Republik Moldau: Nun müssen Regierung und EU ernst machen
8. Oktober 2025
Die moldauische Staatspräsidentin Maia Sandu lächelt sichtlich erleichtert, als sie am Tag nach der heiklen Parlamentswahl vom 28. September 2025 zum ersten Mal vor die Presse tritt. Das Szenario eines Sieges prorussischer Parteien in der ehemaligen Sowjetrepublik ist nicht eingetreten, die befürchteten Unruhen in dem EU-Kandidatenland sind ausgeblieben. Und die regierende proeuropäische Partei Aktion und Solidarität (PAS) hat entgegen aller Umfragen zum zweiten Mal eine absolute Mehrheit erreicht - nach vier Jahren schwieriger, zum Teil nicht erfolgreicher Regierungszeit.
In ihrer ersten Pressekonferenz betont Maia Sandu, dass "der Versuch des Kremls, einen Keil in unser Land zu treiben", gescheitert sei. Zugleich richtet sie mahnende Worte an die Adresse der einst von ihr mitbegründeten PAS und der Regierung. "Wir müssen diesen Sieg im Interesse unseres Landes und für alle nutzen", so die Präsidentin. Die Regierung sei verantwortlich, für alle Bürgerinnen und Bürger zu arbeiten. Nur so könne die Republik Moldau ihr Ziel erfüllen, Mitglied der Europäischen Union zu werden.
Es ist ein vorsichtiger Verweis der Staatspräsidentin auf die riesige Hypothek, welche die PAS-Regierung in den kommenden Jahren einlösen muss. Denn die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler hat nicht nur gegen Russlands Einfluss gestimmt. Sondern auch für das Angebot der PAS: Die Regierenden versprechen eine EU-Integration der Republik Moldau in den Jahren 2028 bis 2030 - und dass wichtige sozialökonomische und Justizreformen von nun an besser umgesetzt werden.
"Die schwerste Mission"
Der moldauische Politologe Igor Botan von der Nichtregierungsorganisation ADEPT spricht deshalb in einem Interview mit der Zeitung Ziarul de Garda von einer "sehr schweren Last" für die Regierungspartei. Die Direktorin von Transparency International Moldova, Lilia Zaharia, schreibt in dem Blatt, die PAS habe nun "die schwerste Mission" vor sich. "Die Priorität muss die Konsolidierung des Rechtsstaates durch eine unabhängige Justiz und der wirkliche Kampf gegen die Korruption sein, denn hier erwarten die Menschen sichtbare und schnelle Ergebnisse."
Aus gutem Grund: Politisch dominierten bis vor wenigen Jahren Oligarchen und kriminelle Gruppierungen das Land. Beispielsweise beging in den Jahren 2012 bis 2014 ein Netzwerk um den kriminellen moldauisch-israelischen Geschäftsmann Ilan Shor und den einflussreichen Politiker Vladimir "Vlad" Plahotniuc den "Jahrhundertraub" - den Diebstahl von mehr als einer Milliarde Dollar aus drei moldauischen Banken mit Hilfe korrupter Richter. Die Summe machte damals fast ein Sechstel des moldauischen Bruttosozialproduktes aus. Auch bei der russischen Gasversorgung des Landes, ebenfalls ein Milliardengeschäft, verdienten korrupte Netzwerke jahrzehntelang kräftig mit.
Experten skeptisch, aber nicht pessimistisch
Demgegenüber zählt die Republik Moldau sozialökonomisch zusammen mit Kosovo und Bosnien und Herzegowina zu den drei ärmsten Ländern Europas. Von den rund 2,7 Millionen Einwohnern, einschließlich derer in der separatistischen Region Transnistrien, arbeiten nach konservativen Schätzungen mindestens 850.000 permanent im Ausland, also rund ein Drittel. Ihre Rücküberweisungen machen rund 16 Prozent des moldauischen Bruttosozialprodukts aus, einer der höchsten Werte weltweit. Das Land selbst ist stark agrarisch geprägt, rund 40 Prozent des Exports sind landwirtschaftliche Produkte. Einzig im IT-Bereich kann die Republik Moldau mit anderen EU-Ländern konkurrieren - der Sektor trägt bereits mit sieben Prozent zum BSP bei und wächst stark.
Ist es nun auch nur annährend realistisch, dass Moldau den Reformstau der vergangenen Jahrzehnte binnen weniger Jahre abbaut und EU-Mitglied wird? Experten sind skeptisch, aber nicht völlig pessimistisch. Tatsächlich hat die seit 2021 allein regierende PAS einige ernsthafte Reformen in Gang gesetzt und eine Reihe früherer Wahlversprechen gehalten, darunter umfangreiche Sozialreformen. So wurden Renten erhöht, das Rentensystem reformiert und Programme zur Unterstützung von Familien, Kindern und Jugendlichen eingeführt. Bauern erhielten stärkere Unterstützung, für die im Ausland Arbeitenden wurden bürokratische Hürden abgebaut, die Regierung begann ein großes Straßenreparaturprogramm.
Kein großer Korruptionsfall
Die Justizreform und Reformen zum Kampf gegen Korruption wurden nur teilweise umgesetzt, allerdings mangelt es erstmals in der Geschichte der Republik Moldau nicht am politischen Willen - sondern an der Bereitschaft zu Reformen im Justizsystem selbst. So verläuft das so genannte "Vetting", also die Überprüfung der Vermögens- und Lebensverhältnisse von Richtern, nur sehr schleppend. Auch der Versuch, den politischen Einfluss bei der Ernennung von Richtern gesetzlich zu stoppen, war wenig erfolgreich. Doch trotz so mancher Fälle von Nepotismus und Amtsmissbrauch gab es in der PAS-Regierung von 2021 bis 2025 keinen einzigen großen Korruptionsfall - anders als bei allen vorherigen Regierungen.
Bei der Nichterfüllung mancher Reformversprechen spielten neben innenpolitischen Widerständen auch die Folgen des russischen Krieges gegen die Ukraine für die Republik Moldau und der Stopp russischer Gaslieferungen an das Land eine Rolle. Der kleine Nachbarstaat der Ukraine nahm zeitweise hunderttausende ukrainische Geflüchtete auf. Gas und Strom musste es teuer aus nicht-russischen Quellen einkaufen, die vollständige Anbindung an den europäischen Energiemarkt durch Pipeline und Stromleitungen steht noch aus. Insgesamt jedoch, so rechnete die moldauische Organisation Watchdog vor, hat die PAS-Regierung ihre Versprechen bis zur Wahl 2025 zu 56 Prozent erfüllt.
EU-Integration ohne Transnistrien
Mit Blick darauf, dass die Republik Moldau bis zum Juni 2022 gar kein EU-Kandidatenland war, ist auch der Integrationsprozess eher ein Erfolgskapitel. Nach der so genannten Screening-Phase sollen nun voraussichtlich im Frühjahr 2026 erste Verhandlungskapitel eröffnet werden. Das Ziel der moldauischen Regierung ist, den Beitrittsvertrag bis Ende 2028 zu unterschreiben - was noch nicht gleichbedeutend mit einem Beitritt ist. Die meisten Beobachter in der Republik Moldau, etwa von der Expert Group, einem der führenden moldauischen Think Tanks, halten das äußerst ambitionierte Ziel zwar nicht für unmöglich, aber dennoch für wenig realistisch.
Neben den zahlreichen anderen innenpolitischen Hürden ist die größte ungeklärte Frage, wie mit der Republik Moldau wegen der separatistischen prorussischen Region Transnistrien verfahren wird. Laut der moldauischen Staatspräsidentin Maia Sandu ist eine zeitweilige EU-Integration des Landes ohne Transnistrien denkbar. Wie das konkret aussehen könnte, ist unklar.
Die meisten moldauischen Experten sehen nun vor allem die neue PAS-Regierung in der Pflicht, ihre Reformversprechen zu erfüllen, um die EU-Integration zu erreichen. Doch einige warnen auch die EU davor, das Land im Stich zu lassen - auch im eigenen Interesse. "Die Einmischung Russlands in der Republik Moldau birgt die Gefahr, dass der Weg des Landes in die EU ins Stocken gerät und Chisinau zu einem Vorposten des Kremls wird", schreibt Leo Litra vom European Council on Foreign Relations (ECFR). "Die EU kann es sich nicht leisten, tatenlos zuzusehen. Wenn die Europäer nicht bereit sind, ihre Demokratie jetzt zu verteidigen, stehen andere bereit, sie wegzunehmen."