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Politik

Queer-Rights als Schutzschild der Korrupten?

19. November 2019

Menschenrechtsthemen seien in der Republik Moldau oft ein Mittel, um der EU Demokratie vorzuspielen, kritisieren Angehörige der LGBTQI-Gemeinde. Sie kämpfen trotzdem weiter für Toleranz - auch mit der Hilfe des Westens.

Moldawien LGTBQI Stills | Artiom Zavadovsky
Bild: DW/F. Schmitz

"Wir haben ihn wegen Verhetzung vor Gericht gebracht und gewonnen", erinnert sich Artiom Zavadovsky (Artikelbild). Der moldauische Filmemacher und Queer-Performance-Künstler sitzt in einem Café in der Hauptstadt Chisinau und trinkt Limo. Beim Gedanken an das Gerichtsverfahren aus dem Jahr 2016 lächelt er verlegen. Damals hatten er und andere Menschenrechtsaktivisten den Bischof von Balti (Deutsch: Belz) angezeigt. Dieser hatte der Politikerin Maia Sandu unterstellt, sie sei lesbisch und könne deshalb keine Regierungsverantwortung übernehmen. Das war noch bevor sie im Juni 2019 Ministerpräsidentin wurde - und ihre Regierung dann vergangene Woche über ein Misstrauensvotum stürzte.

"Wir haben damals mit der Begründung geklagt, dass man mit einer solchen Aussage auch uns persönlich diskriminiere", erklärt Zavadovsky. Jahrelang sei er aktiv gewesen im Kampf gegen Homophobie, Sexismus und Mysogynie. Jetzt fühle er sich müde. Und auch er wünscht sich eine Pause. Außerdem macht er sich Sorgen, dass die neue Regierung, die der pro-russische Präsident Igor Dodon am vergangenen Donnerstag vereidigte, versuchen werde, "die Sichtbarkeit der LGBTQI-Community wieder einzuschränken".

Demokratisierung durch sexuelle Vielfalt

Die Republik Moldau steckt in einer politischen Dauerkrise. Kaum einem Land in Europa werden schlechtere Noten in punkto Transparenz und Medienfreiheit ausgestellt. Die Gesellschaft ist zerrissen zwischen ihren rumänischen Wurzeln und der sowjetischen Vergangenheit, zwischen Kommunismus und orthodoxem Christentum, zwischen Europa und Russland.

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Wenn es um den Einfluss Russlands oder der EU geht, spielt Geld eine große Rolle. EU-Länder, allen voran Schweden, unterstützen basisdemokratische Bewegungen in der Republik Moldau. Dazu gehört auch das einzige Queer-Filmfestival in der ehemaligen Sowjetrepublik. Natürlich stehe sexuelle Vielfalt im Vordergrund, erklärt der Initiator Maxim Cirlan. Vor allem aber gehe es um fundamentale Menschenrechte - ein Thema, das in der Republik Moldau gerne unter den Teppich gekehrt werde.

"Wir bringen queere Kultur aus ganz Europa in die Moldau. Uns geht es darum, die Menschen zu vereinen. Wir sind unabhängig und stehen nicht unter dem Einfluss politischer Parteien", sagt Cirlan im DW-Interview. "Unser Festival richtet sich an kulturell aufgeschlossene Menschen. Es geht hier um demokratische Werte, Meinungsfreiheit und gegenseitigen Respekt. Wir setzen uns für die Grundrechte aller ein, nicht nur in punkto sexuelle Orientierung." In einem Workshop im Vorfeld des Festivals realisieren junge Menschen unter Anleitung von Profis Filmprojekte zu Themen, die in den Medien keine Beachtung finden - Pioniere in einem Land, in dem freie Meinungsäußerung zwar erlaubt ist, aber kaum praktiziert wird. 

In diesem Jahr fand das Festival Mitte November statt, in Chisinau, einer Stadt, die mit der Vielfalt lebt, sie aber ungern zur Schau stellt. Das Queer Voices Festival setzt auf diese Vielfalt und thematisiert Fragen, die in der moldauischen Gesellschaft präsent sind, aber gern ignoriert werden: Wie geht man mit Transgender-Menschen um? Wie erlebe ich die Welt, wenn ich mich als homosexuell oute? Viele Produktionen, die auf dem Festival gezeigt wurden, haben mit sexueller Identität zu tun, aber auch das Thema Gewalt steht im Mittelpunkt von zwei Filmen, unter anderem geht es dabei um Vergewaltigung und Tierquälerei.

Auch im Programm war der Film "Gender-Derby" aus Frankreich. Ein junger Franzose, der als Frau geboren wurde, redet offen über sexuelle Vielfalt. Eigentlich sollte der Protagonist vor Ort sein. Doch am Flughafen in Rom hielt man ihn fest. Im Pass ist Jasmin noch eine Frau, ein Problem, das viele Transgender-Menschen am Reisen hindert. Die französische Botschaft in Chisinau riet von der Reise ab. Man können nicht für die Sicherheit von Jasmin garantieren, hieß es. Maxim Cirlan hält das für übertrieben, wirft aber ein: "Ich kann nicht sagen, ob die Polizei in gefährlichen Situationen tatsächlich einschreiten würde." 

"Viele Hasstiraden, vor allem gegen Transgender-Menschen"

Die LGBTQI-Gemeinde aus der Republik Moldau ist mit Westeuropa gut vernetzt, doch die engen Kontakte der neuen Regierung in Chisinau zu Moskau, wo sexuelle Vielfalt offen bekämpft wird, bereitet vielen Menschen Sorgen. Man befürchtet Rückschritte in die Zeiten, bevor die erste Gay-Pride-Parade des Landes im Jahr 2002 dieser Community mehr Sichtbarkeit brachte.

Maxim Cirlan ist der Initiator des Queer Voices Festivals Bild: DW/F. Schmitz

Seitdem hätten auch die Medien begonnen, etwas ausführlicher über LGBTQI-Themen zu berichten, erinnert sich Artiom Zavadovsky, "und dieses Jahr ist zum ersten Mal ein Abgeordneter des Parlaments bei der Pride Parade mitmarschiert". Dabei handele es sich allerdings immer noch um Einzelfälle. Selbst die ehemalige Premierministerin Maia Sandu, die LGBTQI-Rechte zumindest als Menschenrechte betrachtete, habe sich nie aktiv für eine Ende der immer noch andauernden Diskriminierung eingesetzt.

ILGA-Europe, ein Verein für die Rechte der LGBTQI-Gemeinde, setzt die Republik Moldau in punkto LGBTQI-Rechte auf Platz 43 von 49 Staaten. Es gibt keine Ehe und keine eingetragene Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Partner. Die Gesellschaft in der Republik Moldau ist wenig tolerant. "Es gibt viele Hasstiraden, vor allem gegen Transgender-Menschen", erklärt Zavadovsky. Viel Druck laste auf den Betroffenen: "Ein großes Problem ist nicht nur die Stigmatisierung von Außen, sondern auch die Selbststigmatisierung." Menschen, die nicht in das Schema "hetero, männlich oder weiblich" passten, hätten oft nicht den Mut, zu sich zu stehen.     

Schutz für Gay Pride Parade wegen Druck aus dem Ausland  

Artiom Zavadovsky sieht in der von Politikern geduldeten Sichtbarkeit der LGTBQI-Community weder den Willen, wirklich etwas zu verändern, noch die Erkenntnis, dass Menschenrechte und sexuelle Vielfalt zu einer funktionierenden Demokratie dazugehören. Selbst als der Oligarch Vladimir Plahotniuc den kompletten Staat kontrolliert habe (bis zum Machtwechsel im Frühsommer und seiner Flucht ins Ausland, Anm. d. Red.), hätte die Polizei die Gay Pride Parade geschützt, meint Zavadovsky. Dies aber liege am internationalen Druck: "Viele Botschaften und internationale Institutionen sind in die Gay Pride Parade involviert. Die LGBTQI-Community nutzt diese als eine Art Schutzschild." Das funktioniere für den Moment. Gleichzeitig täusche man den Westen mit solchen Bildern: Die Regierung spiele Brüssel das Märchen des freien Landes vor. Mit der Realität aber habe dies nichts zu tun.

Auf dem Queer Voices Festival weiß man nur zu gut um die Probleme der Republik Moldau. Doch man will nicht aufgeben, auch, weil das Interesse an Vielfalt und Meinungsfreiheit wächst, sagt Zavadovsky: "Im vergangenen Jahr bei der ersten Ausgabe von Queer Voices hatten wir im Workshop nur Mitglieder der Community. In diesem Jahr hatten wir Teilnehmer, die sich nicht als queer definieren." 

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