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Politik

Moldau: Heikle Reformen, russische Erpressungen

30. November 2021

Die proeuropäische Reformregierung der Republik Moldau hat in Rekordzeit Justizreformen umgesetzt und sieht sich mit der Gashahn-Politik Moskaus konfrontiert. Aus der Zivilgesellschaft kommt Kritik an manchen Reformen.

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Protest in der moldauischen Hauptstadt Chisinau im Februar 2019: Die große Korruption trägt zur Auswanderung beiBild: picture-alliance/dpa/V. Ghirda

Drei Jahrzehnte lang war die Republik Moldau ein Staat zwischen immer wieder gebrochenen Reformversprechen und ausufernder politischer Korruption. Stellvertretend dafür stand der so genannte "Milliardenraub" im November 2014. Unter einer nominell proeuropäischen Reformregierung stahl damals ein Netzwerk aus Politikern und Geschäftsleuten mit Hilfe korrupter Richter eine Dollar-Milliardensumme aus drei moldauischen Banken - Geld, das bis heute größtenteils verschwunden ist und für dessen Raub die Hauptverantwortlichen bisher nicht verurteilt wurden.

Doch nun hat die Republik Moldau, die einst sowjetisch besetzt war und im August 1991 ihre Unabhängigkeit wiedererlangte, in der Person von Maia Sandu seit einem Jahr erstmals eine echte Reformpräsidentin und seit gut drei Monaten erstmals eine echte Reformregierung, geführt von der Premierministerin Natalia Gavrilita. Die neuen Machthaber haben nicht nur durchgreifende Reformen  versprochen, sondern auch damit begonnen, sie umzusetzen.

Die moldauische Staatspräsidentin Maia SanduBild: Vladislav Culiomza/REUTERS

In Westeuropa dürften viele schon Schwierigkeiten haben, die Republik Moldau geographisch zu verorten. Doch das Reformprojekt in dem zwischen Rumänien und der Ukraine gelegenen Drei-Millionen-Einwohner-Land ist von großer europapolitischer Bedeutung. Denn die Republik Moldau, gelegen an der EU-Außengrenze, ist seit drei Jahrzehnten Schauplatz des eingefrorenen Konflikts mit der separatistischen Region Transnistrien, in der bis heute russisches Militär und ein riesiges Arsenal ehemaliger sowjetischer Waffen stationiert sind. Russland exerziert in der Moldau immer wieder seine Aggressionspolitik vor. Das Land ist zudem eine Drehscheibe für die Geldwäsche russischer Milliardensummen. Und: Kaum ein anderer europäischer Staat leidet so sehr unter dem Exodus seiner Menschen.

Wahlsieg einer proeuropäischen Partei

Kann ein grundlegendes Reformprojekt unter diesen Umständen gelingen? Diese Frage war in der vergangenen Woche Thema einer Konferenz der Südosteuropa-Gesellschaft (SOG) in Berlin. Sie brachte moldauische Regierungsvertreter, Mitarbeiter von Nicht-Regierungsorganisationen, Juristen und Wirtschaftsexperten zusammen. Die DW sprach mit einigen von ihnen über die ersten drei Monate der Reformpolitik im Land.

Anfang August trat die Regierung unter der Premierministerin Natalia Gavrilita, einer ausgebildeten Ökonomin und Verwaltungsexpertin, ihr Amt an. Vorausgegangen war dem im Vormonat der Wahlsieg der Partei Aktion und Solidarität (PAS), gegründet 2015 von der heutigen Staatschefin Sandu. Es war das erste Mal seit 1991, dass eine proeuropäische Reformpartei in der Republik Moldau bei einer Parlamentswahl eine absolute Mehrheit erringen konnte.

Vertrauen in die Justiz äußerst gering

Die Regierung Gavrilita und die PAS-Fraktion im Parlament legten vor allem bei Justizreformen ein Rekordtempo vor: Anfang September trat ein Gesetz in Kraft, das eine unabhängige Evaluierung der Arbeit des Generalstaatsanwalts und dessen Absetzung bei "ungenügender Leistung" ermöglicht. Kurz darauf verabschiedete das Parlament eine Reform bei der Ernennung von einfachen Richtern sowie bei Berufungen an den Obersten Gerichtshof (CSJ) und in den Obersten Rat des Gerichtswesens (CSM), das Selbstverwaltungsorgan der Justiz. Das Ziel: den politischen Einfluss auf Richter zu verringern. Außerdem wurden kürzlich neue Regelungen zur Eindämmung von Geldwäsche eingeführt.

Die moldauische Regierungschefin Natalia GavrilitaBild: gov.md

Der Staatssekretär im Justizministerium, Iulian Rusu, ist zufrieden mit dem bisherigen Stand der Justizreformen, sagt der DW jedoch, am wichtigsten Teil werde noch gearbeitet: eine systematische Überprüfung der Vermögens- und Lebensverhältnisse von rund 8.000 Richtern und Staatsanwälten sowie ihrer Familien. Bei Diskrepanzen zwischen offiziellem Einkommen und faktischem Vermögen müssen Betreffende das Justizwesen verlassen. "Das Vertrauen in die Justiz ist in unserem Land äußerst gering", sagt Rusu. "Das trägt zur Auswanderung der Bürger bei, schreckt Investoren ab und gefährdet letztlich die Existenz unseres Staates."

Regeln nur in besseren Zeiten?

Wenig erstaunlich, findet die Justizreform bei den ehemaligen Machthabern, darunter den bis Juli regierenden prorussischen Sozialisten, keine Zustimmung. Kritik kommt aber auch von unabhängigen Experten. "Anfangs hätte es einer besseren Vorbereitung und einer besseren Rücksprache mit der Zivilgesellschaft bedurft", formuliert Iulian Groza, der geschäftsführende Direktor des Instituts für Europäische Politik und Reformen (IPRI), vorsichtig. Expliziter drückt es der Politologe Dionis Cenusa aus, der unter anderem für den moldauischen Think Tank Expert Group arbeitet. Er bemängelt, dass bei den neuen Justizgesetzen keine Expertise der Venedig-Kommission des Europarats abgewartet wurde, was dem Reformprozess größere Legitimität verliehen hätte. "Man hat manchmal den Eindruck, die neuen Machthaber gehen nach dem Motto vor, Regeln seien etwas für bessere Zeiten", sagt Cenusa der DW.

Wegen Korruptionsverdacht in U-Haft: Ex-Generalsstaatsanwalt Alexandr StoianogloBild: Privesc.Eu Moldova/Wikimedia CC-BY 3.0

Cenusa nennt auch das Beispiel des Anfang Oktober verhafteten Generalstaatsanwalts Alexandr Stoianoglo. Er stand seit langem unter Verdacht, Korruptionsermittlungen zu behindern. Stoianoglos Rolle sei zwar fragwürdig, so Cenusa, "aber die Art und Weise, in der er blitzartig abgesetzt und angeklagt wurde, wirft viele Fragezeichen auf". Der Politologe fordert von den neuen Machthabern eine strikte Einhaltung rechtsstaatlicher Regeln.

Gashahn zugedreht

Mitten während der Reformaktionen an der innenpolitischen Front stolperte die Republik Moldau vor wenigen Wochen in eine schwere Gaskrise: Der russische Staatskonzern Gazprom kündigte an, nach dem turnusgemäßen Auslaufen des Gas-Liefervertrags Ende September Gas nur noch zum jeweiligen Weltmarktpreis in die Republik Moldau zu liefern und verlangte außerdem eine Altschuldentilgung. Bis Ende September zahlte die Republik Moldau rund 150 Dollar je tausend Kubikmeter, danach sollten rund 800 Dollar fällig sein. Ein Preis, den das völlig verarmte Land nicht in der Lage war zu zahlen.

Russland hat den Gashahn bereits des Öfteren zugedreht, wenn es in der Republik Moldau politisch nicht so lief wie vom Kreml gewünscht. Auch diesmal sind sich Beobachter einig, dass hinter der Gaskrise politische Motive stecken - denn die Republik Moldau hat die jahrelang eher kühlen Beziehungen zur Europäischen Union in den vergangenen Monaten stark intensiviert und lässt keinen Zweifel an ihrer Absicht einer europäischen Integration. Das gefällt Moskau offenbar nicht. Offen kritisiert wurde in Moskau, dass die moldauische Staatspräsidentin Maia Sandu die Annexion der Krim verurteilte.

Keine weitere Front in der Außenpolitik

Die moldauische Regierung handelte Ende Oktober eilig einen neuen Fünf-Jahres-Vertrag mit Gazprom aus und wird nun etwa 400 Dollar je tausend Kubikmeter Gas zahlen. Bemerkenswert dabei: Die Einigung geht einher mit einer deutlichen Entschärfung des bisher sehr selbstbewussten Tons der moldauischen Staatspräsidentin und der Regierung gegenüber dem Kreml. Niemand spricht mehr davon, dass die moldauisch-russischen Beziehungen "ausgeglichen" sein müssten, die Gesten moldauischer Regierungsmitglieder in Moskau wirken einlenkend bis unterwürfig.

Der ehemalige moldauische Botschafter in den USA, Igor MunteanuBild: Angela Gradinaru

Moldauische Experten kritisieren, dass die Gaskrise der Republik Moldau teilweise hausgemacht sei, da Präsidentin und Regierung es versäumt hätten, sich rechtzeitig vor dem Auslaufen des Liefervertrags mit Gazprom um Neuverhandlungen zu kümmern. "Man kann es unprofessionell, ignorant oder auch dumm nennen", sagt Igor Munteanu, ehemaliger moldauischer Botschafter in den USA und derzeit Dozent an der moldauischen Akademie für Wirtschaftsstudien. Für die aktuelle Zurückhaltung gegenüber Moskau äußert Munteanu allerdings Verständnis - die Regierung wolle wohl wegen der schwierigen innenpolitischen Reformagenda nicht noch eine weitere Front in der Außenpolitik eröffnen.

So hört es sich auch an, wenn man die moldauische Regierungschefin Natalia Gavrilita nach der Gaskrise fragt. In der vergangenen Woche stellte Gazprom der Republik Moldau erneut ein Ultimatum: Das Land solle seine Schulden für Gaslieferungen im Oktober und November bezahlen, ansonsten werde Gazprom seine Lieferungen stoppen. Die Regierung machte umgehend Geld für die Zahlung locker. Frage an Gavrilita: War es ein neues Erpressungsmanöver? "Ich überlasse es Experten, Bewertungen zu treffen, wir als Regierung sollten nicht von Erpressung sprechen", antwortet sie der DW. "Wir sollten Pragmatismus an den Tag legen und unsere pragmatische Politik in den Beziehungen mit Russland fortsetzen."