrheitlich rumänischsprachigen Moldauern lebt eine bedeutende russischsprachige Minderheit überwiegend in der abtrünnigen Region Transnistrien und eine turksprachige Minderheit in der autonomen Region Gagausien. Diese Minderheiten sprechen sich für eine Annäherung an Russland aus.
In jüngsten Umfragen stimmten rund ein Viertel der Gesamtbevölkerung für eine Wiedervereinigung mit Rumänien. In Rumänien selbst sind es auch nicht viel mehr - rund 27%. Doch in beiden Ländern ist dieser Prozentsatz in den letzten Monaten gestiegen. Einer der stärksten Befürworter des Einigungsprozesses ist der ehemalige rumänische Präsident Traian Basescu. Er war der prominenteste Vertreter seines Landes bei der Gedenkveranstaltung auf dem Platz der Großen Nationalversammlung am Sonntag in Chisinau. "Beide Staaten können ihre Würde nur durch die Wiedervereinigung erlangen", rief er den Menschen zu. Der ehemalige Bürgermeister der moldauischen Hauptstadt, Dorin Chirtoaca, wagte einen Vergleich mit Deutschland: "So wie die Berliner die Mauer niedergerissen haben, müssen auch wir die Mauer am Pruth niederreißen."
Vereinigung als Chance
Für die Unionisten in der Republik Moldau ist die Vereinigung mit Rumänien die einzige Möglichkeit des Überlebens und des Fortschritts für die Menschen in ihrem Land. Doch offen dazu will sich kein amtierender Politiker äußern, weder in Bukarest noch in Chisinau. Eine Annäherung der beiden Länder durch einen EU-Beitritt der Moldau - so lautet die offizielle Lesart auf beiden Seiten des Pruth. Doch der liegt in weiter Ferne.
Und dennoch: am heutigen Gedenktag gibt es eine Feierstunde im rumänischen Parlament. Eine hochrangige Delegation aus Chisinau an der Spitze mit Parlamentspräsident Andrian Candu nimmt daran teil. In beiden Ländern sollen zeitgleich die Glocken aller Kirchen läuten.
Im Gegenzug hat der moldauische Präsident Dodon die Alarmglocken läuten lassen: "Ich habe die Regierung in Bukarest davor gewarnt. Durch diese Aktionen wächst das Risiko, dass die Rumänen der Feind Nummer Eins der Republik Moldau und der Moldauer werden." Was genau er damit meint, bleibt sein Geheimnis.